Gemeinsam saßen Robert und Michael im von Max ausgeliehenen Dienstwagen, wobei Robert sich hinten am Rücksitz ganz klein machte. Michael selbst hatte neben sich die gelbe Plastiktüte gelegt, in deren Verschlussband der Peilsender versteckt war. Es war ein Risiko, das sie eingehen mussten, um an den Aufenthaltsort ihrer Kollegen heranzukommen und es war auch ein wenig ihre einzige Möglichkeit. Die Fahrt verlief schweigsam, denn ein jeder Kommissar hing eigenen Gedanken und Befürchtungen nach. Es war beinahe zwölf als sie am vereinbarten Treffpunkt angekommen waren. Robert war noch vor ihrem Eintreffen vollständig auf der Rücksitzbank abgetaucht und bewegte sich auch nicht, als Michael das Auto verließ. Es war wichtig, dass er nicht zu sehen war für den Fall, dass die Ganoven ebenfalls vorher am Übergabeort waren. Sein eigener Atem erwärmte die Luft vor seinem Gesicht und Robert begann zu schwitzen, während er darauf wartete, dass Michael die Tüte wie gewünscht ablegte. Seine innere Anspannung verebbte auch nicht, als Michael das Auto schließlich wieder betrat. Seine Lippen bewegten sich nicht, doch Robert verstand ihn gut. „Ich habe niemanden gesehen. Wir warten kurz, ob der Erpresser die Diamanten direkt holen kommt. Vielleicht hat er auch bemerkt, wo ich stehe, und wartet darauf, dass ich losfahre.“ Michael verstummte, doch startete das Auto nicht. Robert tauchte vorsichtig auf und lugte nach vorn. Von hier aus hatten sie den Mülleimer gut im Blick, waren aber ihrerseits durch eine Hecke von unliebsamen Blicken geschützt.
Es befand sich kaum jemand hier an der Westseite des Friedhofs und so konnten die Kommissare jederzeit erkennen, ob jemand zu diesem Mülleimer ging. Michael war kurz davor aufzugeben und wegzufahren, da näherte sich von rechts ein dunkelblauer Roller auf dem zwei Personen saßen. Sofort versteifte sich Michael und seine Hände umklammerten das Lenkrad fester. Konnte das der Entführer sein? Hatte er etwa einen Komplizen? Er wartete atemlos, dass jemand abstieg, doch der Roller fuhr vorbei und Michael resignierte. Er ließ den Motor an und wollte Robert eben signalisieren, dass der vorkommen konnte, da kam der Roller wieder zurück und der Hintermann sprang ab, schnappte sich die Tüte aus dem Mülleimer und hantierte kurz damit herum. Plötzlich flog die gelbe Tüte in hohem Bogen davon und der Unbekannte sprang wieder auf den Roller auf.
Die beiden auf dem Roller brausten los und Michael setzte sofort zur Verfolgung an, denn ohne die Tüte und den Peilsender würden sie den Roller verlieren! Wie gut, dass er so lange gewartet hatte und nicht gleich weggefahren war. Robert setzte sich hinter ihm gerade hin, zurrte den Sicherheitsgurt enger und hielt sich an dem Griff über der Tür fest, um sich bei der wilden Fahrt nicht zu verletzen. Michael versuchte dem Roller möglichst schnell jedoch unauffällig zu folgen und ihn währenddessen trotzdem nicht aus den Augen zu verlieren. Das hintere Kennzeichen war von einem schwarzen Tuch behangen, das immer wieder zur Seite wehte und nicht erkennbar, was Michael dazu veranlasste wieder näher heranzufahren, damit er das Kennzeichen bei Gelegenheit entziffern konnte. Der Roller bog in eine Sackgasse ab und vorsichtig setzte Michael ebenfalls um die Ecke. Ob sie wohl am Ziel ihrer Reise waren? Ihr Wagen schon, musste Michael schnell feststellen, denn der Roller fuhr weiter und hielt geradezu auf einen von Metallpfeilern blockierten Fußgängerpfad durch den Park zu. „Scheiße, die wollen uns abhängen!“, fluchte Michael und gab noch einmal Gas. Doch es hatte keinen Zweck, durch das Abstand halten hatten die Männer einen guten Vorsprung herausgefahren und sie konnten nicht mehr eingeholt werden, bevor sie die Absperrung passierten. Mit quietschenden Reifen hielt Michael vor der Absperrung an, die ihn daran hinderte, dem Roller zu folgen und kurz erlaubte er sich mit der Faust aufs Lenkrad zu schlagen. Das Geräusch einer zuschlagenden Autotür irritierte ihn kurz, dann sah er Robert an der rechten Seite vorbeisprinten und die Verfolgung aufnehmen. Kurz überlegte Michael ihm nachzurennen, doch er entschied sich dagegen. Den Vorsprung den Robert hatte konnte er sowieso nicht mehr aufholen, stattdessen zückte er sein Handy und bat um Hilfe zum Absperren eines Parameters um ihren Aufenthaltsort. Bang blickte er seinem Kollegen nach, der hinter einer Reihe Büschen verschwand.
Robert rannte wie von Wespen gestochen weiter. Er ignorierte seine schmerzende Lunge, der er gerade alles abverlangte. Er rannte gegen einen motorisierten Roller an, der ihm um einiges voraus war. Es war ein Ding der Unmöglichkeit das Gefährt einzuholen, aber vielleicht wurden die Täter ja langsamer. Verzweiflung trieb den Kommissar an, während er dem Geräusch des Rollers folgte. Er konnte den Motor zu seiner linken hören und als er um die nächste Ecke lief, sah er den Roller weiter geradeaus fahren. Also wurden die Männer doch langsamer, vielleicht damit man sie nicht versehentlich kontrollierte. Er folgte dem blauen Roller weiter und seine kurzen Atemstöße halfen ihm, in einen Zustand der Konzentration zu kommen, während das Trommeln seiner Füße über den Boden seinen Sprint mit regelmäßigem Rhythmus begleitete.
Einatmen. Ausatmen. Durchhalten. Weiterrennen.
Erneut verschwanden die Ganoven hinter einer Biegung und das Motorengeräusch wurde wieder leiser. Robert hetzte hinterher und kaum, dass er dort angekommen war, wo der Roller verschwunden war, sah er erst hierhin, dann dorthin, doch konnte die beiden Unbekannten nicht mehr sehen. Robert hatte noch gehofft, dass sie irgendwo stehen bleiben würden, sobald sie sicher waren, dass sie nicht verfolgt wurden, doch er konnte weiterhin das stetige Stottern des Motors hören. Nur wurde das Geräusch immer leiser.
War Robert eben falsch abgebogen? Hatten die Ganoven einen Kreis gezogen? Der Schweiß stand Robert auf der Stirn, während er weiter durch den Wald wetzte, weiter in die Richtung, in der er den Roller wähnte. Plötzlich war das Motorengeräusch weg und Robert blieb so abrupt stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Er lauschte verzweifelt, ob er aus irgendeiner Richtung noch Lärm hörte, doch es war unheimlich still. Lediglich ein fröhlicher Vogel sang ihm ein Lied vor, doch das verschwundene Knattern verriet ihm nur eines: der Roller war weg. Keuchend stemmte er die Hände auf die Oberschenkel und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Verzweiflung überkam Robert, wie hatte er nur so versagen können? Sie hatten die Ganoven mit den Diamanten abhauen lassen und hatten nicht einmal etwas davon. Keinen Hinweis auf die Ganoven, keinen Hinweis auf den Aufenthaltsort ihrer Kollegen und keinen Plan, was sie nun tun sollten. Sie hatten versagt wie es sonst nur Anwärter, Kadetten und blutige Anfänger taten. Unwissend wie ein Auszubildender kam er sich vor. Robert ging an der nächstbesten Stelle aus dem Wald hinaus und betrachtete die Umgebung. Er befand sich in einer Wohnsiedlung, deren Reihenhäuser sich rechts an der Straße entlang wie eine Schlange wanden und auf die vier Hochhäuser wie dunkle bedrohliche Balken ihre Schatten warfen.
Robert besah sich den Straßennamen und prägte ihn sich gut ein, dann drehte er sich mit schweren Schritten um und ging dahin, wo er Michael zurückgelassen hatte. Er hätte ihn anrufen und ihn bitten können ihn abzuholen, doch Robert fühlte sich so nutzlos, dass er lieber erst einmal selbst mit seinem Versagen klarkommen wollte, bevor er seinem Kollegen gegenübertrat. Was Michael wohl nun von ihm halten würde?
Doch der war nicht einfach untätig sitzen geblieben und hatte auf Robert gewartet. Michael stand an sein Auto gelehnt direkt vor den Metallpfeilern und wartete auf Rückmeldung der Zentrale, während er einen schwarzen Fetzen Tuch in der Hand hielt. Er hatte bereits eine Halterabfrage nach dem Roller machen lassen, denn als der Roller durch die beiden Metallpfeiler gefahren war, hatte sich das Tuch verfangen und war gerissen, sodass das Kennzeichen sichtbar war. Doch er hatte die letzten zwei Zahlen auf die Entfernung nicht richtig erkennen können und so hatte er direkt einige Kennzeichen abgefragt. Michael dachte eben noch bei sich, ob Robert wohl erfolgreich gewesen war, da sah er seinen Kollegen schon aus dem finsteren Wäldchen treten. Michael brauchte keine Antwort, um die Antwort zu erkennen. Robert hatte den Roller verloren und fühlte sich deswegen Elend. Michael legte sich die passenden Worte zurecht, immerhin war es Wahnwitz davon auszugehen, dass jemand zu Fuß einen Roller einholen konnte. Er wüsste niemanden, der so etwas vollbringen konnte. Robert schlich näher und als er schließlich nah genug dran war, hielt Michael sich nicht lange mit der schief gelaufenen Übergabe auf und gab seinem Kollegen stattdessen die neuen Informationen mit.
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Wo ist Gerrit Grass?
FanficIch habe in meinem virtuellen Kabuff meine allererste Geschichte gefunden.. aus 2006. Das hätte eigentlich mal meine erste Story werden sollen, aber sie hat nie das Licht der Welt erblickt. Aber besser spät als nie heißt es doch :) Gerrit wird Opfer...