So vorsichtig wie möglich schlichen Robert und Max die enge Treppe hinab in den Keller. Da sie den Lichtschalter nicht betätigen wollten, um damit versehentlich etwaige andere Mittäter aufzuscheuchen, hatte Max ihre Lampen aus dem Auto geholt. Die Waffen im Anschlag bewegten sich die zwei Männer hintereinander durch den muffigen Keller. Die offene Waschküche hatten sie recht schnell gesichert, doch es gab noch drei weitere Türen hier unten, hinter denen sich jemand verbergen konnte. Mit Gesten und Blicken verständigten sich die beiden, mit welchem Raum sie anfangen würden. Max bezog Stellung neben der Tür und Robert öffnete sie. Die Kegel ihrer Lampen glitten durch einen größeren Raum mit einem kleinen Fenster und Decken auf dem Boden. Robert erkannte den Keller aus dem Erpresservideo wieder und ging direkt zu der Stelle, wo er wusste, dass Alex und Gerrit gelegen hatten. Er musste die Lampe nicht auf den Boden richten, um den getrockneten Blutflecken sehen zu können. Eine kalte Hand schloss sich um sein Herz, als er die Menge Blut sah, die dort in der Decke getrocknet war. Gerrit hatte wirklich keine guten Chancen bei solch einem hohen Blutverlust. Aber wenn er nicht hier war, wo konnte er sein? Robert ließ den Blick durch das Zimmer streifen und fing Max‘ Blick auf, der die nächste Kellertür öffnen wollte. Robert riss sich vom Anblick der blutigen Laken los und folgte Max. Sobald sie hier alles gesichert hatten, würde die Spurensicherung hier jeden Stein umdrehen müssen. Hoffentlich hatte Alex am Flughafen wenigstens Glück mit der Festnahme der Ganoven.
Im zweiten Kellerabteil, das sie sicherten, fanden sie lediglich alte Bierkästen und verstaubte Einmachgläser, die aussahen als wären sie schon Jahre hier. Es sah aus als wäre die Einschätzung von Max richtig, dass es sich hier um ein leerstehendes Haus handelte. Den nächsten Raum öffnete Max und Robert stürmte zuerst in das Zimmer. Es roch hier etwas schimmlig und auch hier lag Staub. Roberts Schritte wirbelten kleine weiße Punkte umher, die ihn niesen ließen. Als er das Zimmer mit seiner Lampe ausgeleuchtet hatte und er niemanden entdecken konnte, schaltete Robert endlich das Licht an. Nun konnte er sehen, dass an den Wänden graue Regale standen auf deren Brettern verstaubte Decken lagen. Lediglich ein Regal war in einem der oberen Fächer staubbefreit, dort waren wohl die Decken aus dem Gefängnis seiner Kollegen entkommen worden, vermutete Robert. Dann bemerkte er die Fußspuren, die im zentimeterdicken Staub zurückgeblieben waren. Aufmerksam sah er sich um, die Schritte waren nicht nur von der Tür zum Schrank und zurück, sondern auch in die linke Ecke des Zimmers zu sehen. Dort lagen prall gefüllte blaue Tüten, in denen vermutlich eine Art Müll oder Altkleider enthalten waren. Doch keiner der Säcke war groß genug, um einen Menschen aufzunehmen. Jedenfalls nicht, wenn der Mensch in einem Stück war.
Robert lief ein Schauer den Rücken hinab und er tauschte einen Blick mit Max, der ebenfalls stirnrunzelnd in die Ecke sah, bevor er sich gleichzeitig mit Robert in Bewegung setzte. Atemlos öffnete der Jüngere den ersten Sack und fand nur alte Stoffe darin. Ein Blick zu Max in dessen erleichtertes Gesicht sagten ihm, dass auch dieser keine zerstückelte Leiche gefunden hatte. Doch im nächsten Moment zuckten beide zusammen, als ein gedämpftes Stöhnen zu hören war. Sofort hatte Max seine Waffe in der Hand während Robert vorsichtig die Säcke beiseite räumte. Dahinter lag ein eingerollter Teppich aus dessen linker Seite in braune Schuhe eingepackte Füße herausschauten. Sein Kollege trug braune Schuhe. Hatten die Männer Gerrit einfach zum Sterben in den Teppich gewickelt in der Hoffnung niemand würde ihn finden? Den Kopf konnte Robert nicht sehen, denn der war in den Teppich eingewickelt und die Person musste Schwierigkeiten beim Atmen haben. Erneut stöhnte es gedämpft und von Angst getrieben zerrte Robert den Teppich nach vorne, um Gerrit aus dem Teppich zu befreien.
Am Flughafen wischte sich Alex einmal kräftig über die Augen, sie war geschlaucht von den letzten Tagen, es war einfach zu viel Aufregung gewesen. Müde beobachtete sie, wie sich die Abflughalle leerte und die beiden Ganoven weggebracht wurden. Am liebsten hätte sie sich auf eine der Bänke gelegt und geschlafen. Doch sie konnte nicht schlapp machen, nicht, bis sie Gerrit gefunden hatte. Warum nur hatte sie nur von Michael oder Robert noch nichts gehört? Im nächsten Moment fiel ihr der Denkfehler auf – sie hatte ja auch kein Handy dabei auf dem die beiden anrufen konnten. Ob sie wohl Kommissar Herz um ein Telefon bitten konnte?
Ein leichter Tumult am Rande von Alex‘ Blickfeld ließ sie aufsehen, doch Simon hatte sich neben ihr schon in Bewegung gesetzt, bevor sie überhaupt begriff, was los war. Der junge Streifenpolizist stieß einen Warnlaut aus und zog seine Dienstpistole, denn rechts von ihnen stand die Freundin des Ganoven und sie sah mit einem Mal nicht mehr so durcheinander aus. Im Gegenteil, ihre Augen blitzen, während ihre linke Hand die sie versorgende Sanitäterin in einer Art Schwitzkasten als Schild vor sich hielt. Malia Pohl hatte plötzlich eine Waffe in der rechten Hand, die sie auf Alex richtete, die überrascht wie festgeklebt dastand. Langsam hob die Kommissarin die Hände hoch, während sie ungläubig fragte: „Malia? Was soll das? Willst du nicht, dass der Spuk endlich ein Ende hat? Wir wollen dir doch nur helfen!“ Die Frau ließ ihre weinerliche Fassade fallen und lachte hämisch: „Helfen?! So ein Blödsinn, seit die Polizei hierin verwickelt ist, geht die ganze Operation bergab! Erst musste geschossen werden und jetzt kommst du auch noch aus dem Auto raus und machst Stress. Hättet ihr euch nicht einfach raushalten können?“ Alex sah die Wut in den Augen der Frau und so langsam verstand sie, was hier gespielt wurde. „Du bist kein Opfer deines Exfreundes! Du hast mitgemacht, das war alles euer Plan, alles ein abgekartetes Spiel! Du warst nicht in dem Keller, weil dein Freund dich entführt hat, du warst freiwillig dort! Wolltest du wirklich verhindern, dass mein Kollege stirbt oder war das nur Teil eures perfiden Planes? Vertrauen erschleichen, so tun als wärst du hilfsbereit und uns dann von vorn bis hinten anlügen, um davon zu kommen?“, Alex war außer sich. Wie konnte diese Frau nur so kalt, berechnend und dreist sein?
„Sie hätten meinem Kollegen helfen können! Sie hätten etwas tun können, dass er in ein Krankenhaus kommt! Das ist unterlassene Hilfeleistung und dafür wandern Sie ewig hinter Gitter!“, fauchte die Kommissarin und sie registrierte, wie Simon neben ihr nervös das Gewicht verlagerte. Doch ihr Blick ruhte auf der Frau vor sich, die die Arroganz besaß Alex direkt ins Gesicht zu lachen. „Warum sollte ich meinen letzten Trumpf aufgeben? Die Sache ist recht einfach. Ihr lasst meine Freunde mit dem Schmuck frei und uns ins Ausland reisen. Dann verrate ich euch, wo ihr euren Kollegen findet. Wenn nicht, werdet ihr den armen Gerrit so schnell nicht mehr finden. Jedenfalls nicht bevor es zu spät ist. Ob es ihm wohl erst zu kalt wird, bevor er verblutet?“, höhnte Malia und Alex wäre ihr am liebsten ins Gesicht gesprungen, doch sie wagte sich nicht zu rühren. Wo hatte Malia die Waffe her? Und wie war es ihr gelungen sie bis ins Terminal zu bekommen? „Malia hör auf mit den Dummheiten. Du hast selbst gesehen, wie viele Polizisten hier auf dem Gelände sind, du kommst hier ja doch nicht weg. Bitte gib auf.“, versuchte es Alex mit Vernunft, doch sie erkannte schnell, dass das zu nichts führte. „Vergiss es, du blöde Ziege. Her mit den Diamanten und meinen Kumpanen, sonst ist die Geisel tot.“, zischte Malia und Alex‘ Blick zuckte zu der Sanitäterin. Sie musste die Frau in Sicherheit bringen. Sie sah das grimmige, aber zuschlagbereite Gesicht des jungen Kollegen neben ihr, der aussah als wolle er auf die Frau losgehen und bat ihn leise: „Nicht. Wir dürfen die Geisel und meinen Kollegen nicht gefährden. Gib mir den Schmuck.“
Ohne den Blick von Malia Pohl abzuwenden, griff Simon in die Jackentasche und übergab das Säckchen an Alex. Diese konnte das Zähneknirschen, das diese Bewegung begleitete, deutlich hören. Doch Alex ignorierte es und trat mit erhobenen Händen zwei Schritte näher an die bewaffnete Frau heran. Malias Waffenschlund folgte ihren Bewegungen. „Hör zu, du bekommst keinen der Männer mit, sie wurden bereits weggebracht. Aber ich gebe dir die Diamanten und du lässt dafür die Frau frei.“, sagte Alex ruhig, die Augen auf Malia Pohl geheftet. Die Frau wusste genau, dass sie neben einem Notausgang stand und auch Alex war klar, dass das ihr Fluchtweg sein würde, gegebenenfalls mit Geisel. Sie hoffte, dass das die anderen Kollegen auch erkennen würden. „Ich gehe hier nicht ohne meine Freunde. Gebt mir einen Fluchtwagen und die Diamanten, oder ihr seht euren Kollegen Grass nicht wieder.“ Da war sie wieder - die Drohung, die Alex‘ Herz zu Eis werden ließ. Wenn sie jetzt den falschen Schritt machte, würde sie Gerrit niemals wieder sehen, dessen war sie sich sicher. Doch sie konnte der Frau auch nicht geben, was sie wollte. „Hör zu, du kannst die Diamanten und dazu mich als Geisel haben. Aber lass die Sanitäterin gehen, sie hat dir nichts getan.“
Alex bemerkte die hektische Bewegung links neben sich und konnte sich gut vorstellen, wie Kollege Gruber neben ihr sie panisch oder vorwurfsvoll anstarrte. Alex musste beinahe lächeln, verkniff es sich jedoch, um Malia nicht zu verunsichern und zu einer unüberlegten Tat zu provozieren. Aber es war als stünde sie neben ihren regulären Kollegen und machte wieder etwas Verrücktes, was diese nicht guthießen. Es war trotz der Situation ein schönes Gefühl. Malia Pohl dachte zwei Momente über Alex‘ Vorschlag nach, dann nickte sie. Alex warf dem jungen Kollegen neben sich einen raschen beruhigenden Blick zu, dann ging sie langsam auf die Frau mit der Waffe zu.
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Wo ist Gerrit Grass?
FanficIch habe in meinem virtuellen Kabuff meine allererste Geschichte gefunden.. aus 2006. Das hätte eigentlich mal meine erste Story werden sollen, aber sie hat nie das Licht der Welt erblickt. Aber besser spät als nie heißt es doch :) Gerrit wird Opfer...