„Bitte rede mit uns"

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Paula Martinson
Am Morgen wecke ich Jola ganz sanft, damit sie nicht zu spät zur Schule kommt. Begeistert scheint sie nicht zu sein, aber vielleicht kann ich sie ein bisschen aufmuntern, wenn ich ihr verkünde, dass ihre Lehrerin ihr Wort darauf gegeben hat, sie vor Mobbingattacken zu schützen.
Aber sie nickt nur leicht und wirkt irgendwie abwesend.

Am Nachmittag kommt sie pünktlich wie erwartet wieder in die Klinik zurück.
Am Nachmittag finde ich auch kurz die Zeit bei ihr vorbeizusehen, während sie ihr Mittagessen einnehmen sollte.

Unmotiviert und mit der Gabel in dem Nudelteller herumstochernd finde ich sie vor.
„Na, wie geht's dir denn?"
Ein langgezogenes „Hmm" bekomme ich als Antwort, mehr nicht.
„Wie wars in der Schule?"
„Gut", na zumindest ein Wort kommt über ihre Lippen!
„Alles in Ordnung?" frage ich nun um einiges ernster.
„Ja hmh" richtig überzeugend hört sich das aber nicht an.
„Keinen Hunger?" frage ich besorgt, nachdem sie einige Zeit nur auf das Teller gestarrt hat.
Sie schüttelt bloß den Kopf.
Langsam mache ich mir aber wieder richtig Sorgen!
„Ist wirklich alles in Ordnung, Jola?" frage ich vorsichtig.
„Ja und kannst du mich jetzt einfach in Ruhe lassen, ich muss Hausaufgaben machen", gibt sie mir wütend zurück. So frech ist sie doch sonst nicht! Irgendetwas muss vorgefallen sein!

Sie steht auf, lässt ihr fast ganz voll gebliebenes Teller zurück und wackelt zu dem Tisch gegenüber ihrem Bett, an dem ihre Schulaufgaben ausgebreitet sind. Dabei fällt mir auf, dass sie sich die ganze Zeit beim Gehen an den Bauch gefasst hat.
„Hast du Bauchschmerzen?"
Sie ignoriert mich komplett.
Schweigend setzt sie sich und starrt auf die Bücher. Ich Knie mich zu ihr und versuche irgendwie auf sie einzureden.
„Darf ich dich nochmal untersuchen?" da keine Antwort kommt, rede ich weiter: „Jola, du hast doch Schmerzen.. und du weißt dass du mit uns reden kannst, über alles was dich belastet."
Schließlich Rinnen ihr Tränen hinunter, die arme...
Ich nehme sie in den Arm und trage sie ins Bett zurück, dann beginne ich sie zu untersuchen.
„Ich will das nicht! Ich will das nicht!" reagiert sie plötzlich und will sich von mir losreißen.
„Hey ich tu dir doch nichts, das weißt du doch. Ich möchte dich nur untersuchen, du brauchst gar keine Angst zu haben, ich werde dir nicht wehtun"
Endlich hat sie sich wieder beruhigt und ich kann kurz auf ihren Bauch sehen, bevor sie das T-Shirt schnell runterzieht, und mir den Blick darauf verwehrt. Was ich gleich einmal erkennen kann, ist ein Hämatom.
Also selbst zugefügt oder einfach so passiert ist das schon mal nicht!

„Jola, das sieht schlimm aus, lasst du mich bitte abtasten, ich muss unbedingt nachsehen, ob innere Verletzungen entstanden sind"
„Da ist aber nichts!" schreit sie und dreht sich von mir weg.
Sie ist sehr angespannt.. und das Hämatom bedeutet gar nichts gutes.
„Kannst du mir zumindest erzählen, was passiert ist, bitte."
Ich komme einfach gar nicht an sie ran!
„Jola, das ist wirklich wichtig"

Alleine komme ich da nicht weiter.. ich beschließe, sie mal in Ruhe zu lassen. Es bringt derzeit sowieso nichts sondern ihre Anspannung wächst nur mehr.

Vielleicht wäre sie doch in einer psychiatrischen Klinik besser aufgehoben. Vielleicht hätten wir sie nicht zur Schule gehen lassen dürfen.

Kurz später kontaktiere ich die Klassenlehrerin, um herauszufinden, ob in der Schule vielleicht doch etwas passiert ist.
Aber sie bezeugt, dass sie die ganze Zeit Jola beobachtet hat und sich alle Mitschüler angemessen verhalten haben.
Aber woher hat sie das Hämatom dann? Es muss heute entstanden sein! Und ihre Eltern können sie auch nicht abgefangen haben, die stehen unter Aufsicht der Polizei..
Lügt die Lehrerin etwa?!

Nachdem ich Jola eine kurze Pause gelassen habe, hole ich noch meine Kollegin Charlotte Engel dazu. Es ist notwendig, Jola heute noch zu untersuchen und möglichst bald zu operieren, wenn innere Blutungen entstanden sind!

Wir finden sie im Bett schlafend vor.
„Hallo Mäuschen" weckt sie Charlotte.
Erschreckt sieht uns das Mädchen an.
„Bist du dir sicher, dass in der Schule nichts vorgefallen ist?" frage ich sie.
Eingeschüchtert nickt sie.
„Hm okay ich habe mit der Klassenlehrerin gesprochen und sie meinte auch dass sie aufgepasst hat und nichts feststellen konnte, aber woher kommt das Hämatom dann?" überlege ich laut.

„Ähm wie lange hat die Lehrerin das alles beobachtet? Es muss am Schulweg geschehen sein.." erwähnt Charlotte plötzlich.
Oh.. dafür gibt es Kollegen!
„Du hast Recht, ja! Jola wurdest du nach der Schule angegriffen?"
Sie schüttelt widerwillig den Kopf.
„Okay, wir werden dich nie mehr so im Stich lassen! Aber wir konnten das ja auch nicht wissen.. kannst du bitte wieder mit uns reden?"

Auf einmal bricht sie komplett zusammen und kann ihre Tränen nicht zurückhalten: „Sie haben mich geschlagen, da vor der Bushaltestelle, weil sie jetzt noch wütender sind, weil ich die Wahrheit gesagt habe und sie dafür Anschiss bekommen haben, Haben sie gesagt..."
„Ach du meine Güte.."
„Es tut mir so leid Jola"
Wir sind beide betroffen aber gleich für sie da und trösten sie mit vereinten Kräften.
„Ich meine, wir fragen nicht nach Namen, weil das stresst sie wohl nur" flüstere ich Charlotte zu. Diese nickt nur darauf.
„Es wird alles gut, du musst nicht mehr zur Schule, Ja?"

Nachdem sie sich etwas beruhigt hat, lässt sie sich auch endlich brav untersuchen. Zum Glück kann ich keine schwerwiegenden Verletzungen feststellen. Aber zur Sicherheit machen wir noch ein MRT.

Bis die Ergebnisse kommen, bespreche ich mit Jolas Klassenlehrerin, dass sie in der Klinik unterrichtet wird, weil wir es nicht verantworten können, sie zur Schule gehen zu lassen. Die Lehrerin ist von der Geschichte auch ganz schockiert.

Die Ergebnisse vom MRT sind zwar unauffällig, aber wir sorgen trotzdem dafür, dass Jola sich am nächsten Tag schont und die ganze Zeit im Bett bleibt.

Im Dienst (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt