Kapitel 1.09 - Herbstferien

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Die Sonne schien durch das Dachfenster auf das Bett und erwärmte dieses. Unterdessen schlief Marie ruhig weiter. Es war der erste Samstag in den Herbstferien. Sie konnte ausschlafen und das eine ganze Woche lang, zumindest theoretisch.

Nach dem Frühstück rannte Marie die Treppe nach unten, wo die Großeltern wohnten. Da Ferien waren und Marie keine Hausaufgaben hatte, verbrachte sie die Zeit mit verschiedenen Spielen. In einem kleinen Schrank in der Ecke der Küche bewahrte ihre Oma einige Brettspiele auf. Ein paar davon waren alte, noch aus ihren Kindertagen; die anderen waren von Marie oder Kilian, die sie irgendwann nach unten geschleppt hatten. Heute war Marie nach Monopoly, also zog sie es aus dem Schrank und breitete das Spielbrett sogleich auf dem Tisch aus. Nachdem alles vorbereitet war, konnte es auch schon losgehen. Runde für Runde drehte sich alles um Grundstücke kaufen, Miete einkassieren und bezahlen, Ereignis- und Gemeinschaftskarten. Diese Zeit war immer lustig, sorgenfrei und entspannt für Marie. Marie hatte aber auch ein Händchen und das nötige Quäntchen Glück dafür, sodass sie ein hohes Vermögen im Spiel aufbauen konnte. Ihr Opa war dagegen nicht so erfolgreich und meist als Erstes bankrott. Nun gut, zugegebenermaßen lag das eventuell auch daran, dass er das Spiel fernerhin nicht ganz so ernst nahm wie Marie.
In der Mittagszeit wurde das Spiel allerdings unterbrochen - nicht unbedingt nach Maries Willen, danach hätte es nämlich bis Mitternacht weitergehen können. Diese Spiele waren für Marie schon eine verrückte Sache. Einmal angefangen konnte sie nicht mehr aufhören - zum Leidwesen ihrer Großeltern, die manchmal schon genervt waren von der ganzen Spielerei, der Enkelin aber selbstverständlich keinen Wunsch ausschlagen konnten. Für diese war es jedoch eine Situation, in der sie ganz unbefangen mit ihren Großeltern sprechen und Spaß haben konnte. Im direkten Gespräch war es ihr meist unangenehm, manchmal auch unmöglich auf Fragen zu antworten.

Nach dem Mittagessen lief Marie sofort wieder nach unten und stellte den Spielplan wieder genauso auf, wie sie aufgehört hatten. Dieselben Figuren, derselbe Standort, dasselbe Vermögen. Es sollte niemand einen Vorteil aus der Unterbrechung ziehen können. Der Verlauf musste so weitergehen, wie begonnen wurde.
»Ach, Marie, willst du nicht rausgehen?«, fragte der Opa nach ein paar Runden. »Draußen ist so schönes Wetter.«
»Erst müssen wir zu Ende spielen«, meinte Marie wohlwissend, dass es an diesem Tag aller Wahrscheinlichkeit nach kein Ende geben würde, da einer der beiden Großeltern es vorher abbrechen würde.
So war es dann auch nach zwei Stunden, als ihre Oma einfach aufstand mit den Worten:
»So, ich mag jetzt nicht mehr.«
Marie wusste, Widerstand war zwecklos. Gleichzeitig respektierte sie auch den Wunsch ihrer Oma und auch ihres Opas, der auch schon viel lieber andere Dinge erledigen wollte. Sie notierte fein säuberlich, wer mit welcher Figur auf welchem Spielfeld stand und stapelte für jeden Mitspieler die Besitzrechtkarten und Banknoten, welche sie jeweils mit einem Gummiband umwickelte. Es musste das nächste Mal genau mit diesem Stand weitergehen.

Beim Abendessen öffnete sich plötzlich die Tür zum Esszimmer und Oma und Opa traten herein.
»Wir haben uns überlegt, morgen mit euch einen kleinen Ausflug in die Berge zu machen«, begann Oma.
Wandern?
Wandern war eigentlich nicht die liebste Beschäftigung von Marie. Sie wollte ihren Großeltern aber natürlich eine Freude machen und so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen, also nickte sie.
»Von mir aus gern.«
Da es ein Familienausflug sein sollte, willigten auch ihre Mutter und ihr Bruder ein. Der Vater war bei so etwas nie dabei. Es gab eigentlich immer etwas zu arbeiten für ihn. Insgeheim freute sich Marie auf eine Weise auch darüber - sie war da zwiegespalten bei dem Thema -, ausgesprochen hatte sie das aber nie. Durfte man das überhaupt?

***

Früh morgens wurden bereits die Rucksäcke gepackt, bevor sie sich beim Frühstück noch eine Stärkung holten und anschließend um Acht losfuhren in Richtung Berge. Marie saß am Fenster - nach einem langen Kampf mit ihrem Bruder, der daneben Platz nahm - auf der anderen Seite saß ihre Mutter, davor die Oma und Opa fuhr.
Marie holte schon bald nach dem Losfahren ihre Handheld-Konsole aus der Tasche. Auch wenn sie mittlerweile ein Handy hatte, so war ihr zum Spielen die Konsole lieber. Kilian tat es ihr gleich. Während er jedoch einen Nintendo DSi besaß, musste sie auf dem Vorgängermodell, dem DS Lite, spielen. Warum war es auch so, dass die jüngeren Geschwister immer die Sachen der Älteren auftragen mussten? Die Eltern hätten schließlich auch ihr das neuere Modell kaufen und Kilian seinen behalten können. Jetzt rieb er ihr immer die tollen Funktionen des DSi unter die Nase. Vor allem als sie jünger waren, hatte er sie damit regelrecht genervt. Heute war es nur noch eine Sache aus Gewohnheit und sie lachten beide darüber. Die ganze zweistündige Fahrt über spielten sie gegeneinander Mario Kart. Ruhig war es deshalb dennoch nicht im Auto - im Gegenteil. Es konnte ziemlich laut werden.
»Hast du gerade wirklich den Panzer losgelassen?«, schrie Marie ihren Bruder an und stieß ihn von der Seite, nachdem sie deswegen den ersten Platz verlor.
»Na warte, das kriegst du zurück.«

Schweigen - AufbruchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt