26.Kapitel

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»Hier bist du ja! Ich dachte schon, du hättest angefangen, auf Schlaf zu verzichten.« Die Schildpattkatze strich schnurrend um Heideschatten herum. Tatsächlich hatte diese versucht, sich vom Schlaf zu drücken. Es war aufwendig, jede Nacht Schmetterlingsschatten, wie sie sich vorgestellt hatte, zu besuchen.

»Wie lange noch?«, miaute Heideschatten. Sie sprach selten mit der Kätzin, und wenn sie es tat, dann knapp und mit einer kühlen Stimme. »Warum?«, hing sie noch an. Vielleicht würde die finstere Kriegerin ihr heute anvertrauen, weshalb Heideschatten jede Nacht im Wald der Finsternis aufwachte. Und besonders; warum ihr Schmetterlingsschatten nichts tat.

Heideschatten fühlte sich klein unter den giftgrünen Blicken der Kätzin. Die Kriegerin überragte sie, sie war grösser, strahlte etwas bedrohliches aus. Heideschatten war eine Katze der ewigen Macht, doch in diesem Wald fühlte sie sich allem unterlegen. Wie musste sich bloß eine gewöhnliche Katze fühlen? Die Kriegerin hatte von Legenden fremder, weit entfernter Clans gehört, in denen früher junge Katzen den Wald der Finsternis besucht hatten, um zu trainieren und sich gegen ihre eigenen Clans zu wenden. Die meisten von ihnen waren noch im Schülertraining gewesen; naiv und leicht zu manipulieren.

»Du meinst, wie lange du noch hier sein musst?« Schmetterlingsschatten legte den Kopf schief, als sie sich vor der EisClan-Katze niederließ. »Ich schätze, noch eine Weile. Aber wenn du etwas mehr sprechen würdest, wäre es für uns beide amüsanter. Glaub mir, ich möchte das auch nicht wirklich.«

Heideschatten hielt den Kopf gesenkt. »Warum?«, wiederholte sie ihre Frage bissig. Die andere Kätzin sprach über alles, aber sie erzählte nichts von ihren Plänen. Sie erzählte nicht, weshalb Heideschatten hier jede Nacht aufwachte.

Kurz war die Umgebung bedrückend still. So still, dass sich Heideschatten beinahe das nervige Gelaber der Kätzin zurückwünschte. Aber nur beinahe. Als sie wieder hochsah, erblickte sie, dass die Kriegerin sie genau musterte. Ihr Blick war intensiv, sodass Heideschatten wieder wegsah. Was wollte die Kriegerin anrichten? Schätzte sie ab, ob sie ihr bereits erzählen konnte, was der Grund für ihre nächtlichen Treffen war?

»Der Bruder deines Vaters.«, miaute Schmetterlingsschatten schliesslich mit einer Stimme, die für sie merkwürdig still klang. Sie hatte einen verträumten Unterton, als würde sie in Erinnerungen schwelgen, und plötzlich sah die finstere Kriegerin zerbrechlich aus. »Er starb, weil meine Schwester ihn tötete.« Das Giftgrün ihrer Augen nahm einen finsteren Ausdruck an. »Er weigerte sich, ihr zu dienen. Du weisst vielleicht weshalb. Ihr seid mächtiger, als ihr denkt. Meine Schwester« - Schmetterlingsschattens Stimme triefte vor Hass - »Sie will nicht, dass ihr Katzen der ewigen Macht auf die andere Seite geht.«

Heideschatten hörte gebannt zu, obwohl sie nichts von dem verstand, was sie sprach. Wer war ihre Schwester? Weshalb hatte sie ihn getötet? Und weshalb genau war Heideschatten nun hier? Die Fragen türmten sich in dem Kopf der Kätzin auf. Doch sie hatte Angst, Schmetterlingsschattens Redefluss zu unterbrechen, wenn sie ihre Fragen laut aussprach. Deshalb schwieg sie.

»Weissdistel wachte auf. Er war im Wald der Finsternis, wie er bemerkte. Meine Schwester versuchte, ihn mit ihren Worten einzulullen, ihn dazu zu bringen, sich ihr anzuschliessen. Du wirst mächtig, sagte sie, aber er hörte nicht hin. Er wehrte sich, als sie anfing, ihm wehzutun.« Schmetterlingsschattens Stimme war nun monoton, abwesend. »Er starb langsam. Ich weiss nicht, wo er ist. Aber er ist nicht... « Sie schüttelte den Kopf. »Katzen, die im Wald der Finsternis sterben, kommen nicht in den SternenClan.«

Heideschatten spitze ihre Ohren. Täuschte sie sich, oder klang die Kätzin tatsächlich bedrückt? Sie zeigte nicht wirklich Gefühle. Sie war schliesslich eine Katze des finsteren Waldes. Liebte sie den Kampf nicht? Doch da merkte die EisClan-Katze, dass sie keine Ahnung von ihrer Vorgeschichte hatte oder von der Beziehung von Schmetterlingsschatten zu ihrer Schwester.

Als die laute Stille sich wieder ausbreitete, erkannte Heideschatten, dass Schmetterlingsschatten fertig gesprochen hatte. Ihre Augen verfolgten wachsam jede einzelne der Bewegungen, die Heideschatten ausführte. Leider hatte Weissdistels Geschichte mehr Fragen aufgeworfen, als dass sie Antworten geliefert hatte.

»Deine Schwester hegt irgendein Plan aus und braucht dafür die Katzen der ewigen Macht.«, versuchte Heideschatten in einem Satz zusammenzufassen. »Und ich? Bin ich deshalb hier, weil du mich davor bewahren möchtest, dass sie mich ebenfalls ...« Heideschatten verstummte. Vor lauter Aufregung hatte sie vergessen, ihrer Stimme einen kühlen Unterton zu verleihen. Aber war das noch nötig? Schmetterlingsschatten hatte offensichtlich nichts Böses im Sinne. Oder war diese Geschichte nur erfunden? Eine Lüge, um Heideschatten zu manipulieren?

»Was ist mit Lichttraum? Und Heideschatten? Sie sind in Gefahr. Oder beschützt du sie auch?« Heideschattens Stimme war wieder kälter geworden, als sie sich umdrehte und nach den beiden Kätzinnen Ausschau hielt. Doch um sie herum war nichts als Nebel, finstere Bäume und eine dunkle, dickflüssige Masse.

Heideschatten erstarrte. Natürlich. Finstere Masse, Pfützen gefüllt von diesem Zeugs. Wie war sie nicht vorher darauf gekommen, dass diese Masse etwas mit dem Wald der Finsternis zu tun hatte, die bei den Clans lauerte?

Die Schildpattkatze fing wieder an, mit leisen Pfoten um Heideschatten herumzuschleichen. »Sie wird nicht zulassen, dass ihr etwas passiert. Dafür ist ihr ihre Schwester viel zu wichtig.«

Wer wird was nicht zulassen? Heideschatten hatte langsam genug von dieser ganzen Geheimniskrämerei.

Die Katze mit den giftgrünen Augen stiess ein Seufzen aus. Sie setze sich vor Heideschatten und schaute auf sie herab. »Ich zeig es dir.«, erklärte sie flüsternd. Bevor Heideschatten nachdenken konnte, was genau geschah, beugte sich Schmetterlingsschatten vor. Automatisch fuhr die Kriegerin ihre Krallen aus, bereits zum Angriff, doch die dunkle Kriegerin berührte nur leicht ihre Stirn. Ein Schlag durchfuhr Heideschatten. Es fühlte sich an, als würde sie in Flammen stehen. Heideschatten wollte sich ihr entreissen, um dem Gefühl zu entkommen, doch da verschwand es von selbst.

Auch Schmetterlingsschatten war verschwunden. Die Umgebung ebenfalls. Doch Heideschatten war nicht wieder in ihrem Nest aufgewacht, sondern auf einer Wiese. Alles war hell und kalt, Schnee lag auf dem Boden. Katzen stampften durch die dünne Schicht, verschwommene Silhouetten. Heideschatten brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass sie immer noch träumte. Langsam erkannte sie, wer die Gruppe von Katzen anführte; es war Halbmondlicht, die Pfoten blutverschmiert. Die Katzen hinter ihr fauchten und bevor sich Heideschatten versah, färbte sich der Schnee um die Katzen herum rot. Was ging hier vor sich?

Die Frage beantwortete sich von selbst. Halbmondlicht schien die Verursacherin für den roten Schnee zu sein. Heideschatten wollte schreien, doch aus ihrem Mund kaum kein Laut. Ihre Pfoten waren festgefroren; sie konnte nur zuschauen und nichts tun. Kalte Angst überkoch die Kätzin, als andere Katzen auf die Gruppe zustürmten, doch Halbmondlicht bloss eine Pfote hob und die Katzen umfielen, als würden sich unsichtbare Krieger*innen gegen sie stürzen. Der Schnee wurde dunkler.

Heideschatten glaubte, sich übergeben zu müssen. Doch bevor sie zu irgendwas fähig war, erwachte sie zitternd in ihrem Nest und fragte sich, was sie da gerade gesehen hatte.

Warrior Cats [Der Fluch der Sterne] Vergessene SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt