Wolkenwunsch beäugte Heideschatten misstrauisch. »Wie hast du das gemacht?«, fragte er, halb bewundernd, halb ängstlich. Er hielt Abstand, schien noch einschätzen zu müssen, ob er Heideschatten vertrauen konnte. Sie wusste ja selbst nicht, ob sie sich trauen konnte.
»Gern geschehen.«, miaute Heideschatten, sarkastisch, auch wenn ihre Stimme bebte. Ein Baum, dünn und wahrscheinlich noch jung, lag tot auf dem Boden. Die Wurzeln, teilweise hauchdünn, waren schwarz verfärbt. Vor ein paar Augenblicken hatte Heideschatten den Baum - ja, einen Baum - in der Luft schweben lassen. Er war gerade im Fall gewesen, kurz davor, den erschrockenen Wolkenwunsch zu treffen, als die Kätzin ein Kribbeln in ihren Pfoten gespürt hatte. Macht pulsierte in ihren Adern. Sie hatte sich für einen Moment mächtiger als jede andere Katze gefühlt, die jemals gelebt hatte. Nur für ein paar Sekunden war der Baum in seiner Position stehen geblieben, genug Zeit, in der Wolkenwunsch aus seiner Starre erwachen konnte.
Danach hatte das Machtgefühl nachgelassen, bis der Baum leblos zu Boden gekracht war, als sei niemals etwas geschehen. Wolkenwunsch war immer noch verstört. Heideschatten konnte sein rasendes Herz förmlich hören. Seine gelben Augen waren geweitet, die Ohren angelegt.
»Wir sollten die Beute nehmen und zurückgehen.«, meldete sich Federpfote hinter ihnen. Sie schien eher belustigt über die Aktion der Kriegerin, als verstört. Mit ihrem heilen Auge musterte sie Wolkenwunsch, der sich immer noch nicht bewegt hatte.
»Heute Nacht ist eine Versammlung der Anführer und Anführerinnen.«, fiel Heideschatten ein, »danach werden sie alles den Clans erklären. Mit der Prophezeiung.« Doch ihre Worte schienen den Kater noch mehr zu verwirren. Federpfote legte den Kopf schief, amüsiert. Dabei sollte sie ebenfalls nichts wissen. Sie sollte sich genau so überrascht zeigen, doch sie schien so, als wüsste sie bereits alles.
Federpfote humpelte hinüber zu einer Stelle, an der sie wahrscheinlich die Beute vergraben hatte und fing an, sie wieder auszugraben. »Ich habe heute noch was vor.«, miaute sie ungerührt, »also beeilt euch.«
Heideschatten machte sich daran, der Schülerin zu helfen. Erst nach einigen von Schweigen gefüllten Augenblicken gesellte sich Wolkenwunsch zu ihnen. »Aber... du hast einfach einen Baum kontrolliert.«, murmelte der Kater fassungslos, »das ist nicht möglich.«
Heideschatten schnappte sich ihr Eichhörnchen und deutete mit dem Kopf in Richtung Lager. »Morgen.«, miaute sie. »Oder so. Dann wird alles erklärt.« Sie bemühte sich darum, möglichst schnell zu laufen, weshalb sie sich ein paar klagende Einwände von Federpfote einbüßte. Wolkenwunsch hatte Mühe damit, mit ihr Schritt zu halten. »Aber...«, meinte er das wiederholte Mal am Tag. »Ich... wie hast du...?«
Heideschatten schnaubte. Wie sollte sie ihm etwas unerklärliches erklären? Genau, am Besten gar nicht. Sie beschleunigte das Schritttempo, sodass der Kater zurückfiel. Vielleicht ging er jetzt Federpfote ausfragen. Sie schien seit dem Unfall einiges mehr zu wissen, als Heideschatten dachte, doch sie sagte nichts. Überhaupt war die Schülerin sonderbar. Vielleicht war es aber auch besser, wenn sie etwas wusste. Heideschatten hatte es langsam satt mit diesen Geheimnissen. Sie hatte gedacht, alles wäre geklärt. Doch dabei gab es auf einmal so viel mehr, dass sie herausfinden wollte. Am besten gleich heute Nacht.
Heideschatten hörte nichts. Kein amüsiertes Schnurren einer selbstgefälligen schildpattfarbenen Kriegerin, kein Miauen, nichts. Die Stille war wieder so seltsam bedrückend. Vielleicht lag es an dem Nebel, der immer höher stieg, den himmelshohen Bäumen, die kein Ende nehmen wollten, der unheimlichen schwarzen Masse, die sich einen Weg durch den Boden bahnte. Auch hier schien sie sich zu vermehren.
Eingeschüchtert und wie immer, wenn sie hier war, auf der Hut, schlich sie sich weg. Von Schmetterlingsschatten keine Spur. Lag es daran, dass die Kriegerin sich heute früher schlafen gelegt hatte? Sonst kam sie später. Wahrscheinlich hatte die finstere Kriegerin auch noch anderes Programm, als eine Kriegerin der Clans zu unterhalten.
Sie durfte bloss nicht auf Schmetterlingsschattens unheimliche Schwester treffen. Am besten auf gar keine Katze. Doch das war gar nicht so einfach; der Nebel lichtete sich, je weiter sie lief, und gab Lichtungen ohne jeglichen Schutz frei. Leise fluchend schlich sich die Kriegerin dem Boden entlang. Je weiter sie ging, desto klarer wurde ihr, wie dumm ihre Idee war; was, wenn sie nicht rechtzeitig aufwachte? Was, wenn sie jemand fand?
Sie betete den SternenClan an, sie unentdeckt zu lassen, doch an diesem Ort hörten sie nicht einmal ihre Ahnen. Nur wenige Schritte später konnte Heideschatten tatsächlich Stimmen vernehmen. Sie erstarrte und sah wahrscheinlich wie Wolkenwunsch heute morgen aus. Reflexartig machte sie sich kleiner und fuhr die Krallen aus, nur im schlimmsten Falle.
Die Stimmen näherten sich. Es waren zwei Kater, die sich gerade entspannt über die alten Zeiten unterhielten. Kurz war Heideschatten versucht, sie weiterhin zu belauschen. Waren im Wald der Finsternis nicht alle düster und blutdürstig? Kaum zu glauben, dass diese Katzen ebenfalls scherzen konnten und dazu fähig waren, sich ohne Krallen zu unterhalten. Doch dann fiel der EisClan-Katze ein, warum diese Krieger sich hier befanden.
Sie erwachte aus ihrer Schockstarre und schlich möglichst lautlos von den Katzen weg. Die Katzen waren abgelenkt, zu schnurren und laut durch den Wald zu laufen, weshalb sich Heideschatten hohe Chancen auf eine saubere Flucht ausrechnete. Doch dann trat sie in der Dunkelheit tatsächlich auf einen Zweig, der unter ihren Pfoten für ihren Geschmack viel zu laut zerbrach.
»Hey! Was war das?« Einer der Kater hatte sie anscheinend doch gehört. Die EisClan-Kriegerin überlegte, sich ihnen zu stellen, doch das würde sie womöglich nicht überleben. Sie könnte sich auch verstecken - in diesem nebligen, düsteren Ort wäre sie schwer aufzuspüren - doch dann entschied sie sich dafür, zu rennen. Kurz, bevor die beiden Kater ihren Aufenthaltsort aufgespürt hatten, rannte sie los, so schnell sie konnte.
»Da ist jemand.«, fauchte die andere Stimme, gefährlich nah. Heideschatten hatte noch nie so sehr gehofft, aus einem Traum aufzuwachen. Sie musste an Weißdistel denken und erschauderte. Was, wenn sie auch so endete? Der Gedanke ließ sie noch schneller laufen, als sie sich selbst zugemutet hätte.
»Wo steckst du bloß?« Die Stimmen klangen zum Glück nicht mehr so nah, doch Heideschatten stoppte trotz ihres pochenden Herzens nicht. Noch nicht. Sie sprang über einen dunklen Fluss und wich den hohen, kahlen Baumstämmen aus. Bald waren ihre Ballen wund.
Nun klopfte das Herz der Kriegerin so stark, dass es Schritte und Stimmen übertönen könnte. Sie blieb stehen, hoffte, dass sie die Katzen abgehängt hatte. Ihre Ohren waren gespitzt, doch ausser ihres Herzens vernahm sie keine weiteren Geräusche. Oder hatten die Kater womöglich bloß Verstärkung geholt? Warteten sie vielleicht in den Schatten, jederzeit bereit, Heideschatten anzugreifen?
Doch nichts derartiges geschah. Erleichtert setzte Heideschatten ihren Weg fort, langsam, da sie immer noch aus der Puste war. Ihre Augen waren auf den Boden gerichtet, sodass sie beinahe nicht erkannte, in was sie da fast gestolpert wäre. Ein Durchgang, mit Wurzeln zugewachsen. Schwarze Masse tropfte von den dicken Stäben herab, die den Weg versperrten. Hinter den wenigen Löchern drang Licht hervor. Das war es, was Heideschatten überrascht zusammenzucken ließ. Licht? Im Wald der Finsternis? Das war doch nicht möglich.
»Du hast es also entdeckt.« Heideschatten schrie leise auf, als sich jemand hinter ihr meldete.
»Wurde auch Zeit, dass ich dir alles genauer erkläre.«, fügte die Stimme hinzu. Heideschatten fuhr herum, die Krallen ausgefahren, die Augen weit aufgerissen. Schmetterlingsschatten stand vor ihr, die giftgrünen Augen wie immer amüsiert. »Setz dich, das kann eine Weile dauern.«
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Warrior Cats [Der Fluch der Sterne] Vergessene Schatten
FanficWenn sich der Himmel teilt, das Wetter verrücktspielt und plötzlich Katzen Füchse in Gedanken kontrollieren können, ist bestimmt nicht alles in Ordnung bei den Clans. Da ist sich Zweigpfote sicher. Zusammen mit der EisClan-Kriegerin Heideschatten, d...