Kapitel 14

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„Was macht denn der Baum da? Der war gestern noch nicht hier! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu", höre ich eine aufgebrachte Stimme, die mich aus meinem Schlaf reißt.

Ich habe wohl gestern vergessen, das Fenster wieder zu schließen. Doch es ist nicht kalt, mir ist nicht kalt. Erst jetzt wird mir bewusst, dass die Temperaturen eigentlich noch nicht danach sind, dass man bei offenem Fenster schlafen könnte. Mir hat es aber offenbar nichts ausgemacht. Ich habe nicht zu kalt und fühle mich auf diese Weise der Natur etwas verbundener.

„Die schöne Wiese, die ist doch völlig ruiniert", jammert der Mann weiter. „Wie kann ein so gewaltiger Baum einfach über Nacht wachsen. Würde ich nicht ein vernünftiger Mensch sein, würde ich jetzt sagen, es kann nur Hexerei sein."

Ich reibe mir die Augen, da ich noch ganz verschlafen bin, muss dabei aber schmunzeln. Mir fällt wieder ein, dass ich diesen Baum gestern habe wachsen lassen.

Ich quäle mich aus dem Bett, vorsichtig schleiche ich zum Fenster und schaue hinaus. Unten steht ein Mann, den ich auf Mitte Fünfzig schätze und der wohl der Gärtner ist. Bei ihm steht ein junger Bursche, höchstens 15 Jahre alt. Das wird vermutlich ein Lehrjunge sein.

„Wir gehen eine Säge holen und fällen den Baum", meint der Ältere. „Das kostet uns einen ganzen Tag Arbeit. Morgen müssen wir den Baum aufarbeiten und danach müssen wir uns etwas einfallen lassen, damit wir den Stumpf und die Wurzeln loswerden. Meine schöne Wiese!"

Ich sehe, wie die beiden sich davonmachen, wohl um die Säge zu holen. Schnell stelle ich mir vor, dass der Baum wieder zum Samen wird und schon schrumpft das mächtige Teil und ist schließlich weg. Die Wiese liegt grün und gepflegt vor mir, wie eh und je.

Da ich schon einmal wach bin, gehe ich ins Bad und erledige meine Morgentoilette. Lili lasse ich schlafen und klingle deshalb nicht nach ihr. Sie hatte in den letzten Tagen die gleichen Strapazen zu bewältigen, wie ich auch. Deshalb ist es nur gerecht, wenn ich sie etwas schone.

„Jetzt reichts! Wo ist denn der Baum?", höre ich die Stimme des Manns.

Ich muss kichern, belasse es aber dabei und mache mich auf den Weg zum Speisezimmer. Ich will das Frühstück einnehmen, mein Magen knurrt, wie ein wildes Tier.

Im Speisezimmer treffe ich auf Graf Sonnenfels. Alle anderen scheinen noch zu schlafen. Wir wünschen uns einen guten Morgen und einen guten Appetit. Dann machen wir uns über die Speisen her.

Ich jedoch wünsche mir, dass ich die Gedanken des Grafen lesen könnte, und zu meiner Verwunderung höre ich sie auch. Nun ja, ich nehme sie in meinem Kopf wahr. Es ist als wäre ich ein Teil seiner Gedanken. Im ersten Moment will ich mich erschrocken zurückziehen, denn es ist mir peinlich, in seinem Kopf herumzustöbern. Aber ich bin auch eine Frau und damit neugierig. Zum Glück, denn er überlegt genau in dem Moment, ob er seiner Frau davon erzählen soll, dass ich die Tochter des Königs sein könnte.

„Reinhard, ich kann meine magischen Kräfte tatsächlich spüren", eröffne ich ihm.

„Das hast du ausprobiert?"

„Ja und es klappt einigermaßen."

„Welche Fähigkeiten hast du?"

„Feuer, Wind und Wasser haben schon mal reagiert. Beim Rest muss ich noch testen", schummle ich etwas.

„Das bedeutet, du bist tatsächlich die Prinzessin."

„Wie gesagt, verrate es niemandem. Ich will keine unnötige Aufregung, solange es noch nicht sein muss. Und bitte auch kein Wort zu deiner Frau."

„Du verlangst von mir, dass ich Geheimnisse vor ihr habe?"

„Ich weiß, es ist etwas viel verlangt, denn Eheleute sollten sich alles sagen können, aber ich habe meine Gründe und bitte dich darum."

Legenda Major - Gerneratio proximaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt