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POV: Maya

„Ich habe es verkackt!", nörgle ich rum, während ich ein Kissen auf mein Gesicht drücke. „Kann ich nicht einfach sterben?" Alina versucht sich ein lachen zu verkneifen. „Sieh es mal positiv! Er wollte dich küssen! Beim nächsten date, wird das ganz bestimmt passieren", versucht mich Alina zu trösten.
Jetzt setze ich mich wieder auf und schaue sie gedemütigt an. „Und was wenn er sauer ist und sich nicht mehr meldet?", frage ich schmollend. Sie schüttelt ihr Kopf, während sie aufsteht und zum Kühlschrank geht. „Er wird sich ganz bestimmt bald melden. Das ist doch absurd. Warum sollte er sauer sein?" Sie öffnet die Tiefkühltruhe und holt eine Packung Eis raus. Ich muss direkt lächeln. Jedes Mal, wenn einer von uns traurig ist, essen wir Eis. Oder wir trinken. Aber das nur bei ganz schlimmen Fällen.

Am nächsten Morgen stehe ich wieder an der Theke des Cafés und gähne. Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, weil ich an Kyle denken musste.
Als die Tür klingelt und jemand reinkommt, setze ich mir ein Lächeln auf und blicke hoch. Wer hätte es denn auch geringeres sein können, als mein neuer bester Freund, Enitan Bradly. Ich verdrehe meine Augen bei dem Gedanken, dass wir jemals richtige Freunde werden könnten.
„Ein Americano", sagt er lässig ohne Begrüßung. Nicht nur arrogant, sondern auch unhöflich also. Ich schnalze mit der Zunge. „Wie wäre es mal mit einem Milchshake? Ich würde Ihnen einen Bananenshake empfehlen. Oder haben Sie noch nie etwas anderes probiert außer Ihr heiß geliebter Americano?" Er schaut mich mit einem intensiven Blick an, wirkt aber nicht verärgert. Er kann seine Emotionen gut verstecken. Ich mache ein geschocktes Gesicht. „Sagen Sie mir nicht, dass Sie wirklich immer nur das selbe essen und trinken, wie Sie auch alles andere machen", zufrieden funkle ich ihn herausfordernd an.

„Wenn Sie, Maya Morrigan den Milchshake mögen, dann muss er wohl schlecht sein", erwidert er mühelos und geht auf sein Stammplatz.
Ich keuche geschockt mit offenem Mund nach Luft. Er hat also gehört, was ich ihm im Supermarkt hinterhergerufen habe. „Aber wenn Sie, Enitan Bradly es schon nicht mögen, muss es bestimmt hervorragend schmecken..."

Als sein Americano fertig ist, bringe ich sie ihm persönlich hin. „Ist etwas bitter geworden, aber das passt ja zu Ihrer Persönlichkeit." Ohne auf eine Antwort zu warten, schmeiße ich meine Haare nach hinten und gehe zufrieden zurück. Wenn du dieses Spiel spielen kannst, dann kann ich es auch.

Heute ist nicht besonders viel im Café los. Außer Enitan ist nur ein weiterer älterer Mann da. Ich schaue mich gelangweilt um und mein Blick fällt auf Enitans Laptop. Seit gestern bin ich neugierig geworden, was er wohl so vertieft schreibt. Also schleiche ich mich leise von hinten an und lese mir durch, was er so schreibt. Dann greife ich nach einem Stuhl und setze mich zu ihm. „Was machen Sie da so konzentriert?", möchte ich wissen. Ohne auf eine Antwort zu warten, greife ich nach seinem Laptop und lese mir schnell einpaar weitere Sätze durch, bevor er es mir wieder aus den Händen reißt.

„Wow, Sie können echt gute Texte schreiben!", sage ich erstaunt. Besser als ich. Das bringt mich auf eine Idee... „Wissen Sie eigentlich, wie unhöflich es ist, die Nase in andere Angelegenheiten zu stecken?", murmelt er etwas verärgert in meine Richtung.
„Ach, kommen Sie schon! Wo haben Sie das gelernt? Sind sie etwa ein Schriftsteller?", versuche ich mein Glück noch einmal, ohne Erfolg. Er ignoriert mich tatsächlich.
„Ich muss sie um einen Gefallen bitten", bringe ich dann hervor. Jetzt schenkt er mir seine Aufmerksamkeit. Er ist neugierig. Also beginne ich zu erzählen: „Wie Sie bereits mitbekommen haben, komme ich nicht aus Oklahoma. Ich bin auch nicht hier, weil ich Urlaub mache. Ich bin hier, weil ich eine Schriftstellerin bin. Und ich kann nicht besonders gut schreiben. Ich bin hier, um meinen Schreibstil zu verbessern und neue Ideen zu sammeln." Mittlerweile schaut er wieder auf sein Bildschirm und tut so als würde es ihm nicht interessieren aber er hört immer noch aufmerksam zu, als er murmelt. „Worauf wollen sie hinaus?"

Auf seine passende Frage, stelle ich ihm meine brillante Idee vor.
„Stellen Sie mich ein. Im Cloud 9."
Er schaut mich an. Dann runzelt er die Stirn, als würde ich Scherze machen, also fahre ich schnell fort. „Ich bitte Sie. Ich kann viel von Ihnen lernen. Und wo kann man das denn besser machen als in einer Bibliothek?" Ich hatte zwar vor etwas Geld nebenbei zu verdienen. Aber das kann ich auch später machen. Das wichtigste jetzt ist es, zu lernen wie man gut schreibt. Schließlich bin ich ja genau deswegen hier. Er klappt sein Laptop zu und steht auf. „Keine Interesse", murmelt er. Er läuft mit großen Schritten zum Ausgang, ich renne schnell hinter her. „Ach kommen Sie schon!" Ich stelle mich in seinen Weg, er geht jedoch ohne Bemühungen an mir vorbei. Verdammt.

Draußen angekommen, laufen wir geradeaus zum Cloud 9. Ich flehe ihn immernoch an.
„Sie müssen mir auch keinen Lohn geben. Ich möchte nur, dass Sie mir das Schreiben beibringen!", rufe ich mit voller Kraft, als er bereits bei den Stufen ankommt. Ich möchte gerade eine Stufe hochlaufen, als ich falsch auftrete und mein Gleichgewicht verliere. Ich lasse einen Schrei raus, mit der Erwartung gleich mit dem Po auf den harten Boden zu landen. Jedoch hält mich eine kräftige Hand am Handgelenk fest und ich schaffe es aufrecht stehen zu bleiben. Trotzdem schleift mein Bein etwas an der kleinen Steinwand neben mir and ich bekomme einen kleinen Kratzer ab. Eine Sekunde später lässt er mich wieder los und geht weiter. Ich schaffe es nicht einmal mich zu bedanken.

Am Tag darauf, warte ich bis Enitan um die gleiche Uhrzeit das Café betretet. Auf die Sekunde genau kommt er mit seinem braunen Mantel rein. Ohne, dass er überhaupt etwas sagen kann, strecke ich ihm mit einem breiten Lächeln seinen Americano entgegen. Mit der Creme oben drauf, habe ich ein smiley verziert. „Und? Haben Sie es sich schon überlegt?", frage ich mit einem hoffnungsvollen Blick. Er nimmt jedoch seinen Americano aus meiner Hand, legt das Geld auf die Theke und geht auf sein Platz. Er antwortet nicht einmal, pff.

Dann schaue ich auf die Theke runter und sehe das er dort etwas hingelegt hat. Ich nehme es in die Hand, um es mir genauer anzuschauen. Es ist ein Pflaster. Irritiert schaue ich auf mein Bein und zurück zum Pflaster. Ich schüttele hastig den Kopf. Nein, sowas würde er niemals machen. Er hat ja nicht einmal mitbekommen, dass ich mich verletzt habe, weil er es so eilig hatte. Vielleicht hat er es dort unbewusst liegen gelassen oder es lag vorher schon da und ich hab's nicht gesehen. Trotzdem nehme ich den Pflaster und klebe sie mir auf die Verletzung, dass eigentlich nur ein kleiner Kratzer ist.

Nachdem ich Feierabend habe, gehe ich ins Cloud 9 und stelle eine kleine weiße Schachtel mit Torte auf den Tresen und einen weiteren Americano daneben. Darauf klebt ein Zettel mit der Aufschrift ,Pleaseee! Sie werden es nicht betreuen ):'. Enitan ist zum Glück in dem Moment nicht da. Wahrscheinlich wird er den Kuchen nicht einmal essen aber ich wolle es trotzdem kaufen, um ihn zu nerven, bis er zustimmt.

Als ich am nächsten Tag erneut vor dem Tresen der Cloud 9 stehe und ihm einen Americano hinhalte, wirkt er endlich genervt. Das bedeutet ich habe es fast geschafft. „Wenn Sie mich einstellen, werde ich Ihnen jeden Tag einen Americano kaufen." Ohne, dass ich es merke beuge ich mich so weit nach vorne, sodass unsere Gesichter sich sehr nahe stehen.
Er wirkt amüsiert und schaut mich durchdringend an. Dann ist er derjenige, der sich nach vorne beugt, weswegen ich mich automatisch langsam zurück ziehe und nervös schlucke. „Bist du sicher, dass du mit mir arbeiten kannst?", flüstert er mit seiner tiefen Stimme, welches mir eine Gänsehaut bereitet.
Ich bin verwirrt, weil er mich plötzlich duzt. Das ist so ungewohnt aber es gefällt mir irgendwie. Was mir nur nicht gefällt ist, dass seine Stimme dadurch noch tiefer klingt, als würde es in meine Haut brennen.
Ich nicke schnell. „Na schön..." Ich schaue ihn überrascht an. Ist das einer seiner Spielchen oder meint er das ernst? „Unter einer Bedingung", fügt er jedoch hinzu. Ich wusste irgendetwas ist faul. „Du stellst mir keine privaten Fragen", fährt er mit seiner düsteren Stimme fort. Ist das alles? „Das kriege ich hin", erwidere ich daraufhin. „Wann kann ich anfangen?"

Als ich nach Hause gehe, fehlt Alina nicht mehr lange, bis sie von der Arbeit zurückkommt, also beschließe ich etwas leckeres für sie zu kochen. Da ich eine totale Niete in kochen bin, entscheide ich mich für etwas simples. Ich nehme aus dem Kühlschrank eine Tüte mit Tteokbokki [Koreanische Reiskuchen] heraus und aus dem Schrank zwei Packungen Ramen. Dann beginne ich eine Sauce zu machen. Wenig später geht auch schon die Tür auf und Alina kommt müde rein. Sie kommt sofort in die Küche gestürmt und atmet erleichtert aus als sie mich sieht. „Huh. Ich dachte schon du hast wieder etwas angebrannt. Es riecht etwas verbrannt." Ich muss lachen, als ich den fertigen Teller hochhalte, um zu zeigen, dass ausnahmsweise mal nichts verbrannt ist. „Du hast es geschafft etwas zu Essen zu machen, ohne das Haus abzufackeln?", fragt sie erstaunt und ich verdrehe spielerisch die Augen.

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