Kapitel 1

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Die Wogen klatschten leise gegen die hölzerne Schiffswand. Die salzige Meeresluft wehte über das ganze Deck. Ebenso die angespannte Stille. Eine angespannte Stille nach einem heftigen Streit. Die Crew war leise. Alle verrichteten stumm ihre Arbeiten.
Nur von den anderen Schiffen waren hin und wieder Lachen und Musik zu hören, begleitet von dem grölenden Gesang betrunkener Piraten.

Kaisa saß verärgert im Krähennest. Der einzige Teil auf jedem Schiff an dem sie alleine sein konnte. Hier kamen nämlich die meisten anderen Piraten nicht so gut hoch, und noch viel mehr wollten es auch gar nicht. Es war Kaisa gewesen, die in dem heftigen Streit beteiligt war. Ein Streit zwischen ihr und ihrer Mutter. Kaisa war die Tochter der Piratenfrau Lara, was aber nur ihr Spitzname war. Den wahren Namen der Kapitänin kannte niemand.

Eigentlich sollte Kaisa stolz sein. Ihre Mutter befehligte eine ganze Flotte von Piratenschiffen. Sie war damit nicht nur sonderlich mächtig, sondern als Frau auch noch zu einer Seemanns-Legende geworden. Jeder kannte die Piratin und fast alle hatten Angst vor ihr. Nur die Vergangenheit der Frau war vor Jedermann verborgen geblieben. Es war bis heute ein Geheimnis, das keiner zu lüften vermochte.

Kaisa hatte sich mit ihrer Mutter wieder einmal über dieses heikle Thema unterhalten, was letztendlich im Streit ausartete. Kaisa wollte etwas erleben. Keine unendlichen Schiffsfahrten, keine Überfälle oder Geiselnahmen mehr. Keine Kanonenschüsse oder Flucht vor königlichen Flotten, die den Piraten im wahrsten Sinne des Wortes an die Kehle wollten. Kaisa liebte zwar die frische Seeluft, aber sie liebte es auch sich hübsch anzuziehen. Sie konnte Stunden in ihrer Kajüte verbringen, in denen sie erbeutete Kleider und Schmuck anprobierte. Nur war sie jedes Mal gezwungen alles wieder abzugeben. Kaisa wollte endlich mal alles haben was sie sich wünschte, und es nicht direkt wieder abgeben müssen. Sie wollte diese mit Diamanten besetzten Kleider anbehalten, sogar eine Auswahl haben. Sie wollte sich frisieren, einfach hübsch machen.
Aber davon hielt ihre Mutter nichts. Sie verabscheute es regelrecht. Aber sie hatte nie eine Begründung parat. Nie konnte sie erklären was so schlimm an einem solchen Wusch war. Es war ja nicht so, als wäre es zu teuer. Es kamen ja andauernd solcherlei Sachen an Bord. Aber Kaisas Mutter war uneinsichtig. Sie weigerte sich dem Wunsch nach zu geben. Egal was an stand, egal wie gut sich Kaisa in einer Seeschlacht schlug, egal wie viel sie erbeutete: ihr Wunsch wurde ihr nie gewährt.

Nach solchen Streitereien verzog Kaisa sich immer auf den Ausguck. Immer möglichst weit weg, möglichst weit nach oben. Und das Krähennest war nun doch etwas höher als die Balken, an denen die Seegel befestigt waren.
Dort oben lies Kaisa ihrem Frust freien Lauf. Sie fluchte und schimpfte vor sich. Mal lauter mal leise. Und unter ihr schwiegen alle oder flüsterten höchstens miteinander.

Plötzlich bemerkte Kaisa aus dem Augenwinkel, wie die Schwarze Flagge mit dem eher weniger eleganten Totenkopf eingeholt und gegen eine königliche Fahne ausgewechselt wurde.
Genervt verdrehte Kaisa die Augen. Schon wieder ein Schiff, das überfallen werden würde. Wie immer ein Handelsfrachter von dem Schloß aus der Inselnation.

Neugierig zog Kaisa das kleine Fernrohr aus dem Gürtel und drückte es sich ans Auge. Angestrengt versuchte sie etwas auf dem anderen Schiff zu erkennen. Es war groß und langsam, scheinbar schwer beladen. Es hatte Kanonen und die Segel waren weiß. Es hatte eine hohe Reling, und damit auch einen großen Laderaum. Allerdings wirkte es eleganter und teuerer als die üblichen Handelsschiffe. Sogar als Handelsschiffe mit Juwelen, Diamanten, Gold und Silber. Tatsächlich ähnelte es einem Personenschiff viel mehr als einem Frachter.

Wie gewohnt steuerte die getarnte Piratenflotte auf das arglose Schiff zu. Sie kamen näher und näher, bildeten eine Front und auf den einzelnen Schiffen wurde auch alles bereit gemacht. Kanonen geladen, Waffen verteilt und Anweisungen erteilt. Gewusel überall. Normalerweise war Kaisa dort mittendrin, aber momentan hatte sie wirklich keine Lust. Trotzig wie ein kleines Kind, was sie nun wirklich nicht mehr war, blieb sie stur auf dem Aussichtspunkt sitzen.

Die Schiffe erreichten das königliche Boot und die Flaggen wurden erneut ausgewechselt, was bei dem bereits verlorenen Schiff Panik auslöste. Plötzlich erschallten die Warnrufe mehrerer Matrosen und auch dort wurden Waffen ausgegeben, noch während die ersten Kanonen ihre Kugeln freigaben. Es knallte und das gegnerische Schiff fing sofort Feuer. Piraten warfen Enterhaken und schwangen an Tauen auf das andere Schiff.

Obwohl sie nicht wirklich mit dabei war, spürte Kaisa das Adrenalin, das ein stetiger Begleiter bei solchen Aktionen war. Und die Verlockung war zu groß. Die Verlockung nach dem Adrenalin und den Kisten mit all dem Schmuck. Kaisa Schwank sich aus dem Korb und kletterte den Mast hinunter.
Unten traf sie allerdings prompt ihr Mutter.

„Hast du dich endlich beruhigt?", wollte die große Frau mit den dunkelbraunen Haaren wissen. Ihre strengen, braunen Augen musterten das Mädchen misstrauisch.
„Ja, habe ich!", entgegnete Kaisa mürrisch. Hatte sie noch lange nicht, aber sie wollte unbedingt das Schiff erkunden.

Also folgte sie ihrer Mutter an Deck der Angelina , dem gegnerischen Schiff, das bereits eingenommen war. Die Matrosen standen von Piraten umzingelt an Bord. Sie hatten die Hände erhoben und begutachteten ängstlich die auf sie gerichteten Säbel, Messer und Pistolen.

Mit einem bösen, zufriedenen Lachen ging Lara geradewegs Richtung Unterdeck. Irgendetwas lies die Piratenfrau heute um einiges feindseliger wirken. Sie wirkte so hasserfüllt gegenüber dem gekaperten Schiff. So kannte Kaisa ihre Mutter gar nicht. Aber sie kümmerte sich nicht weiter darum und fing an die Räumlichkeiten zu durchsuchen. Das Schiff war ordentlich und gepflegt. Es gab viele Kajüten und Kaisa freute sich darauf sie alle zu durchstöbern. Als Tochter der Kapitänin hatte sie das Recht alles zu durchsuchen und sich das zu nehmen was sie wollte, bevor die Crew alles mitnahm was nicht niet- und nagelfest war. Behalten durfte Kaisa die Sachen allerdings nur bis zum nächsten Hafen, wo alles zu Geld gemacht wurde.

die PiratenprinzessinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt