Kapitel 15 - Blockade

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Als einen Choleriker würde sich Sam nicht bezeichnen, auch, wenn er laut seinen Mitmenschen ab und an solche Züge an den Tag legte. Er war der Typ, zu dem man gerne "komm mal runter" sagte. Dabei war es aber gar nicht so, als würde er bei jeder kleinen Kleinigkeit gleich ausrasten. Er griff auch keine anderen Leute in blinder, unkontrollierter Wut an. Er zerstörte auch keine Gegenstände. In der Situation mit Ella an einem Tisch hatte er sich so gut unter Kontrolle gehabt, wie es ihm möglich gewesen war. Also nein, Sam und ein Choleriker? Das würde er nicht behaupten.

Und dennoch musste es einen ganz anderen Eindruck auf den Justizvollzugsbeamten gemacht haben, als Sam mit etwas harscheren Tönen einen Anruf anforderte. Er wollte einfach nur jemanden anrufen, das war doch sein gutes Recht. Wie sollte er denn jemals hier heraus kommen, wenn niemand Kontakt von draußen aufnahm? Natürlich musste Sam dann von hier drinnen aus den ersten Schritt machen. 

Das, was er von Jay erfahren hatte, hatte ihm keine Ruhe mehr gelassen. Er musste es einfach jemandem sagen. Wen er angerufen hätte, um dieses neue Wissen zu teilen? Die Frau, mit der er alles teilte. Conny. Seine Mutter anzurufen hätte in dieser Situation nicht viel Sinn gemacht. Sie wusste nicht genug Bescheid über das, was passiert war. Es würde zu viel zu erklären geben. Und zu allem Überfluss würde sie wahrscheinlich auch noch hysterisch werden, wenn sie plötzlich Sam am Apparat haben würde.

Auf jeden Fall hatte Sam resolut auf einen Anruf bestanden. Er hatte betont, wie wichtig ihm dieser Anruf sei. Er hatte versucht, dem Beamten seine Lage zu schildern. In aller Ausführlichkeit. Und das alles wohl gemerkt in normalen Tönen. Aber wer darauf bestand, Sam eine so dringende Bitte abzuschlagen, der musste über kurz oder lang mit einem unangenehmen Sam und etwas energischeren Tönen rechnen.

"Wenn Sie einen Anruf machen wollen, dann müssen Sie zuerst einen Antrag stellen. Der muss dann noch genehmigt werden und dann können sie telefonieren", erklärte der Beamte nun schon zum zweiten oder dritten Mal. Seine Miene blieb dabei unverändert und wahrscheinlich würde sie das auch, wenn er den Satz zum hundertsten Mal wiederholen müsste. Vom Gesicht her war der Bursche noch nicht lange aus der Schule raus, wahrscheinlich wenige Jahre älter als Sam. Durch seine ebenmäßigen und weichen Konturen war ihm ein ernstes Gesicht zu machen so ziemlich unmöglich.

"Ich muss aber jetzt telefonieren!", sagte Sam eindringlich und erhob sich mit einem Ruck vom Bett. Der junge Beamte trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Als er dies selbst bemerkte, räusperte er sich und trat wieder vor. Sam setzte sich zögerlich wieder auf das Bett. Er war verunsichert. Wie würde sein Gegenüber reagieren?

"Jetzt hören Sie mal zu. Entweder Sie stellen einen Antrag oder Sie können nicht telefonieren. Verstanden?", raunte der Beamte überraschend schroff. Bei diesen harschen Tönen, die ausnahmsweise einmal gegen ihn selbst gerichtet waren, zuckte Sam unwillkürlich zusammen.

"Ich scheiß auf den Antrag", grummelte er. Der Beamte zuckte mit den Schultern und trat ohne ein weiteres Wort hinaus aus der Zelle.

Aus vor Wut verengten Augen beobachtete Sam, wie sich die schwere Zellentür schloss. Er wusste genau, er hätte besser nach dem Antrag verlangen sollen. Es wäre das Vernünftigste gewesen. Es wäre garantiert auch das gewesen, was Conny getan hätte. Oder zu was sie ihm geraten hätte, denn dass Conny einmal in einer vergleichbaren Situation landen würde, war so wahrscheinlich wie eine spontane Verwandlung von Sam in einen Flamingo. Einfach den Antrag ausfüllen und gut ist. Aber nein, der gute alte Sam kam wieder zum Vorschein. Er hatte ihn ja schließlich auch schon lange genug versteckt.

Der liebe alte Sam, der Scheiß-Freund, der Raser, der ... Und wieder tanzte der wilde Reigen mit Conny, seiner Mutter, Danny und Ella um ihn herum. Diesmal wurde er ergänzt durch seine ehemaligen Mitschüler, die ihn nicht hatten leiden können, den guten Sam mit seiner großen Klappe. Kommt heran, alle ihr, die Sam schon einmal richtig schön leiden sehen wolltet! Seht her, da sitzt er, wie ein Häufchen Elend! Wo? Na, im Knast! 

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