Kapitel 4

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Ich drücke Anna eng an mich. Mein altes Leben hinter mir zu lassen, macht mir wenig aus. Meine Freundin zu verlassen ist hingegen schwer für mich. Wir leben und arbeiten seit mehreren Jahren zusammen und haben uns immer gut verstanden. Lord Rasmus zu fragen, ob sie uns begleiten darf, ist vermutlich keine gute Idee. Ich möchte sie auch nicht den Gefahren einer langen Reise aussetzen. Trotzdem versetzt es mir einen heftigen Stich ins Herz, als ich ihr Lebewohl sagen muss.

Zum Glück habe ich in jungen Jahren das Reiten gelernt. Lukas war damals noch umgänglicher und wir haben öfters etwas zusammen unternommen. Da er der Sohn der Herrschaften war, musste meist ich das tun, wozu er gerne Lust hatte. Deshalb habe ich das Reiten und das Kämpfen gelernt. Beim Schießen mit Pfeil und Bogen war ich ihm immer haushoch überlegen. Beim Schwertkampf war es wohl eher seine Kraft, die ihm einen Vorteil gebracht hat. Ich war hingegen wendiger und einfallsreicher im Angriff.

Da ich mit Lukas manchmal auch längere Ausritte unternommen habe und dabei nie wirklich Probleme hatte, habe ich zugestimmt, als Lord Rasmus mich gefragt hat, ob ich ein eigenes Pferd haben möchte. Ich habe nicht gefragt, was die Alternative gewesen wäre. Vermutlich hätte ich mit einem seiner Leute mitreiten müssen oder gar bei ihm auf dem Pferd Platz nehmen.

Als es schließlich soweit ist und ich mit den Rittern von Landsitz reite, spüre ich ein leicht beklemmendes Gefühl. Ich bin mit meiner Mutter hierhergekommen, da war ich drei Jahre, so hat sie mir erzählt. Damit habe ich fast mein ganzes Leben hier verbracht. Meine Mutter war nicht direkt eine Bedienstete der Herrschaften, wir wohnten in einem eignen Haus. Gelebt haben wir von den Einnahmen meiner Mutter als Heilerin. Es war eine schöne Zeit.

Mein gesamtes Wissen über die Heilkunst habe ich von meiner Mutter und werde dieses auf ewig bewahren, denn es ist das Einzige, das mir von ihr geblieben ist.

Jetzt, da ich das, was mir trotz aller Widrigkeiten zu einer Art Heimat geworden ist, verlasse, stelle ich mir natürlich die Frage, was die Zukunft bringen wird und was aus mir werden soll. Deshalb reite ich auch still und nachdenklich neben den Rittern her. Auch sie sprechen nicht viel. Das wird schon ihre Art sein. Ich habe lediglich mitbekommen, wir sind auf dem Weg in eine andere Ortschaft.

Nach einem halben Tag im Sattel halte ich das Schweigen nicht mehr aus. Ich lenke mein Pferd neben das von Lord Rasmus.

„Was machen wir in Aareberg?"

„Dort erwartet uns Lady Samantha, die wir zum König begleiten sollen."

„Was macht sie beim König?"

„Sie soll ihn ehelichen."

„Der König ist, soweit ich weiß, schon über 60."

„Er hat noch keine Kinder."

„Wie alt ist Lady Samantha?", frage ich lauernd. Ich bin mir sicher, die Antwort wird mir nicht gefallen.

„Etwa in deinem Alter."

„Sie liebt den König? Ein Mädchen in meinem Alter liebt einen Mann, der schon 60 Jahre alt ist?"

„Sie soll ihm einen Erben schenken."

„Sie ist also nur eine Zuchtstute?"

„So würde ich das nicht ausdrücken?"

„Wie denn dann?"

„Sie dient der Krone?"

„Im Bett?"

„Mein Gott, man muss dort seinen Beitrag leisten, wo es gerade notwendig ist."

„Ihr Männer habt sie ja nicht mehr alle!", fauche ich.

Ohne auf eine Antwort zu warten, lasse ich mein Pferd wieder zurückfallen. Ich bin verärgert. Ich finde es eine Zumutung, dass ein junges Mädchen einen alten Sack heiraten soll, den sie sich gar nicht selbst ausgesucht hat. Da kann mich auch das dumme Gerede, von wegen der Krone dienen, nicht besänftigen. Es geht um das Leben einer jungen Frau!

Legenda Major - Gerneratio proximaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt