Unerwartete Situation

526 21 2
                                    

Jola
„Hallo, weißt du was passiert ist?" fragt mich der Sanitäter. Irgendwie ist seine Stimme so ruhig und sanft.
Hmm, wie gerne würde ich da so liegen bleiben...
Aber das geht nicht, also nicke ich heftig mit dem Kopf, damit er sich wieder von mir abwendet und stehe sogar langsam auf.

„Ist alles in Ordnung?"
„Ja" bekomme ich über meine Lippen obwohl sich mein Mund komplett trocken anfühlt.
„Komm, ich bring dich trotzdem an die frische Luft"
Warum ist er so lieb zu mir? Ich komme schon alleine klar!

Der Sanitäter namens Phil geht mit mir Richtung Schulhof. Doch meine Beine sind so wacklig und ich schaffe es kaum, mich zu halten.

Phil Funke
Das Mädchen hat sichtlich Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten und ist sehr damit beschäftigt, dass ihre Beine nicht nachgeben.

Ich strecke der jungen Patientin meinen Arm entgegen: „Hier, du kannst dich bei mir festhalten"
Doch sie verweigert meine Hilfe.
„Du kannst mir ruhig vertrauen, ich möchte dich nur stützen" rede ich auf das Mädchen ein, noch immer ohne Erfolg.
Nachdem sie beinahe wieder zur Seite gekippt ist, scheint sie doch keine andere Wahl zu haben und greift aus Reflex zu meinem Arm.

Jola
Oh nein, nein nein nein! Halte ich mich tatsächlich gerade an einem Sanitäter fest?
Mir wird übel...
„Sehr gut, nur weiter so, wir haben es fast geschafft!"
Seine Stimme ist so beruhigend und seine Worte bestärkend.
Wobei ich noch immer nicht verstehe, wie er sich von einem dreckigen Mädchen wie mich berühren lassen kann. Und ich verstehe nicht wieso ich plötzlich einem Arzt oder in diese Richtung vertrauen möchte!
Das ist kompletter Unsinn! Und ich werde so viel Ärger bekommen!

„Warte kurz" sagt er während wir uns vor eine Klasse begeben und er die Tür öffnet.
„Marion!" ruft er in das Zimmer hinein.
Die rothaarige kommt natürlich sofort.
„Das Mädchen hier ist zusammengebrochen, könntest du dich mit Alex auf die Stationen aufteilen?"

Marion Fröhlich
Alles lief soweit gut. Bis Phil mich gerufen hat.
Wir waren nicht darauf vorbereitet, heute in der Schule einen echten Notfall zu erleben. Aber es ist selbstverständlich kein Problem.
Es ist zwar mein erster Tag als Vortragende, aber ich bin es gewachsen Herausforderungen anzunehmen. Zumindest bin ich schon einmal mit einer aufgebrachten Jugendlichen am Dach gestanden und war auf Livestream!
Also werde ich mich auch um die Gruppe alleine kümmern können. Teamwork bedeutet nicht, nur immer zusammen sein zu können.

Jola
An der frischen Luft atme ich tief ein.
„Möchtest du dich vielleicht hinsetzen?"
Bevor er den Satz beenden kann, lasse ich mich schon auf den Boden gleiten.
„Ja so geht's auch", sagt er und fügt nach kurzer Zeit hinzu: „Wie heißt du denn?"
„Jola?" gebe ich leise von mir.

„Okay, Jola, geht es soweit?"
Ich nicke still.
„Passiert dir soetwas öfters?"
Er sieht mich irgendwie ganz besorgt an, das verunsichert mich extrem...
Ich schüttle nur den Kopf.
„Und Jola, Hast du denn gefrühstückt?"
Ich verneine wieder: „Aber das ist normal"
„Hm, aber nur weil es für dich normal ist, ist es nicht unbedingt gut oder?"
Ich starre nur in die Ferne und versuche mich auf einen Punkt zu konzentrieren, damit das Drehen in meinem Kopf aufhört.

„Tut dir irgendetwas weh, Jola?"
Ich schüttle hastig den Kopf. Natürlich nicht, zumindest darf es niemand wissen.
„Irgendwelche Vorerkrankungen?"
Ich verneine.
„Ist dir schwindlig?"
Automatisch lehne ich wieder ab, ich schüttle dauernd nur den Kopf, auch wenn etwas zutrifft, die richtige Antwort ist immer Nein.
„Du siehst schon sehr blass aus.."
„Das ist normal bei mir"
„Achso, so wie es normal ist, dass du wenig isst? Denn etwas abgesehen vom Frühstück hast du auch nicht zu dir genommen oder?"
Da ich schon sozusagen eintrainiert habe, immer den Kopf zu schütteln, tue ich es diesmal ebenfalls.

„Wartest du hier kurz, geht das Jola? Weil dann hole ich dir eine Flasche Wasser, okay?"
Das einzige was ich herausgehört habe, ist dass ich alleine warte, und das ist gut, also stimme ich zu.

Alex Hetkamp
Plötzlich kommt Phil doch noch mal kurz zu der Station zurück. In seiner Hand hat er eine Wasserflasche. So heiß ist es zwar nicht, aber vielleicht hatte das Mädchen trotzdem einen Kreislaufkollaps. Phil sieht ein bisschen mitgenommen aus, scheint als wäre er nicht ganz zuversichtlich mit seiner Patientin. Und natürlich haben wir alle das überhaupt nicht erwartet.
„Ihr habt nur gesehen wie sie zusammengebrochen ist?" wendet er sich an die Jugendlichen, welche bejahen.
Als er nach Vorerkrankungen fragt, gibt jeder an, nichts zu wissen.
Danach eilt mein Kollege wieder Richtung Schulhof zurück.

Phil Funke
Das Mädchen sitzt so da wie ich es verlassen habe.
„Hier, trink mal ein paar Schluck; hast du heute überhaupt schon Flüssigkeit zu dir genommen?" meine ich und strecke ihr die Wasserflasche entgegen.
Sie nimmt sie lautlos an und versucht den Verschluss aufzuschrauben. Es scheint allerdings, ihr fehlt die Kraft dazu.
Also nehme ich ihr behutsam wieder die Flasche aus der Hand und gebe sie ihr geöffnet zurück.
Daraufhin sieht mich das Mädchen mit großen Augen lange an.
„Du darfst es trotzdem trinken!"
Endlich hört sie auf zu zögern, bedankt sich und führt die Flasche zu ihrem Mund.

Dabei fallen mir kleinere Abschürfungen an ihren Händen auf.
Nachdem sie getrunken hat, möchte ich sie darauf ansprechen: „Was ist hier passiert, weißt du das?"
„Ähm Neurodermitis!", antwortet sie schnell.
„Hast du nicht vorhin gesagt, du hast keine Vorerkrankungen?"
Ich sehe das Mädchen nachdenklich an. Will es mir etwas verheimlichen?
„Hm naja, ich habe vorhin vergessen, es zu erwähnen, aber es ist ja jetzt auch nicht wesentlich"
Ich frage sie nochmal: „Und wenn du jetzt ganz stark überlegst, fallen dir dann noch weitere ein?", diesmal verneint sie abermals.

„Okay Jola, darf ich dich einmal kurz untersuchen?"
Ich möchte Licht in diese prekäre Situation bringen. Aber meine Hoffnung erlischt, als sie ablehnt. Vielleicht war es doch zu erwarten.
„Darf ich fragen, warum? Ich tue dir doch nicht weh"
„Es ist nicht nötig. Sie haben vorhin doch gesagt, sowas passiert schnell mal und oft ist es nicht gefährlich"
Auch wenn das Mädchen eine gute Argumentierfähigkeit besitzt, überzeugt bin ich von ihrer Antwort nicht.
Bevor ich mir überlegen kann wie ich sie überreden kann, steht sie auf.

„Langsam, langsam! Meinst du es geht wieder?"
Sie bejaht und macht sich auf den Weg zurück in den Aufenthaltsraum. Ich bleibe natürlich an ihrer Seite.
„Genau, ganz vorsichtig"
Ich erlaube mir einen Blick auf die Uhr: „Jetzt müsste sowieso Pause sein, dann kannst du dich noch ein wenig erholen"
Das Mädchen nickt bloß.

Als sie sich auf einen Sessel niedergelassen hat, entferne ich mich von ihr und wende mich an die Lehrer, die mit einer Tasse Automatencafe zusammensitzen.

Im Dienst (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt