Kapitel 24 - Umwege

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Der Flur war großzügig und hell. An der Garderobe hing eine dunkelblaue Collegejacke und ein cremefarbener Cardigan. Auf einer kleinen, weiß lackierten Kommode stand eine hellgelbe Orchidee. Dem Anschein nach handelte es sich um eine Kunstblume, denn die Blüten sahen seltsam ledrig aus. Von diesem einladenden Flur aus hatte man direkten Zugang zu allen Räumen der Wohnung. Alle Türen waren offen und fluteten diesen Ort mit ausreichend Tageslicht. 

Es war ein schöner Tag. Ein Tag zum Spazierengehen, ein Tag für ein Picknick. Aber sicherlich kein Tag, um bei Leuten im Flur zu stehen, die einen dort nicht haben wollten. Conny verschränkte die Arme vor der Brust und sah von Danny zu Ella und wieder zu Danny. Sie fühlte sich unwohl und hielt sich unbewusst in der Nähe der Tür auf. Bei diesem offensichtlich ungebetenen Besuch hatte sie überhaupt kein gutes Gefühl.

"Wir sollten nicht um den heißen Brei herum reden", sagte Danny.

"Nein, das sollten wir nicht. Also, was ist?", fragte Sam.

"Ihr wisst, dass ich die Schaufensterpuppe geworfen habe. Mit dem Wissen könntet ihr zur Polizei gehen", sagte Danny.

"Könnten wir", bestätigte Sam.

"Aber ihr könntet es auch sein lassen", fuhr Danny fort. Seine Stimme klang lauernd. Wie ein kolossaler Tiger, der denkt, er könne sich hinter einem kleinen Busch verstecken und dort ungesehen auf seine Beute lauern. Sam warf einen kurzen Blick zu Conny. Sie schaute wortlos in seine Augen. Was würde er tun? Einen Moment lang glaubte Conny, Sam würde einen Satz machen und Danny ans Leder gehen. Aber dann schaute er nur wieder zu Danny und entgegnete: "Anders als du habe ich kein Interesse daran, jemandem willentlich zu schaden."

Danny lachte auf. Ein tiefes, dröhnendes Lachen, als hätte Sam den Witz des Jahrhunderts gerissen.

"Du? Willst du mich auf den Arm nehmen? Wir brauchen doch nur Conny zu fragen. Sie kann uns wahrscheinlich Bände darüber erzählen, wie gut du es drauf hast, jemandem nicht schaden zu wollen", spottete er.

"Ich habe mich geändert", sagte Sam.

"Ja, klar. Man steckt dich ein paar Tage hinter schwedische Gardinen, du überdenkst dein ganzes Leben und wirst ab sofort ein Gentleman?", fragte Ella und zog süffisant eine Augenbraue hoch.

"Ich will mich ändern", sagte Sam nachdrücklich. Conny bemerkte, wie seine Stimme wankte. Sie hatten bei ihm einen wunden Punkt getroffen. Nachdem er aus der unverdienten Untersuchungshaft entlassen worden war, hatte sie neben seiner Erleichterung ständig eine gewisse Anspannung wahrgenommen. Als würde Sam sein eigenes Verhalten genau beobachten. Als würde er verhindern wollen, wieder in alte Muster zu verfallen. Und jetzt wurde dieser gute Vorsatz auf eine harte Probe gestellt. Alle Augen ruhten auf Sam. 

Da kam Conny eine Idee. Gerade achtete niemand auf sie. Und was hatte Danny gerade eben gesagt? Er wollte nicht mehr um den heißen Brei herum reden? Würde er ihnen endlich reinen Wein einschenken? Dann wäre jetzt eine perfekte Gelegenheit gekommen. Langsam und vorsichtig zog Conny ihr Handy aus der Hosentasche. Sie stand schräg hinter Sam. Alle Aufmerksamkeit lastete in diesem Moment einzig auf ihrem Freund, der gerade von links und rechts verbal in die Mangel genommen wurde. Wenn sie Glück hatte, dann würde niemand bemerken, was sie vor hatte. Dann würde niemandem der kurze Seitenblick nach unten auffallen.

"Was wollt ihr eigentlich?", fragte Sam.

"Wir wollen einfach nur in Ruhe leben, so wie ihr beide auch. Und deswegen möchten wir euch freundlich darum bitten, das Wissen für euch zu behalten", sagte Ella und schaute zu Conny. Ihre Stimme haschte regelrecht nach Verständnis. Als würde sie Conny daran erinnern wollen, dass alle vier hier doch im selben Boot saßen. Vereint durch das Band, das eine verdammte Schaufensterpuppe gezogen hatte.

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