Selbsterkenntnis

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Nach einem Rüffel von Jenna und der bitte Alexandra nicht so offensichtlich vor der Kamera zu denunzieren, fuhr Melissa ins Hotel.
Sie ließ auch direkt an, was sie trug, ohne sich verschwitzt in ihre Jeans zu zwängen und machte sich auf die Suche nach ihrem Fahrer. Duschen und umziehen war ihr jetzt wichtiger, als sich wegen so einer nervigen und oberflächlichen, dummen Kuh aufzuregen. Ihren Koffer packte sie gar nicht erst aus, sondern klappte ihn auf dem Tisch so aus, dass sie bequem an alle Kleidungsstücke herankam.
Für die verschwitzten, hatte sie einen extra Beutel, den sie sich als Erstes aus der Tasche zog um ihre Sportkleidung loszuwerden.
Nach einer ausgiebigen Dusche, rief sie direkt Kate an um ihr von dem Erlebten zu erzählen.

„Du hast das nicht getan!" Kate kam aus dem Lachen nicht mehr heraus. „Doch habe ich! Ich habe die Kamera schon nicht mehr bewusst gesehen und die ging mir echt einfach zu weit! Ich wollte mich ja erklären, aber wenn sie mir mit ihrem Mist ins Wort fällt, Pech." Während Kate vor sich hin japste, zog Melissa ein Teil nach dem anderen aus ihrem Koffer, um sich ein Outfit zusammenzustellen.
Sie hatte ausschließlich neue Klamotten dabei und außer, der *passen die überhaupt* Trageprobe, noch nicht weiter damit ausprobiert, was zusammenpasst.
„Und wie sind die anderen so? Ich meine, den Herren Sporttrainer hast du ja schon 'beeindruckt'." „DU kannst froh sein, dass du am Telefon und nicht im Raum bist. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, ich werde sie heute erst etwas besser kennenlernen, wir treffen uns gleich zum Mittagessen. Alles in allem, werde ich mir ein paar Tage Zeit geben, um sie zu Beurteilen." „Außer die Jones?" „Außer die Jones!", waren sich die Freundinnen einig.

In einem Knie langen Stretch Rock in Bordeaux und einer schwarzen Bluse, stand sie vor dem Spiegel. „Nicht schön, aber selten!"
Eine große, Gold-schwarze Statement Kette, legte sich um ihren Hals und baumelte auf ihrem Bauch. Ihre schwarzen Sneaker passten ganz gut dazu, denn Absätze, waren einfach nicht ihr Fall. Für die war sie zu groß und zu schwer.
Die langen, schokobraun getönten Haare, ließ sie diesmal über ihren Schultern liegen, statt sie in eine Klammer zu zwingen.
Die Wimpern klebten noch gut an ihren eigenen und mit einem getönten, Lippenpflegestift, brachte sie etwas Farbe in ihr Gesicht.
Mit dem Smartphone machte sie im Badezimmer noch ein Foto für Kate und machte sich, nach deren ok, mit einer Handtasche und ihrem Notizbuch auf dem Weg zum Wagen.

>> Viel Spaß und melde dich heute Abend bei mir! Kate<<

Melissa schmunzelte, ihre Freundin war wirklich immer für sie da, auch wenn sie verdammt neugierig war. Im Diner war sie die erste, aber das war durchaus ok, denn so konnte sie sich die Karte vorab ansehen und entscheiden, was sie essen würde und konnte.
Wie es typisch für amerikanische Diner war, war das meiste überfüllt mit überflüssigen Kalorien, Kohlenhydraten Zucker und Fett.
„Bei dem Salat muss das Dressing getauscht werden, die können sicherlich auch ohne Zucker arbeiten. Fisch haben sie natürlich nicht, aber Schrimps, das ist doch wenigstens etwas." Sie murmelte vor sich hin und bemerkte nicht, wie sich jemand neben sie setzte.
„Also ich empfehle das vegetarische Gericht, da kann man sich ohne Probleme noch ein Steak oder die Schrimps dazu braten lassen." Kurz zuckte sie zusammen und sah dann zu ihrer rechten. „Herrgott, musst du mich so erschrecken? Das gehört nicht zu meinem Vertrag und alles, was Gesundheitlich nicht gut ist, ist untersagt!" Grinsend sah sie ihren Trainer an. Ein tiefes Lachen gurgelte aus seiner Kehle. „Ok, Punkt für dich, ich werde mich bemühen dich in Zukunft nicht mehr zu erschrecken. Ich quäle dich lieber!" Scharf sog sie die Luft ein. „Erinnre mich nicht dran, ich hasse dich sonst jetzt schon!" Schmunzelnd nahm er seinen Kaffee entgegen. „Ich denke, damit werde ich in Zukunft leben müssen. Gab es noch ärger?" Melissa schüttelte leicht den Kopf. Ihre braunen Längen schoben sich in ihr Gesicht. „Nein, nicht wirklich. Jenna hat mir nur nahegelegt, solche Sachen nicht vor der Kamera anzusprechen. Nur bin ich ehrlich, wenn sie mich angreift, muss sie damit rechnen. Ihr alle, übrigens!"

Abwehrend hob er die Hände. „Ich werde mich hüten! Ich will Beleidigungen, der netten Art, nur beim Sport hören. Hat Dr. No schon was gesagt oder muss ich mir gleich selbst ein Bild von dir machen?" Augenrollend legte sie die Karte weg, in die sie die ganze Zeit gesehen hatte, um Augenkontakt zu vermeiden, so war sie mutiger. „Er bringt dir sicherlich seine Aufzeichnungen mit. Den Rest bekommst du per E-Mail. Also sagen wir so, mich hat es nun nicht direkt wieder vom Ergometer gehauen, aber begeistert war ich eben so wenig wie er.
Ich habe eine gute Knochendichte und optimale Muskelmasse, aber ich trinke zu wenig, da bin ich nicht Mal bei 40% Körperwasser.
Der Fettanteil ist, oh Wunder, viel zu hoch. 47% meine ich. Aber das wird er dir ja gleich selbst sagen."
Colby nickte und nippte an seinem Kaffee. „Ich schätze dich für so Intelligent ein, dass du weder dich noch mich anlügen würdest, deshalb möchte ich das wir immer ehrlich und offen miteinander umgehen, ohne drum herumzureden." Melissa sah ihn an und nickte. „Ja bitte, das umschreiben, geht mir auf den Geist, das muss ich beruflich jeden Tag. Es bringt mir nichts, wenn ich das hier..." sie nahm etwas ihrer Fettschürze zwischen zwei Finger. „.. Speckring nennen würde. Es ist nun mal ein Fettschütze und gefährlich."
„Dann sind wir uns da ja einig! Dass dein Fettanteil viel zu hoch ist, sieht jeder, da kann man auch nichts schönreden! Das Trinken werden wir üben und bei dem Sport, den wir machen, wirst du mehr trinken als jetzt, viel mehr!"
„Du tust es schon wieder." Colb wendete sich in ihre Richtung. „Was?" „Du erinnerst mich an Sport und das ich dich hassen werde."

„Schön das ihr schon da seid, lasst uns an unseren Tisch gehen." Jenna tauchte hinter ihnen auf und lief dann auf direktem Wege zum hinteren Teil des Diners. Dort stand ein größerer Tisch, an den sie sich setzte. „Ich habe von Dr. No die E-Mail bekommen, sieht ja gut aus und wird Colby sicherlich gefreut haben!", grinste sie die beiden an und wischte dann erneut auf ihrem Tablet herum.
„Mich? Wieso?" Colb setzte sich neugierig neben sie und schaute sich an, was sie ihm zeigte.
„Der Belastungstest sieht hervorragend aus, damit kann man arbeiten!" Sein Grinsen wurde breiter und Melissa in ihrem Stuhl immer kleiner. „Oh bitte, bring mich nicht gleich am ersten Tag um!" Colby und Jenna fingen an zu lachen. „Wann denn sonst? Du gewöhnst dich ja daran und irgendwann, wirst du die Übungen von der ersten Woche machen und mich fragen, wann wir mit den Aufwärmübungen aufhören!" „Das Bezweifle ich noch, aber ich lasse mich gerne überraschen! Wie werden wir das eigentlich machen, wenn ich wieder in Boston bin?"
Schmunzelnd ließ er sich im Stuhl zurück und sah sie sich genau an. „Nun, eigentlich dachte ich, ich hätte das Vergnügen dich ein Jahr in meinen vier Wänden zu quälen, aber scheinbar zierst du dich schon, ehe ich angefangen habe."
Melissa spürte wie die Hitze und Aufregung in ihrem Magen startete. „Wie genau ich es in meinen Plan einwerfen kann, weiß ich noch nicht, aber, ich habe Freunde, die mir helfen werden!" „Das heißt?" Nun wurde Jenna ebenfalls neugierig. „Meine ehemaligen Kollegen werden mich unterstützen. Je nachdem wer gerade Zeit hat, wird dann zu Melissa fliegen und sie bei ihrem Workout unterstützen und es gegebenenfalls anpassen. Sie wird sich ja unweigerlich steigern. Ich denke, wenn einmal die Woche jemand vorbeisieht, sind wir auf dem richtigen Weg. Du musst mir nur versprechen, dass du mindestens dreimal die Woche, meinen Plan verfolgst und es komplett durchziehst! Wenn du es nicht tust, wird es länger dauern, bis du fit genug bist dich zu steigern. Je mehr Sport du machst, umso höher wieder dein Kalorienverbrauch. Ergo, du wirst eine 4. Mahlzeit bekommen und du nimmst ab. Wenn du dich selbst belügst, belügst du mich und das wollten wir nicht." Schnaufend sah Melissa Colb an und nickte. „Diese Motivation, die gerade durch meinen Körper fließt, herrlich!"

Die Kellnerin sah die drei lachenden Personen und schüttelte den Kopf. Das bekam sie hier eher selten zu Gesicht. Die meisten die hier hereinkamen, bestellten, aßen und verschwanden wieder.
Erneut öffnete sich die Tür und zwei Männer betraten das Diner, die sich ebenfalls an den Tisch begaben. Dr. No und Dr. Peterson, setzten sich auf die freien Plätze und legten ihre Mappen vor sich. „Schön, dass sie da sind, dann können wir ja bestellen", schaute Jenna kurz und nahm sich dann die Speisekarte. „Kommt Miss Jones nicht?" Dr. No fuhr sich durch die Haare und nahm sich dann ebenfalls eine Karte. „Nein, sie möchte im Catering essen!" Jenna schien amüsiert. Mit leichter Schamröte im Gesicht, sah Melissa in die Runde und schnappte sich dann ebenfalls eine der Karten, um sich dahinter zu verstecken.
Wie Colby empfohlen hatte, suchte sie sich eines der vegetarischen Gerichte raus und ließ sich dazu Schrimps, ein Wasser und einen ungesüßten Tee bringen. Das Essen lief entspannter ab als die Runde im Konferenzraum. Also schien Miss Jones tatsächlich einer der Störfaktoren zu sein. Das musste Melissa im Auge behalten. Entschuldigen wollte sie sich auch noch, denn Erziehung hatte sie sehr wohl genossen.

Mit Dr. No verblieb sie dabei, dass er sich melden würde, sobald die Ergebnisse da waren, nur im Ernstfall, bei Schilddrüsen oder Leber Problemen, würde er sie zu einem weiteren Gespräch einladen. Dr. Peterson hingegen wollte sie noch am Nachmittag zum ersten Gespräch treffen, das ebenfalls ohne Kamera stattfand. Sie durften nur das Treffen filmen, darauf hatte der Arzt bestanden.
„Wir treffen uns morgen früh zum Sporttest, heute lasse ich dich noch Mal in Ruhe. Es sei denn, du möchtest unbedingt, dann findest du mich später im Hotel Fitnessbereich." Colb reichte ihr die Hand und gab ihr die Nummer von dem Prepaid-Handy, das man ihm gegeben hatte. „Sollte etwas sein, was den sportlichen Teil betrifft, kannst du mich dort anrufen, ich werde mich dann um dich kümmern, wenn möglich." „Danke! Ich werde es mir überlegen", griff sie nach der Karte. „Dann sehen wir uns morgen früh." Winkend stieg er in den bestellten Wagen und ließ Melissa mit Jenna zurück.
„Muss ich noch etwas wissen?" Melissa steckte die Karte in ihre Tasche und versuchte die Notizen von Jenna zu lesen. „Dr. Peterson wird die später alles Wichtige zu den Sitzungen sagen und gegebenenfalls bekommst du da die Nummer seines Büros, um dich mit ihm in Verbindung setzen zu können." „Wo ist Jones? Ich schätze das ich um sie nicht herum komme, also werde ich mich entschuldigen und versuchen mit ihr einen Plan zu erstellen. Aber sollte sie mir wieder dumm kommen, schmeiß ich sie aus dem Plan! Und meine Wohnung wird sie ebenfalls nicht betreten, das kann jemand anderes gerne übernehmen."

>> Gleich erste Sitzung mit Peterson, ich bin gespannt. Meld mich später, Mel<<

Herzklopfen und zitternde Hände, so stand sie vor dem Büro von Dr. Peterson und traute sich keinen weiteren Schritt zu tun.
Sie wollte nicht ihr Inneres nach außen kehren, sich vor ihm Seelisch entblößen, aber sie hatte keine andere Wahl, wenn sie dem Drang zu essen, endlich entfliehen wollte. Ein paar Mal holte sie tief Luft, ehe sie an die Tür klopfte. Dumpf drang die Stimme zu ihr durch. „Kommen sie rein!" Langsam öffnete sie die Tür und lugte mit dem Kopf hinein. Das Kamerateam stand schon bereit und das Licht leuchtete rot. Sie setzte ein Lächeln auf und schritt komplett in den Raum um die Tür wieder schließen zu können. „Miss Keller, schön dass sie da sind. Wir werden uns heute mit einem kurzen Gespräch etwas Kennenlernen und dann in Zukunft, einmal die Woche, zu einem Termin treffen." Er reichte ihr seine raue Hand, mit den langen Fingern. Sein gestutzter Bart, umrahmte das lächeln, welches er ihr, wahrscheinlich für die Kamera, schenkte. „Hallo Dr. Peterson, ich freue mich auch, bin allerdings etwas Nervös, ich hatte solche Gespräche noch nicht."
Nach einem Harmlosen Geplänkel, bat er die Kamera nach draußen, um mit ihr unter vier Augen sprechen zu können.
„Miss Keller, darf ich sie Melissa nennen?" Freundlich nickend befürwortete sie seine Anfrage.
„Also, Melissa. In diesem Projekt werden die Gespräche größtenteils mitgefilmt, das hatte man, denke ich schon angesprochen. Allerdings verstehen viele ebenfalls darunter, dass sie ihre Therapie Sitzungen, anders als für meinen Beruf wichtig, öffentlich machen. Da möchte ich dich beruhigen! Ich unterliege der Schweigepflicht und werde nichts von dem, was wir hier besprechen, nach außen dringen lassen! Das, was wir im Fernsehen zeigen, sind abgesprochene Szenen. Heißt, alles wird freiwillig von den Kandidaten erzählt." Überrascht lehnte sie sich zurück und sah ihn an. „Das heißt, Mr Gibson wollte mich hinterrücks dazu bringen, auf die Tränendrüse zu drücken und Einschaltquoten zu bringen?" „Sagen wir so, je schlimmer das Leben des Kandidaten, umso mehr Presse."
„Das tut mir aber leid! Denn ich habe nicht vor, die beste Presse zu bekommen. Ich meine das hier ernst und möchte, dass man mir hilft!"

„Ich werde dir helfen Melissa. Die Stunden werden wir nutzen um uns zu unterhalten, dem inneren Druck auf die Spur zu kommen.
Ich möchte dich begleiten und wenn du reden möchtest, werde ich da sein. Du musst mir Vertrauen, damit das klappt!" Melissa war sehr unsicher, auch wenn sie es immer wieder zu überspielen versuchte. Ihm würde sie auch am wenigsten vormachen können. „Ich habe übrigens deine Notizen heute Morgen mitgenommen, die hattest du im Konferenzraum liegen lassen." Er schob die losen Blätter über seinen Schreibtisch. „Das du versuchst aufzuschreiben, wie es dir um eine Attacke herum geht, finde ich einen sehr guten Ansatz. Hast du Mal versucht, es zu sagen?" Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe diese Attacken meistens in den Situationen, in denen ich nicht auf ein Tonband sprechen kann. So wie heute Morgen, sind es Kleinigkeiten, die mich aus der Spur kommen lassen."

"Ich verstehe. Versuch doch Mal, das was passiert ist und deine Lösung, danach in Worte zu fassen. Direkt im Anschluss an so eine Attacke. Da ist es egal, ob du ihr nachgekommen bist oder nicht, es geht allein darum, was du dir gefühlsmäßig behalten hast und wie ehrlich du zu dir selbst bist. Ich möchte es unterstützend zu unseren Gesprächen verwenden, dadurch lernen wir beide mehr über dich." Er tippte auf seiner Tastatur herum und sah über seine Brille hinweg, auf den Bildschirm. „Ich stelle dir ein Rezept aus. Das sind pflanzliche Mittel und beruhigen. Sollte es dir in einer unmöglichen Situation so ergehen, kannst du versuchen, es damit zu unterbinden. Für die Tonaufnahmen kannst du dein Smartphone benutzen oder ich gebe dir ein Gerät mit."

„Danke Doc! Ich werde es erst mit meinem Telefon versuchen. Und wie ist das nun mit der Kamera?" „Wir werden immer einen extra Tag haben, an dem gefilmt wird. An diesen findet kein wirkliches Gespräch statt. Wir können also vorher absprechen, über was wir reden. Zum Beispiel über die Essstörung, wie sie sich zeigt, was passiert und so weiter. Alles, was du für zu persönlich hältst, musst du nicht erzählen, versprochen!" Erleichtert atmete sie aus und lächelte das erste Mal seit sie in seinem Büro saß. „Wenn ich wieder in Boston bin, kommen sie dann zu mir?" „Ich denke, das wäre das einfachste. Wenn du deinen Trainingsplan hast, werden wir unsere Gespräche dazu anpassen. Wenn du dann zum Beispiel in Ohio bist, würde ich dort hinkommen." „Das hört sich nach einem Plan an. Dann würde ich sagen, treffen wir uns morgen, zu unserem ersten, richtigen Gespräch!" Dr. Peterson nickte und reichte ihr seine Hand. "Bis morgen Melissa und nun genieß' etwas die Stadt, morgen wirds anstrengend."

Wie ein SchmetterlingWo Geschichten leben. Entdecke jetzt