5. Die Nacht verschwindet

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Trübsinnig starrte Michael vor sich hin, seine Hände lagen auf der Tastatur seines Computers, doch er fand keine Veranlassung sie zum Schreiben zu benutzen. Robert hatte ihn mit zurück ins K11 genommen, nachdem Michael sich geweigert hatte nach Hause gefahren zu werden. Was sollte er denn dort? Hier konnte er wenigstens etwas Sinnvolles tun, während in seinem Kopf immer wieder die gleichen Worte auftauchten. Es war seine Schuld, dass Alex verschwunden war. Der Unbekannte war seinetwegen dort gewesen, er hatte ihn entführen wollen, dessen war sich der Kommissar sicher. Alex hatte nur das Pech gehabt mit ihm zu fahren und nicht in ihrem Gurt eingeklemmt zu sein. Und er hatte nicht eine Spur zu ihr!

Michael hoffte sehr, dass die Kollegen der Spurensicherung die Patrone oder etwas anderes, das einen Hinweis auf den Täter gab, fanden. Warum würde jemand ihn entführen wollen? Und wie hatten die Entführer gewusst, dass er heute die Landstraße nehmen würde? Waren sie ihnen etwa vom K11 gefolgt? Hätte er es nicht gemerkt, wenn er verfolgt wurde? Auf der Landstraße war ihm niemand entgegengekommen und hinter sich war auch alles leer gewesen, da war er sich eigentlich sicher. Er wünschte sich wütend, er hätte seine Waffe bei sich gehabt, dann hätte er sich und Alex verteidigen können. Wer hatte denn bloß die Regel erfunden, dass man die Waffe nach Dienstende abgeben musste!

Seine Vernunft gewann wieder die Oberhand über seine wütenden Gedanken. Robert und die Kollegen hatten Waffen dabeigehabt und waren auch nicht erfolgreich gewesen. Noch dazu hatte die Gegenseite mindestens ein Gewehr und einen sehr sicheren Schützen, wenn man die Tatsache betrachtete, dass sie in einem fahrenden Auto abgeschossen worden waren. Ein Schuss mit einer Pistole wäre nicht so präzise ausgefallen, die Pistolenkugel hätte nie so einschlagen können, wenn man seine Geschwindigkeit mit einrechnete. Zudem war er in dem Auto gefangen gewesen, hätte er das Feuer eröffnet, hätte er dem Gegenangriff nicht ausweichen können und auch Alex hätte er damit in Gefahr gebracht.

Kurz hätte er eine Waffe gehabt, wären sie jetzt vielleicht schon tot. Und trotzdem nagte sein Unvermögen an ihm. Hätte er Alex nur beschützen können! Er wollte nichts anderes, als dass es ihr gut ging und sie heil aus dieser Sache herauskam. Er hoffte, dass sie wenigstens zu Alex‘ Aufenthaltsort etwas herausbekamen und nicht wie bei Gerrit in völliger Dunkelheit tappen mussten. Aber die Spurensicherung war bereits vor Ort und auch Robert tat sein Möglichstes, dass sie herausbekamen, wo Alex war. Sie durften sie einfach nicht verlieren. Wütend auf sich selbst und die Welt hackte Michael in die Tasten und schrieb den lausigen Bericht, bevor ihn seine Gedanken noch in deprimierendere Themen jagten.

Gerrit erwachte erneut unfreiwillig, diesmal durch das Knallen einer Tür, die lautstark gegen eine Wand schlug. Er öffnete die Augen, nur um in ein gleißendes Licht in der Tür zu sehen. Schwer atmend richtete der Kommissar sich etwas auf, doch er konnte nichts erkennen, stattdessen verschwamm seine Umgebung ein wenig und vor seinen Pupillen tanzten Blitzlichter. Kurz verdunkelte ein Schatten die Helligkeit, dann ertönte ein dumpfer Schlag und ein leises Stöhnen drang zu ihm hin. Dann war es plötzlich wieder dunkel, sobald die Tür zu war und Gerrit schloss die Augen wieder, um die Lichtflecken loszuwerden, die vor seinen Augen tanzten.

Als er die Augen wieder öffnete, war Malia bereits an den Körper herangekrochen und untersuchte die Person, die eben zu ihnen befördert worden war. Leise stellte sie Fragen und die andere Person antwortete. Es waren leise Antworten, die beinahe keinen Rückschluss auf die Identität boten, doch die Stimmfarbe und die Art der Antworten ließ für Gerrit keinen Zweifel zu. Er erkannte die Stimme, da er sie jeden Tag in den unterschiedlichsten Höhen, Tiefen und Lautstärken hörte. Ein Schauer lief ihm den Rücken hinab, als er erneut versuchte in der Dunkelheit etwas zu erkennen, doch er sah immer noch nichts. Es half nichts, er musste es einfach wissen. Gerrit hielt beinahe den Atem an, während er Kraft sammelte eine Frage zu stellen.

Wo ist Gerrit Grass?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt