Conny beschloss, noch einmal Sams Mutter aufzusuchen. Und das, obwohl sie sich eigentlich gar nicht dazu in der Lage fühlte. Ihr Kopf dröhnte. Ihr Gehirn fühlte sich an wie geröstet. Mit dem Versiegen der Tränen hatte unmittelbar das Kopfweh eingesetzt. Das war obligatorisch und es kam immer dann, wenn Conny wieder einmal besonders hingebungsvoll Tränen vergossen hatte.
Trotz des Drucks in ihrem Schädel war sie voller Tatendrang. Das, was Danny gesagt hatte, konnte und wollte sie nicht so stehen lassen. Sie würde es ihm schon zeigen. Sie würde das Gegenteil beweisen von dem, was er behauptet hatte. Sie würde beweisen, dass Sam kein Krimineller war.
Allerdings brauchte sie dafür mehr Informationen. Wo war Sam zu dem Zeitpunkt gewesen, an dem er angeblich die Frau überfahren haben sollte? Konnte jemand bestätigen, dass er zuhause gewesen war? Was genau hatten die Polizisten gesagt? Was hatten die angeblichen Zeugen gesehen?
Conny ging nach oben ins Bad und warf eine Kopfschmerztablette ein. Dann huschte sie in ihr Zimmer und suchte in den zahlreichen Schubladen ihres Schreibtisches nach einem kleinen Schreibblock. Sie fand einen im Mini-Format, der voller kleiner Zeichnungen von Conny war. Portraits von Schulfreundinnen, die in Freistunden entstanden waren. Ganz hinten waren allerdings noch ein paar unbeschriebene Blätter. Das reichte. Den Block steckte sie in ihre Tasche, warf noch einen Kugelschreiber hinterher und platzierte die Tasche auf ihrem Bett.
Aus dem Kleiderschrank nahm sie sich eine hellblaue Jeans und ein weißes T-Shirt. Frisch gewaschen dufteten sie nach dem Weichspüler, den ihre Mutter immer benutzte. Magnolie. Hmmm. Conny betrachtete sich im Spiegel. Was sie sah, war eine entschlossene junge Frau, die allen Zweifel - auch ihren eigenen - zum Trotz die Unschuld ihres Freundes beweisen wollte.
Das, was sie sah, gefiel ihr. Dieser Ausdruck in ihrem Gesicht stand ihr ausgesprochen gut und der Gedanke daran rang ihr ein kleines Lächeln ab. Sie schnappte sich die Tasche und verließ das Haus. Niemand war da, dem man Tschüss hätte sagen können, also ließ sie die Tür ins Schloss fallen und steuerte auf die Straße zu, in der Sam wohnte.
An dem Haus angekommen, drückte Conny auf die Klingel auf der der Name "Witter" stand. Als sich nach einer Weile des Wartens immer noch nichts rührte, klingelte Conny noch einmal. Wieder nichts. Diesmal hielt sie etwas länger gedrückt. Irgendwo in der Wohnung von Sam und seiner Mutter musste ein Fenster gekippt sein, denn sie konnte ihr eigenes Sturmklingeln sogar hier draußen hören.
Als sie merkte, dass niemand die Tür öffnen würde, ließ sie die Klingel los, trat ein paar Schritte zurück und schaute nach oben. An allen Fenstern außer an dem von Sams Zimmer waren die Jalousien unten. Sehr seltsam. Es war doch fast Mittag. Und so stark schien die Sonne an diesem Tag auch nicht, dass man die Rollläden unten lassen musste.
Conny trat wieder an die Haustür und überlegte, ob sie bei einem der Nachbarn klingeln sollte. Sicherlich, in einer Nachbarschaft bekam doch immer irgendjemand etwas mit. Sollte etwas mit Sams Mutter sein, dann würde ihr schon jemand Auskunft geben können. Andererseits, vielleicht machte sich Conny auch einfach nur verrückt. Vielleicht war Sams Mutter einfach nur bei der Arbeit.
Sie arbeitet Abends, hatte Sam doch erzählt, fiel es Conny ein und sie verwarf den Verdacht wieder. Irene musste also zuhause sein. Und selbst, wenn sie einfach nur zum Einkaufen weggegangen wäre, dann hätte sie doch bestimmt vorher die Rollläden hochgezogen. Irgendetwas musste also passiert sein.
Conny hatte ihren Finger schon auf einem zufällig ausgewählten Klingelknopf eines Nachbarn, da öffnete sich die Eingangstür von innen und ein Mann, der einige Jahre älter sein musste als sie, trat heraus. Er trug eine labbrige Jogginghose leger kombiniert mit Gummisandalen und sah aus, als hätte er nur vor kurzem das Bett verlassen. Unter dem Arm hatte er einen vollen Papierkorb.
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Höchstgeschwindigkeit
Mystery / ThrillerDer vor Selbstbewusstsein strotzende Sam hat neben der Liebe zu seiner Freundin die Leidenschaft fürs Rasen. Vollgas zu geben und den Fahrtwind rauschen zu hören, sind die Dinge, die er braucht, um von seinen Sorgen loslassen zu können. Blitzerfotos...