Kapitel 21 - Verlorene Spur

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Als Sam am nächsten Morgen aufwachte, lag Conny in seinem Arm. Wie schön es war, hier in diesem altbekannten dunkelblauen Zimmer aufzuwachen! Man merkte immer erst, dass man etwas vermisste, wenn man es für einige Zeit hatte entbehren müssen. Ein Blick auf den Wecker sagte ihm, dass es bereits acht Uhr war. Heute wollte Sams Vater ihn zu seiner Mutter ins Krankenhaus fahren. Das aber erst am Nachmittag. Für den Vormittag hatte sich Sam bereits einen Plan zurecht gelegt.

Ganz leise und ganz vorsichtig stand er vom Bett auf, ohne dabei Conny aufzuwecken. Er schlich ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche. Sein Vater war auch schon auf. Er saß in der Küche mit dem Rücken zur Tür und las eine Zeitung. Als er Sam vorbeigelaufen war, hatte er ihn gegrüßt. Sam hatte zurück gegrüßt. Als Sam wieder aus der Dusche kam, war Conny schon wach und auch schon umgezogen.

"Morgen", sagte sie und lächelte immer noch verschlafen.

"Morgen", erwiderte Sam und gab Conny einen Kuss.

Als sei alles ganz normal, ging es Sam durch den Kopf. Mit Conny zusammen aufwachen. Zusammen frühstücken. Diesen Modus würde er gerne beibehalten. Die beiden gingen in die Küche, wo Sams Vater eine Kanne voll Kaffee gekocht und alles auf den Tisch gestellt hatte, was im Entferntesten mit Frühstück verwandt war. Alle Marmeladen, Schinken, Käse, alles, was er im Kühlschrank gefunden hatte, war auf dem Esstisch ausgelegt. Sam musste zugeben, dass ihn das rührte, aber vor allem machte es Eindruck auf ihn, dass sein Vater immer noch hier saß und auf die beiden gewartet hatte. 

Beim Abendessen gestern war nicht sehr viel geredet worden. Sam hatte damit gerechnet, dass sein Vater ihn zu den Vorkommnissen der letzten Tage ausfragen würde. Zu seiner Überraschung war das aber ausgeblieben. Sams Mutter musste ihn wahrscheinlich auf den neuesten Stand gebracht haben. Als Conny und Sam sich an den Tisch setzten, legte Sams Vater die Zeitung beiseite.

"Hier ist für jeden was dabei", sagte er und ließ seinen Blick über den Tisch schweifen.

"Danke sehr, aber das wäre doch nicht nötig gewesen, so einen Aufwand zu machen. Für mich reicht ein Kaffee und ein Marmeladenbrot völlig ...", sagte Conny und nahm sich die Kaffeekanne. Sie schenkte erst Sam, dann sich ein.

"Ach was, ich bin ja auch nicht alle Tage zugegen", entgegnete Sams Vater.

Nach dem Frühstück verließen Sam und Conny die Wohnung mit der Begründung, einen Spaziergang machen zu wollen. Hand in Hand spazierten sie die Straße entlang, aber anstatt sich in Richtung des Feldwegs zu bewegen, steuerten sie auf jene verhängnisvolle Straße zu, in der das ganze Unglück seinen Lauf genommen zu haben schien. Je näher sie der Straße kamen, desto fester wurde Connys Griff um Sams Hand. Er überlegte, ob er etwas Beruhigendes sagen sollte, aber ihm fiel nichts ein.

"Und was machen wir, wenn wir sie finden?", fragte Conny.

"Keine Ahnung. Das überlegen wir uns, wenn wir sicher sind, dass sie tatsächlich noch hier ist", entgegnete Sam.

Jetzt waren sie genau auf der gegenüberliegenden Straßenseite, von wo aus sie das wuchernde Gestrüpp sehen konnten, aus dem die Schaufensterpuppe geflogen war und in die Sam sie wieder zurück befördert hatte. Die genaue Stelle, an der das bizarre Schauspiel sich zugetragen hatte, konnte Sam nicht sagen, denn es war immerhin dunkel gewesen, als aus heiterem Himmel zwanzig Pfund Plastik auf seinen Wagen geflogen waren. Aber besonders viele Möglichkeiten, wo die Puppe sein konnte, gab es auch nicht. Er würde sie also zwangsläufig finden müssen, sofern sie noch da war. 

Sam überquerte die verkehrsberuhigte Straße und sprang mit einem Satz hinter die Sträucher, wobei er mit dem Ärmel seines T-Shirts an einer wild wuchernden Dornranke hängen blieb. Fluchend riss er sich los und hielt wachsam Ausschau wie ein Suchhund. Hier hinter dem Gebüsch befand sich eine nicht gemähte Wiese und einige hundert Meter weiter war der Fußballplatz. Hinter Sam kam nun auch Conny umständlich durch die Gewächse geklettert.

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