Das Licht in der Niederhölle 1/5

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~Kapitel 1~

Prinzessin Lyra

»Guten Morgen, Prinzessin!« ,begleitet vom seltenen Klang einer sich öffnenden Tür, wandte sich Lyra der vertrauten Stimme zu.
Wie an jedem Morgen verfolgte sie gespannt das langsame Aufklappen des großen hölzernen Monstrums, das sich lediglich dreimal am Tag öffnete. Jede einzelne Faser des Holzes kannte sie in- und auswendig. Sobald es sich öffnete, wusste sie, welche Stunde geschlagen hatte, und erhaschte einen flüchtigen Blick nach draußen, selbst wenn es nur die dunklen Fliesen der Wand waren, die sie sehen konnte.

»Vielen Dank, Maridith...« ,erwiderte sie kühl, als ihre Amme das Frühstück auf den kleinen Tisch neben dem großen Fenster stellte.

Maridith trug eine dämonische Robe in tiefen Schattierungen von Purpur und Nacht. Sie bewegte sich mit beinahe tänzerischer Anmut durch den dunklen Raum, ihr Umhang floss in fließenden Falten um sie herum und glitt leicht über den Boden.
Die Kühle des Raumes hatte Lyra leicht ergriffen, und sie schlang die Arme um ihre Schultern, während sie langsam an ihnen rieb, um die leichte Kälte zu vertreiben.
Maridith trat zu ihr und begann, ihr langes goldenes Haar zu einem eleganten Zopf zu flechten. Währenddessen verharrte Lyra in nachdenklichem Schweigen, was ihre Amme rasch zu bemerken schien.

»Welch Traum hat Euch heute den Schlaf geraubt?« ,fragte sie und verband geschickt eine Haarsträhne mit der anderen.
Lyra spürte, wie Maridith sich mehr Zeit nahm als üblich. Ihr Blick fiel auf den großen Spiegel neben dem erloschenen Kamin und sie sah zu, wie ihre Amme eine Rose aus ihrem Haar zauberte.
Ihr cremefarbenes Schlafgewand zierte ein paar Falten, die durch ihren unruhigen Schlaf entstanden waren. Das Gewand lag sanft auf ihrer Haut, und feine Stickereien aus goldenem Faden zierten den Saum und die Ärmel, während sie wie ein funkelnder Sternenhimmel leuchteten.
Der Kragen war mit zarten Spitzen verziert, über die ihr langes goldenes Haar lag. Ihr Gewand verlieh ihr eine zusätzliche Note von Eleganz, die sie selbst im Schlaf anmutig erscheinen ließ. Lyra wandte sich wieder von ihrem Spiegelbild ab, und das trübe Licht zeichnete die Schatten ihres königlichen Schlafgewands auf.
»Ich träumte von unserer Welt, Maridith...« ,erzählte sie leise, während Maridith den Zopf fertigstellte und ihr ihre Krone überreichte.

Für einen kurzen Moment betrachtete Lyra die Krone traurig, bevor sie sie langsam auf ihren Kopf setzte. Sie war aus edelstem Eisen gefertigt, das jedoch mit der Zeit von der Dunkelheit zerfressen wurde.
Sie strahlte einst in einem schimmernden rubinroten Ton, doch nun war sie an den Anfängen pechschwarz angelaufen.
Ihre Krone hielt in geschwungenen Fragmenten kleine Edelsteine fest, die je nach Einfall des Lichts orange aufglühten wie glühende Asche.
So schön sie einst gewesen war, machte sie Lyra traurig. Sie fühlte sich seit langem nicht mehr wie eine Prinzessin, die ihrem Posten gerecht wurde oder gar würdig war.

»Die Finsternis mag unser Schloss meiden, doch ich bin noch immer daran gehindert, mein Gemach zu verlassen...« ,fuhr sie fort und trat nachdenklich an eines der dunklen Fenster heran, ihr Blick verloren im Schlosspark.
Die Fenster bestanden aus kunstvoll zusammengesetztem buntem Glas, das eine majestätische, dunkelrote Rose inmitten einer finsteren Nacht zeigte. Diese Feuerrosen waren das uralte Wahrzeichen des Feuervolkes, ein Volk gezeichnet von Leid und Verrat. Diese Gedanken plagten Lyra jeden Tag, hinterließen eine bittere Kälte in ihrem Herzen.
Die Fenster waren von außergewöhnlicher Qualität, kunstvoll gefertigte Meisterwerke, die in den Augen aller, die sie betrachteten, wahrhaftig wunderschön erschienen. Ihre lebendigen Farben und komplexen Muster erzählten Geschichten vergangener Zeiten und übermittelten Gefühle, die in der Dunkelheit des Schlosses oft verborgen blieben.
Doch in der praktischen Anwendung erfüllten sie nicht ihren eigentlichen Zweck. Lyra konnte nur mit größter Anstrengung einige düstere Gestalten ausmachen, die ziellos durch den verträumten Rosengarten wanderten.

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