45. Kapitel - Ängste

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„Was willst du zuerst, die Himbeeren oder die Mango?", fragte Jayden, während er sich eine weiße Plastiktüte auf seinen Schoß zog.

„Himbeeren klingen gut", entgegnete ich und lehnte mich nach hinten, um mich auf meinen Unterarmen abzustützen. Für Mitte April war es draußen ungewöhnlich warm. Die Sonne schien auf uns hinab und hüllte uns in leichte Wärme. Ich hatte mich in eine kleine Decke gekuschelt, die er zu unserem Picknick mitgebracht hatte. Jayden stellte die Himbeeren in die Mitte von uns und platzierte Schokokekse um sie herum.

„Ich mag Himbeeren auch lieber", erklärte er, während er ein Stück an mich heran rutschte und sich eine Hand voll Himbeeren nahm. Die Himbeeren und einige Schokokese hatten wir bereits wenige Minuten später leer gemacht. Jayden packte also belegte Brote, die aufgeschnittene Mango und einen Mix aus Gurke, Tomate und Paprika aus. Zum Trinken hatte er uns eine Flasche Weißwein mitgebracht, den wir weniger vornehm aus einfachen Pappbechern tranken.

„Lässt du mich auch unter die Decke?", fragte er, nachdem wir mit dem Essen bereits fertig waren und ich schon einige Zeit mit der Bewunderung unserer schönen Umgebung beschäftigt gewesen war. Ich nickte ihm zu, hob die eine Seite der Decke an und ließ ihn sich näher an mich ran. Im Gegensatz zu mir, legte er sich hin und zog den größten Teil der Decke über sich.

„Ey, lässt du mir vielleicht auch etwas übrig?"

„Klar, komm her, entgegnete er grinsend und deutete dabei auf seine Brust. Lächelnd kam ich seiner Aufforderung nach und wollte mich dicht an ihn kuscheln. Vorher zog er mich jedoch zu seinem Gesicht hinauf und küsste mich. Nach dem Abend in der Bar hatte sich zwischen ihm und mir nichts verändert. Er war weder komisch zu mir, noch ließ ich mich von diesem unguten Gefühl in mir unsicher machen. Es war an diesem Abend wieder etwas stärker geworden, aber ich war mir sicher, dass es bald verschwinden würde. Eigentlich lief es zwischen Jayden und mir seitdem noch besser. Wir waren noch vertrauter miteinander geworden und es fühlte sich sicherer an, Hoffnungen in die Sache zu stecken, seitdem ich wusste, dass er sich ernsthaft in mich verliebt hatte.

„Ich freue mich auf die Sommerferien."

„Bis dahin sind es noch knapp zwei Monate", seufzte ich und legte mich mit dem Kopf auf seine Brust. Er zog die Decke über mich, bis kurz unter meinen Hals und streichelte mir dann wieder durch die Haare. Die Anspannung fiel langsam von mir ab und stattdessen wurde ich ruhiger und gelassener. Ich legte mich mit den Hinterkopf auf seine Brust und bewunderte den blauen Himmel. Weit über uns ragten dicke Äste hoch empor. Einige Zweige schnitten einander. Sie ergaben willkürliche Muster, die bei genauerem Hinsehen zu bekannten Formen und Gestalten wurden. Die Sonne blitzte durch die noch etwas kahlen Äste hindurch und fiel mir fleckenweise ins Gesicht. Der Himmel war tiefblau, nur kleine Wolken zogen langsam am Horizont entlang.

„Wovor hast du Angst?", fragte Jayden plötzlich und riss mich aus meiner Bewunderung.

„Vor was ich Angst habe? Keine Ahnung. Wie kommst du darauf?"

„Weiß nicht, habe einfach daran denken müssen", entgegnete er nachdenklich.

„Was ist denn deine Angst?"

„Der Wald. Ich habe Angst vor Wäldern, aber erzähl das bloß niemanden", versuchte er scherzhaft zu sagen, doch ich wusste genau, dass er es ernst meinte. Ich erinnerte mich, ihn nervös erlebt zu haben, als er mich durch den düsteren Wald, zum Haus meiner Grandma, geführt hatte.

„Und warum? Vor der Dunkelheit?"

„Auch, aber besonders vor Wäldern im Allgemeinen. Wälder erdrücken mich. Sie sind riesig und man kann sich viel zu schnell verlaufen." Aufmerksam hörte ich zu, wie er den Wald mit noch tausend anderen Worten beschrieb. Alles negative Eigenschaften, die ich Wäldern zuvor noch nie zugeordnet hatte. Ich hatte nichts gegen Wälder, natürlich wollte ich auch nicht alleine dort sein, aber wenn ich es wäre, war ich mir fast sicher, dass das keine Panikattacke bei mir auslösen würde. Aber Jayden schien regelrecht Panik vor Wäldern zu haben und egal wie oft ich versuchte ihn an die schönen Seiten eines Waldes zu erinnern, er kam nicht ab von seiner Meinung. Also fragte ich ihn, warum er diese Angst überhaupt entwickelt hatte. Schließlich bekamen wir alle Angst vor etwas, bei dem oder mit dem wir schlechte Erfahrungen gemacht hatten oder nicht? Maliee hatte schreckliche Höhenangst, die sich bei ihr mit etwa zehn Jahren entwickelt hatte, als sie im Urlaub an einer Klippe entlang spaziert war und aufgrund von mangelnder Vorsicht, recht weit einen Abhang hinabgestürzt war.

Zufall oder Magie? (1. Teil)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt