Kapitel 1

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Ich sitze in meinem Sessel, halte das kleine Büchlein in der Hand und überlege. Was soll ich nur tun? Soll ich dieses zweite Buch auch noch lesen? Sorge und Neugier halten sich die Waage. Was mich besonders beschäftigt ist die Frage, welche Abenteuer und unglaublichen Dinge mir dieses Mal passieren könnten. Natürlich war das, was ich beim Lesen des ersten Bandes erlebt habe, voller Spannung und Adrenalin, es war aber auch verdammt realistisch und ich bin mir nicht sicher, ob es nicht auch gefährlich war.

Meine Freundin Lea ist vor wenigen Minuten nach Hause gegangen. Ich habe es hoffentlich geschafft, meine Verwirrung einigermaßen vor ihr zu verbergen. Ich hatte, meinem Zeitgefühl zufolge, gestern das Buch „Legenda Major" begonnen zu lesen und bin heute früh aufgewacht. Doch statt einer einzigen Nacht sind offenbar zwei Wochen vergangen und ich fühle mich, als sei ich voll und ganz in die Handlung eingetaucht. Ob es nur Einbildung war? Für mich jedenfalls hat es sich angefühlt, als hätte ich das alles tatsächlich und leibhaftig erlebt.

Als ich nach Leas Weggang das Buch zurückstellen wollte, war es plötzlich ein ganz normales Buch. Inhalt und Titel waren nicht mehr derselbe. Plötzlich hielt ich eine Ausgabe des Märchens „Der Froschkönig" in der Hand. Einen Moment habe ich an meinem Verstand gezweifelt. Doch meine Erinnerung war zu konkret und zu frisch.

Ich wollte das Thema schon abhaken und das Buch zurück in die Bibliothek meines Vaters stellen, in der ich eigentlich nichts zu suchen habe. Schon von klein auf schärft mir mein Vater immer ein, ich solle die Finger von den Büchern lassen. Warum dem so ist, hat er nie gesagt. Dabei ist es doch unlogisch. Welche Eltern sind nicht froh, wenn die Kinder lesen und sich weiterbilden?

Auch das ist so ein Rätsel, das ich mir nicht erklären kann. Als ich resignierend das Buch einfach nur an seinen alten Platz stellen wollte, da fiel mir ein ganz ähnliches Buch in die Hand. Es sieht dem ersten Band zum Verwechseln ähnlich.

Wie ich es betrachte, fallen mir einige Dinge auf. Auf der Innenseite des Umschlages stehen erneut Worte in einer mir völlig fremden Sprache. Es könnten dieselben sein, wie im anderen Buch. Doch genau sagen kann ich das nicht, ich kann das Geschriebene ja nicht lesen und vergleichen kann ich es auch nicht mehr. Ich habe aber auch dieses Mal die Vermutung, dass es sich dabei um eine Widmung handeln könnte.

Ich blättere um und schaue auf den Titel: „Legenda Major – generatio proxima". Mit weit aufgerissenen Augen schaue ich auf die wenigen Worte. Vorbei mit dem Vorsatz, das alles einfach abzuhaken. Meine Lateinkenntnisse sind nicht berauschend, doch so weit reicht es allemal, um die Bedeutung zu verstehen. Es soll so viel heißen, wie: „Die große Legende, nächste Generation". Das ist doch der Beweis dafür, dass ich gestern tatsächlich das Buch gelesen habe, oder eben die letzten zwei Wochen.

Ich blättere eine Seite weiter und sehe mit Erstaunen, was dort steht:

Lieber Leser,

dieses Buch ist ungewöhnlich. Es ist das Tor in eine unbekannte Welt, in eine Welt, die du dir nicht im Traum vorstellen kannst und die wunderschön, aber auch sehr gefährlich ist. Nur, wenn du besondere Fähigkeiten besitzt und eine reine Seele hast, solltest du weiterlesen und in diese Welt eintauchen.

Der Autor

Genau die gleiche Warnung stand doch auch im anderen Buch. Ich frage mich, wie mein Vater zu diesen Büchern kommt, warum sie sich zeigen und dann wieder verbergen, der Zeitsprung und was es mit dieser Warnung auf sich hat. Es stellen sich mir Fragen über Fragen und ich weiß genau, ich werde keine Antwort bekommen, nicht eine einzige. Es ist frustrierend, so gar nichts zu wissen.

Ich bin unsicher, ob ich dieses zweite Buch auch lesen soll oder ob ich es einfach wieder zurückstelle und so tue, als ob ich es nicht gesehen hätte. Ich lege es zunächst auf den Sessel im Erker und gehe in die Küche, um mir etwas Essbares zu suchen.

Legenda Major - Gerneratio proximaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt