10 | Abgrund

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K A P I T E L 10

Als ich fertig umgezogen zurück in das Zimmer von Alaric trat, saß dieser breitbeinig, den Oberkörper nach vorne gelehnt und sich mit seinen Unterarmen auf den Oberschenkeln abstützend auf der Kante seines Bettes. Während des Laufens, musste ich die Jogginghose am Bund festhalten, damit sie nicht herunterruschte.

Sobald das Geräusch der sich schließenden Tür erklang, schaute er auf und wich ein Stück zur Seite, um mir Platz zu machen, damit ich mich neben ihn setzten konnte, was ich dann auch tat.

Ich wusste, dass dies ein ernstes Gespräch werden würde, konnte die Spannung, welche zwischen uns in der Luft lag mit jeder Faser meines Körpers spüren. Sie schien fast greifbar.

Nervös spielte ich mit meinen Fingern und verschränkte dann die Arme fröstelnd ineinander. Obwohl ich nun die kuscheligen Klamotten von Alaric anhatte und wir auch im warmen waren, war mir noch immer kalt. Vielleicht lag es aber auch an der Nervosität, welche meinen Körper unter Strom versetze und den Verstand in meinen Kopf ausschaltete.

Schließlich, nach einer mir schier endlos erscheinenden Zeit, brach er die Stille mit einem Räuspern, was mich dazu veranlasste, gespannt die Luft anzuhalten. Mein Körper stand so sehr unter Spannung, dass ich Angst hatte, meine Muskeln würden jeden Augenblick reißen können.

"Wieso bist du vor mir weggelaufen?", seine Stimme war leise und rau. So, als hätte er tagelang nicht gesprochen.

"Wieso hast du gesagt, dass ich nicht dein Gefährte bin?", der Schmerz war unüberhörbar in seiner Stimme zu hören und sein Blick brannte auf mir. Ich traute mich nicht, ihn auch anzuschauen. Zu groß war die Angst vor dem, was ich in seinen Augen finden würde. Alleine der Klang seiner Stimme und die Erinnerung daran, wie verletzt er bei meinen Worten in der Turnhalle ausgesehen hat, brachten mein Herz dazu, sich schmerzvoll zusammenzuziehen.

Seine Worte hingen in der Luft. Überfordert stieß ich den Atem aus, welchen ich zuvor in meinen Lungen gefangen gehalten habe und ließ mein Gehirn auf der Suche nach einer guten Antwort auf Hochtouren laufen, doch dieses schien auf einmal wie leergefegt.

Ich wollte es für den Moment vielleicht noch nicht wahrhaben, aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass er mein Mate war. Er war es ebenso wie Noah es gewesen ist. Ich spürte die Verbindung mit jeder Faser meines Körpers, meines Daseins. Ich konnte es einfach nicht länger leugnen, vor allem, da ich nun die Wahrheit kannte. Und er sollte sie auch wissen. Ich fühlte mich nicht in der Lage, mit ihm darüber zu reden, ich hatte noch nie mit jemanden über den Tod von Noah geredet, doch ich konnte ihn ebenso wenig anlügen. Alleine der Gedanke daran ekelte mich an.

"Weil-", ich brach ab. Erschrocken über meine eigene Stimme, welche in dem Moment so brüchig und rau klang, als hätte ich stundenlang geweint. Und auf einmal spürte ich die Tränen, welche mir in die Augen stiegen und, ohne auch nur eine Chance gehabt zu haben sie aufzuhalten, zurück zu drängen, liefen sie über meine erhitzten Wangen und hinterließen nasse Spuren auf diesen und einen salzigen Geschmack auf meinen Lippen.

"Ich-", durch ein Schluchzen unterbrochen brach ich wieder ab und spürte seine starken Arme, welche mich ohne Unschweife an seinen Körper zogen. Er strahlte so viel Wärme und Geborgenheit aus, dass ich augenblicklich aufhörte zu frieren und die Anspannung aus meinen Muskeln wich.

Alle Dämme, die zuvor noch da gewesen zu sein schienen brachen und ich begann hämmungslos zu weinen und zu schluchzen. Mein Körper bebte an seinem und alles was er tat, alles was er tun musste, war, mich in seinen Armen zu halten, dicht an seinen Körper gepresst, sodass kein Blatt mehr zwischen uns gepasst hätte. Sein Kinn ruhte auf meinem Kopf und seine Hände strichen beruhigend über meinen Rücken, wo sie eine kribbelnde Spur hinterließen.

In diesem Moment, als ich weinend in seinen Armen lag, spaltete sich mein Innerstes.

Einerseits wollte ich Noah treu bleiben und andererseits wusste ich, dass Alaric genauso wie Noah mein Mate war und, dass ich Alaric brauchte, um nicht vollends kaputt zu gehen, denn ich stand nur wenige Zentimeter vom Abrgrund entfernt und auch wenn ich den Alpha gar nicht kannte, war er der Einzige, der es schaffen konnte, mich zu retten. Und verdammt ja, ich wollte gerettet werden!
Diese Erkenntnis, dass ich ihn brauchte,  tat weh und war guttuend zugleich. Denn nun wusste ich, was zutun war und es viel mir leichter dies zu akzeptieren, als ich mir vor Augen rief, dass Alaric ein Alpha war. Er hatte ein Rudel, welches es zu führen und zu beschützen galt und ich war seine Mate. Ich gehörte an seine Seite, denn wenn ich mich von ihm fernhielt, würde nicht nur ich daran kaputt gehen, sondern auch er und das Rudel würden daran zerbrechen.

Es war nunmal unsere Bestimmung, vorgeschrieben zu bekommen, an wen wir uns für den Rest unseres Lebens banden und wen wir gezwungen waren zu lieben, doch das war auch nicht immer schlecht, oder?

Man wusste, dass man bedingungslose Liebe empfinden und zurückbekommen würde, was für viele, so wie auch für mich gerade, ein Hoffnungsschimmer in der Dunkelheit war. In Alaric hatte ich einen Anker gefunden, der zugleich auch mein rettender Felsen im tosenden Meer war, welches mich ohne ihn, in die unendlichen Tiefen hinausziehen würde.

Ich brauchte ihn, dass wurde mir in dem Moment so klar wie noch nie.
Ich brauchte ihn, um endlich wieder leben zu können und um meiner Bestimmung nachgehen zu können und er brauchte mich. Er brauchte mich, genauso wie es sein Rudel tat und wie viele andere Rudel oder einzelne Lykaner vermutlich auch.

Ich war ein Kind der Mondgöttin und ich würde diese Aufgabe mit Ehre erfüllen!

Während meiner Gedankengänge habe ich mich, ohne es zu bemerken, wieder beruhigt. Mein Körper hatte aufgehört zu beben und die Tränen hatten aufgehört wie in Sturzbächen über meine Wangen zu laufen.

Trotzdem lag ich noch immer in Alarics Armen und wollte dort erstmal auch nicht wieder weg.

Als er sich sanft von mir lösen wollte, krallte ich mich in seinem Hemd fest - welches ich durch meine Tränen bestimmt durchnässt hatte und jetzt durch meinen Griff zerknitterte - um ihn an seinem Vorhaben zu hindern.

"Bitte, lass mich nicht los", flüsterte ich.

Eine Bitte, hinter der so viel mehr steckte. Er sollte mich für den Augenblick weiterhin in seinen Armen halten aber vor allem wollte ich, dass er mich niemals alleine ließ. Dass ich niemals das behütete Gefühl missen musste und, dass er mich nicht in die Fluten stürzen ließ, welche noch immer unter mir darauf warteten, mich mit sich zu reißen.

forever mate *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt