Kapitel 2 - Antithese

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Am Tisch herrschte eine beklommene Stille. Man starrte auf die Speisekarte oder aus dem Panoramafenster. Während der Geräuschpegel im Restaurant um die vier jungen Leute rauschte und brandete, herrschte unter ihnen beharrliches Schweigen. Conny war das unangenehm. Sie selbst gehörte zu der Sorte Mensch, die ein unheimlich großes Mitteilungsbedürfnis hatte. Damit stand sie im Gegensatz zu ihrem Freund, der wahrscheinlich auch tagelang schweigen könnte, wenn man ihn nicht ansprechen würde. Sie spielte gedankenverloren am Saum des roten Tischläufers herum.

Wie so oft war es Danny, der das Eis brach. Er klappte die Speisekarte zu und sagte: "Wisst ihr schon, was ihr wollt?"

"Wie immer", erwiderte Ella und zwinkerte ihm zu. Conny fiel auf, dass sie heute noch stärker geschminkt war, als sonst. Die dicke Schicht Make-up ließ ihr Gesicht teigig erscheinen. Sie hatte viel zu viel davon aufgetragen. Mit dem Lidschatten hatte sie auch nicht gespart. Jedoch musste man ihr lassen, dass sie die Farben orange und dunkelblau so miteinander kombiniert und sauber ineinander verblendet hatte, dass es wunderschön aussah und sehr gut zu ihrem mitternachtsblauen Maxikleid passte. Da kann man fast neidisch werden, dachte Conny.

"Wie immer", äffte Sam Ella nach und handelte sich damit von seiner Freundin einen Tritt unter dem Tisch ein. Wie man mit neunzehn Jahren immer noch so kindisch sein konnte, war Conny ein Rätsel. Das Nachäffen hörte doch in der Regel nach der Grundschule auf, oder nicht? Nein, anscheinend nicht, es konnte sogar bis ins Erwachsenenalter gehen und vielleicht sogar darüber hinaus.

Ella schüttelte kurz den Kopf und verdrehte die Augen. Niemand kommentierte weiter. Man kannte es schon. Eine Kellnerin schlängelte sich zwischen den edel wirkenden dunkelbraunen Tischen durch und näherte sich mit freundlichem Allerweltslächeln dem Tisch.

"Guten Tag! Habt ihr schon eine Auswahl getroffen?", fragte sie.

"Wir nehmen zwei Mal den Chili-Burger und zwei Mal Zitronenlimonade", sagte Danny und warf dann einen Seitenblick auf Sam, um das Wort an ihn weiter zu geben.

"Den Cheddar-Burger und 'ne Apfelschorle", orderte Sam lässig.

"Und ich nehme den Burger mit dem Linsenpatty und ... ein Mineralwasser", setzte Conny hinzu. Die Kellnerin notierte sich die Bestellung, bedachte die vier mit einem herzlichen Lächeln und lief leichtfüßig in Richtung Küche davon.

"Linsenpatty ...", murmelte Sam und lachte auf.

"Ja? Was ist damit?", fragte Conny irritiert.

"Linsenpatty? Ernsthaft?", fragte Sam.

"Was ist denn dein Problem? Du bist heute richtig auf Krawall gebürstet", merkte Danny an. Er verschränkte seine kräftigen Arme vor der Brust und die Ärmel seines hellblauen Poloshirts spannten sich über seinen Bizeps.

"Nichts, nichts. Alles gut. Ich werde jetzt meine Klappe halten", sagte Sam und tat als würde er seinen Mund abschließen und den imaginären Schlüssel wegwerfen. Conny war es so unangenehm, wie er sich aufführte. Bei Gelegenheit würde sie ihm eine richtige Standpauke halten.

Ursprünglich war ausgerechnet sein grenzenloses Selbstbewusstsein der Grund gewesen, warum Sam für Conny so attraktiv gewesen war. Die beiden waren in derselben Klasse gewesen und Conny hatte es gefallen, dass Sam sich nie hatte unterkriegen lassen. Dann hatte es einen Vorfall in der elften Klasse gegeben und es war um Conny geschehen. Auch heute noch bewunderte sie Sam für seine Reaktion damals, als die ganze Klasse von der Klassenlehrerin bezichtigt worden war, die Glasscheibe am Tageslichtprojektor zerbrochen zu haben.

Weil sich der Schuldige nicht hatte melden wollen, hatte die Lehrerin kurzerhand die gesamte Klasse zum Nachsitzen verdonnert, das sie erst dann beenden wollte, wenn sich der Täter zu erkennen geben würde. Alle hatten betroffen geschwiegen, aber in Conny hatte sich eine stille Wut geregt. So etwas hätte die Lehrerin nicht tun dürfen! Die ganze Klasse nachsitzen lassen, weil sich eine Person nicht meldete!

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