Verloren in der falschen Welt 2/5

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Prinzessin Lyra

Stunden vergingen lautlos, seit Lyra zu ihrer Laterne zurückgekehrt war und sich neben ihr niedergelassen hatte. Eine Weile starrte sie auf den schwachen Schein des Lichts, das ihr Vater und Maridith mitgenommen hatten, und hoffte, dass sie diesen Spiegel hinter sich gelassen hatten. Nach einer gewissen Zeit beobachtete sie, wie der Lichtschein wanderte und schließlich verblasste. Sie verharrte geduldig, wartete darauf, dass es sicher genug schien und alle Dämonen verschwunden waren. Ihr Verschwinden würde vorerst unbemerkt bleiben, da man annahm, dass sie sich in ihrem Zimmer aufhielt. Erst im späten Mondschein würde man nach ihr suchen.
Der Mond stand direkt über ihr, und so wusste Lyra, dass sie noch genug Zeit hatte, um zu ihrem Gemach zurückzukehren – oder das dachte sie zumindest. Sie plante, nur einen flüchtigen Blick auf den Spiegel zu werfen und dann zurück zum Schloss zu eilen.
Doch sie konnte nicht erahnen, was ihr bevorstand. Die Kälte umhüllte sie langsam, und Lyra spürte, wie die Finsternis nach ihr griff. Noch einmal warf sie einen prüfenden Blick in Richtung des erloschenen Lichts. Als sie nichts als die dunklen Tannen sah, umklammerte sie den eisernen Henkel der Laterne und erhob sich. Erstmals bemerkte sie, dass das Licht heller schien, sobald sie den eisernen Käfig berührte, und der Lichtkegel einen weiteren Radius erfasste.
»Vielen Dank, kleines Licht... Möge deine Seele in Frieden ruhen«, flüsterte sie dankbar und schätzte sich des Glückes, dass die Finsternis von ihr wich.

Die knackenden Geräusche unter ihren Stiefeln wurden lauter, als sie über die vertrockneten Äste lief. Verdeckt hielt sie sich hinter der Tanne, an der sie zuvor Maridith und ihren Vater beobachtet hatte.
Das Licht in ihrer Hand vollführte einen geheimnisvollen Tanz, doch begann es plötzlich, gegen die Laterne zu prallen und einen metallischen Klang breitete sich aus, ähnlich dem einer Glocke. In diesem Moment erschrak Lyra und setzte die Laterne vorsichtig ab. Es schien fast so, als würde das Licht diesen Ort meiden wollen.
Dies empfand sie als eine Art warnendes Signal. Den eisigen Schauer, der ihr über den Rücken lief, versuchte sie jedoch zu ignorieren, als sie den prachtvollen Spiegel erblickte. Feste Wurzeln hatten ihn umklammert.
Lyra nahm die Laterne erneut in die Hand und umrundete die schützende Tanne. Der Spiegel war auf einem weißen Marmorpodest befestigt. Sie konnte nichts darin erkennen und trat näher heran. Das Licht schien sich allmählich in der Laterne zu beruhigen.
Doch wurde es so still, dass es einfach auf dem eisernen Boden lag und vor sich hin glühte.

Plötzlich geschah etwas höchst Seltsames. Je näher sie dem Spiegel kam, desto mehr wurde eine Gestalt in seinem Inneren sichtbar.
Eine hübsche junge Frau mit roten Haaren und grasgrünen Augen blickte ihr entgegen. Es war sie selbst. Überrascht blinzelte sie, und wie auf magische Weise begannen plötzlich weiße Rosen um den Spiegel herum zu sprießen. Sie entfalteten ihre zarten Blüten in voller Pracht.
Die einst grauen und verdorrten Wurzeln wurden von einem blauen Feuer verzehrt und Lyra konnte beobachten, wie um den Spiegel herum weitere Rosen emporwuchsen.

 Die einst grauen und verdorrten Wurzeln wurden von einem blauen Feuer verzehrt und Lyra konnte beobachten, wie um den Spiegel herum weitere Rosen emporwuchsen

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Sie konnte kaum begreifen, was gerade geschehen war, als der Spiegel ihr noch mehr offenbarte. Das Gezeigte war nicht klar erkennbar, also setzte sie die Laterne ab, um es genauer zu betrachten. Ihre Augen weiteten sich, und ihre Augenbrauen zogen sich in Erstaunen nach oben. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust, und die Hände, feucht vor Aufregung. Konnte dieser Spiegel tatsächlich erkennen, wer vor ihm stand?
Freute er sich, Lyra zu sehen und wollte er ihr etwas aus der verbotenen Welt enthüllen?
Diese Fragen wirbelten in ihrem Kopf, als ihr eigenes Spiegelbild allmählich verschwand und Platz für etwas Neues machte.
Die Überreste ihres Abbildes verschwammen, ähnlich wie ein Bild im Wasser, wenn man ein Stein hineinwarf, und formten sich zu einem neuen Spiegelbild.

Sie erblickte einen hellblauen Anzug, der sich fragmentiert vor ihr zusammensetzte. In diesem Moment war Geduld nicht Lyras stärkste Eigenschaft, und trat noch näher an den Spiegel, um schnell mehr erkennen zu können.
Zu einem Anzug folgte eine Hand, die sich an der gläsernen Oberfläche festhielt.
Sie legte ihre eigene Hand auf die etwas größere Handfläche im Spiegel, und plötzlich trafen ihre Blicke auf zwei graublaue Augen. Diese starrten sie erstaunt an. Doch Plötzlich, mit einem plötzlichen Lichtschein um Lyra herum, zerbrach der eiserne Käfig der Laterne des toten inneren Lichtes.
Sofort versuchte Lyra ihre Hand vom Spiegel zu lösen, doch dieser hatte sich in flüssiges Wasser verwandelt und hielt sie gefangen.
»Lasst mich los!«, schrie sie den Spiegel an, während sie mit ihrer anderen Hand verzweifelt an ihrem Arm zerrte.
Doch das Wasser umklammerte sie so fest, dass sie keine Möglichkeit hatte, sich zu befreien.
»VATER! MARIDITH!«, rief sie in ihrer Verzweiflung, während das Wasser sich um ihren Arm wand.
Warum sie in einer solchen Gefahrensituation nach ihrem Vater rief, wusste sie genauso wenig wie den Ort, zu dem der Spiegel sie führen würde.

Das Wasser zog plötzlich mit einem Ruck an ihr, sodass sie sich dem nassen, düsteren Spiegel näherte und es ihren Körper beinah umschloss, beginnend von ihrem Arm bis zu ihrer Hüfte. Sie schrie so laut, wie ihre Lungen es erlaubten, doch der Wald nahm ihren Hilferuf stumm auf.
Warum sollte dieser Spiegel solch schreckliche Dinge tun?
Lyra war sich sicher, dass der Spiegel sie mochte. Doch sie konnte sich keinen Reim darauf machen, warum er vor ihr solch prächtige Rosen, hatte erblühen lassen.
War es möglich, dass es erneut ein Trick war, ähnlich dem, den die Finsternis durch vertraute Stimmen ausübte und einem in den Tod lockte?

In diesem Moment konnte Lyra jedoch nicht weiter darüber nachdenken. Das Wasser reichte nun bis zu ihrem Hals und zog sie unaufhaltsam weiter in den Spiegel hinein.
Sie wusste, dass sie darin ertrinken würde. Das Wasser fühlte sich seltsam an, nicht wie gewöhnliches Wasser, sondern eher wie kaltes Silber, das über sie lief.
Eine eisige Träne bahnte sich ihren Weg über Lyras Wange, als das Wasser ihre Lippen erreichte und ihren Hals zusammenschnürte. Lyra hielt den Atem an, als die Kälte ihre Nasenspitze berührte, und schloss ihre Augen.

Dann ließ sie alles über sich ergehen. Eine eisige Schwerelosigkeit umhüllte ihren Körper, und sie fühlte sich, als würde sie durch eine andere Dimension gezogen. Ein kalter Wind strich durch ihr Haar und ihre Fingerspitzen, während sie weiterhin den Atem anhielt.
Die Umgebung um sie herum schien sich zu verändern, und sie hatte das Gefühl, unter Wasser zu sein, obwohl sie keinen Widerstand gegen den vermeintlichen Auftrieb spürte. Stille umgab sie und sie hielt ihre Augen fest geschlossen, während ihr Herzschlag sich verlangsamte und ihr Atem verstummte.
Doch schließlich konnte sie die Luft nicht länger anhalten. Bereit, das erwartete Wasser in ihre Lungen strömen zu lassen, atmete sie aus und wartete darauf, dass die Kühle durch ihre Nase eindrang.
Doch das Wasser kam nicht. Stattdessen spürte sie eine unglaubliche Hitze, die in ihren Adern pulsierte. Es war ein seltsames, aber angenehmes Gefühl, das sie nicht genau benennen konnte. 

Gerade als sie ihre Augen öffnen wollte, durchzuckte ein so helles Licht ihre geschlossenen Lider, dass sie keine Wahl hatte, als sie wieder zuzukneifen und ihre Hände schützend vor ihr Gesicht zu halten.
Plötzlich entstand hinter ihr ein gewaltiger Druck, der sie mit rasender Geschwindigkeit ins Ungewisse stieß. Ihre Haare wirbelten durcheinander, und ihr Körper fühlte sich an, als würde er unter der enormen Kraft zusammengepresst werden. Lyras Empfindungen wurden wie gelähmt, ebenso wie ihre Wahrnehmung der Welt um sie herum. Sie befand sich in einem Zustand der Betäubung, unfähig zu denken oder zu fühlen, während der Druck unaufhaltsam zunahm. Das nächste, was sie spürte, war etwas Weiches, auf dem sie landete, und ebenso schnell pulsierte wie ihr Herz. 

»Autsch...«, entfuhr es einer fremden, sanften Stimme.
Sie öffnete langsam die Augen und stemmte sich vom pulsierenden Untergrund ab.
Vor ihr sah sie wieder die graublauen Augen, die sie zuvor im Spiegel erblickt hatte. Überrascht schrak sie zurück und rutschte von dem rettenden Körper, auf dem sie gelandet war.
»Geht es Euch gut?«, fragte der junge Mann, der einen eleganten Anzug aus Eisblumen trug.
Er erhob sich anmutig, klopfte Staub von seiner Anzugshose und reichte ihr hilfsbereit die Hand entgegen.

Lyra blickte den jungen Mann verwirrt an. Sein Blick war besorgt, seine Augen spiegelten jedoch Erleichterung wider.
Sie spürte, wie ihr Herzschlag sich langsam beruhigte.
»Ja, ich- ich denke schon. Aber wo bin ich? W-was ist passiert?«, stammelte sie und richtete ihren Blick um sich...

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