Dienstag, achter Januar. Es war noch genau eine Woche bis zu ihrem Deutschreferat. Noch immer wusste sie nicht, wie sie es machen sollte. Sie hatte zwar den Skype-Account. Aber allein der Gedanke, vor der Lehrerin zu stehen und fünfzehn Minuten lang über ein Thema zu reden, bereitete ihr Bauchschmerzen. Es wäre das erste Mal gewesen, dass sie keine schriftliche Ausarbeitung abgab. Wenn sie allerdings daran dachte, was passieren würde, wenn sie das Referat nicht halten würde, wurde ihr mindestens genauso schlecht.
»Marie, kommst du mal kurz mit, bitte«, bat Frau Mertens sie nach der Stunde auf den Flur.
Marie stand mit klopfendem Herzen auf und folgte der Lehrerin. Sie wusste genau, worum es ging.
»Nach den Herbstferien habe ich mit dir ja über dein Referat gesprochen und dir die Zugangsdaten mitgegeben, richtig«, begann Frau Mertens.
Marie lächelte und deutete dabei ein Nicken an, was die Lehrerin vermutlich nicht wahrnahm.
»Ich hab dich gebeten, dir das zu überlegen und mir Bescheid zu sagen. Jetzt ist es in einer Woche soweit und ich hab bis jetzt noch keine Rückmeldung bekommen. Da wollte ich nochmal nachfragen, wie es aussieht. Hast du es dir überlegt? Die Alternative ist nämlich eine Sechs für das Referat und das wollen schließlich weder du noch ich.«
Marie nahm jedes einzelne Wort auf, das die Lehrerin aussprach.
Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe. Was, wenn ich es nicht schaffe?
Als inzwischen Frau Hammer ins Klassenzimmer ging und sie keine Antwort von Marie bekam, beendete sie das Gespräch.
»Ich geb' dir noch bis Ende der Woche Zeit. Dann brauch ich einfach eine Entscheidung. Ich muss es schließlich auch vorbereiten. Du kannst auch jemand anderes bitten, mir Bescheid zu geben.«Nachdem Frau Mertens den Flur entlang um die Ecke in einem Quergang verschwunden war, schlich Marie zurück ins Klassenzimmer.
Bloß nichts anmerken lassen. Sie schauen nicht auf mich. Es interessiert sie gar nicht. Das bilde ich mir nur ein. Sie schauen mich nicht an. Einfach hinsetzen und die Sache ist gegessen. Ich war halt draußen - na und ... Wieso muss ich jetzt aufs Klo?***
Als Marie am Nachmittag das W-Lan ihres Handys einschaltete, ploppte eine Nachricht auf dem Display auf. Es war eine Nachricht von Jasmin.
Wer hätte es auch sonst sein sollen?»Hey 😊 wie geht's dir?«
»Gut«
»Schön. 😊 Was wollte Frau Mertens heute von dir?«
Was interessiert dich das jetzt?
»Nichts.«»Nein, jetzt ehrlich. Ging es um dein Referat?«
Wieso musst du nur so viele Fragen stellen? Na gut.
»Ja«»Und wie machst du es?«
Am liebsten gar nicht.
»Weiß nicht.«»Hat sie nichts dazu gesagt? 🤨«
»Doch, sie hat mir einen Zettel mit einem Skype-Profil gegeben«
»Das klingt doch gut 👍«
»Weiß nicht«
»Wovor hast du denn Angst?«
»Ich denke nicht, dass ich es schaffe, vor ihr zu sprechen«
»Hm, ok.. wie wäre es denn dann mit einem Video? Dann musst du ihr während dem Referat nicht in die Augen schauen«
»Denke eher nicht«
»Wieso denn nicht? Du schaffst das. 🤞 Ich übe auch mit dir«
»Was wenn ich nicht will?«
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Schweigen - Aufbruch
Teen FictionMarie kann nicht immer sprechen. Von klein auf hatte sie nur wenige Freunde; saß im Kindergarten oder in der Grundschule meist alleine zurückgezogen in einer Ecke. Anfangs wurde es als Schüchternheit abgetan und ignoriert. Doch es änderte sich nich...