Eisige Zukunft 2/3

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Prinzessin Lyra

Niemals hätte Lyra gedacht, dass sie eines Tages das Schloss heimlich verlassen würde, das Licht eines toten Dämons in ihrer Hand.
Es strahlte aus dem eisernen Käfig und erwärmte dabei ihren Körper. Diese Wärme glich einem flackernden Feuer und verlieh ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Langsam und tastend folgte Lyra dem Herzschlag der Dämonen durch den näherkommenden, düsteren Wald. Kurz bevor sie ihn betrat, hielt sie inne, denn sie wusste, was in diesem Wald vor sich ging – schreckliche Geschehnisse, die Erinnerungen hervorriefen, die für ein kleines Kind wie sie damals traumatisch waren. Daher war es ihr ein ernstes Anliegen, beim Betreten des Waldes keine Angst zu verspüren, denn dieses Gefühl würde die Finsternis anlocken.

Die Finsternis konnte Angst auf Kilometer Entfernung wahrnehmen, und je intensiver dieses beängstigende Gefühl war, desto stärker würde die Finsternis auf sie zukommen.
Dennoch trieb Lyra das Geräusch der schlagenden Dämonenherzen, trotz ihrer Abneigung gegenüber diesem Wald, in seine finsteren Tiefen.

Das Licht tanzte im eisernen Käfig, doch schien es eher ein aufgeregter Tanz zu sein, der immer nervöser und hektischer wurde, je weiter sie voranschritt. Lyra fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn sie es berührte, doch aus Respekt ließ sie das Licht unberührt.
Die Herzschläge wurden lauter und ihre Hände wurden allmählich etwas schwitzig. Sie versuchte, nicht daran zu denken, wie ihr Vater reagieren würde, sollte er sie entdecken.

Der düstere Wald bestand aus vertrockneten, toten Tannen, deren Äste wie hungrige Gerippe wirkten. Sie umgaben Lyra, während der Mond trüb das vertrocknete und leicht verkohlte Geäst beleuchtete, über das sie lief. Gelegentlich trat sie auf schwarzen Sand, der die Finsternis zurückließ und eine Spur hinter sich herzog – eine Spur, der man besser nicht folgte, es sei denn, man wollte vorzeitig sterben.
Bei jedem Schritt, den sie setzte, knackte es. Ihr Herz setzte bei jedem zerbrechenden Ast unter ihren schwarzen Stiefeln kurz aus. In diesem Wald gab es kein Leben zu entdecken, sei es Pflanzen, Tiere oder andere Lebewesen. Alles, selbst der kleinste Grashalm, war tot und zerfiel sofort bei der geringsten Berührung.

Nachdem sie eine Stunde lang den dämonischen Herzschlägen orientierungslos gefolgt war, bemerkte Lyra plötzlich einen Geruch, der sie veranlasste, das Licht näher an sich zu halten.
Ein abstoßender Geruch von Eisen ließ sie schwer schlucken. Diesen Geruch kannte sie nur allzu gut. Er schien förmlich ihre Kehle zu erdrücken und lief langsam und bitter ihren Hals hinunter. Der Geschmack von Blut breitete sich auf ihrer Zunge aus. Sie war sich dessen Sekundenbruchteile später bewusst. Der Geruch verursachte eine regelrechte Verengung in ihrer Kehle.

Dann fiel ihr Blick auf mehrere dunkelrote Augen, die sie fixierten. Die Finsternis verfolgte sie, ohne sich heimlich anzuschleichen oder sich zu verbergen. Lyra wandte schnell den Blick ab und richtete ihn starr auf die eiserne Laterne, während sie den Henkel fester umklammerte.
Sie durfte nicht stehenbleiben und in die durchdringenden, roten Augen starren. Ihre Stirn glänzte vor Schweißperlen, während sie verzweifelt versuchte, die bedrohliche Begegnung zu ignorieren.
Die Finsternis blieb hartnäckig an ihrer Seite, während sie weiterhin den Herzschlägen der Dämonen zu folgen versuchte. Innerlich spürte sie, wie die Bereitschaft, loszurennen, in ihr hochstieg.

Lyra war im Wissen, wie sie sich verhalten sollte, wenn die Finsternis ihr zu nahe käme. Sie war in ihrer Geschwindigkeit sehr geübt und hatte über die Jahre taktische Laufschritte mit Maridith einstudiert, auch wenn es ihr nicht erlaubt war.
Doch in diesem Moment wurde ihr klar, dass es wenig nützen würde, davonzulaufen, wenn sie nicht einmal wusste, wo sie sich befand und die Freiheit zu fern war.

Der bittere Geruch drang in ihren Kopf und versuchte sich durch einen pochenden Schmerz bemerkbar zu machen. Gleichzeitig begannen Lyras Hände zu zittern, und sie zog das Licht in der Laterne so nah an sich heran, dass sie beinahe ihre Hand verbrannte.
Die roten Augen der Finsternis hielten sie fest, fesselten sie förmlich und schnürten sie immer weiter ein. Sie warteten auf den richtigen Moment, um sich auf sie zu stürzen und ihr Fleisch zu verschlingen. Doch das unruhige Licht in der Laterne hielt die Finsternis zurück. Lyra widerstand dem erneuten Drang, ihre Schritte zu beschleunigen, da das schwere Geäst unter ihren Füßen dadurch nur lauter werden würde.

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