Endlich Schulschluss

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Jola
Ja, der Tag kann noch schlechter werden. Ich habe nicht mal mehr eine ruhige Pause für mich alleine, weil dieser Sanitäter mit meiner Lehrerin gesprochen hat, und sie jetzt wohl die ganze Pause über ein Auge auf mich wirft.
Einen einzigen Vorteil hat es, die anderen trauen sich für diese Zeit nicht, mich weiterhin zu diskriminieren.

Phil Funke
In einer Klasse treffen wir uns alle und reden ein wenig.
„Wir haben noch einen letzten Durchgang!", verkündet Simon.
Ich wende mich an meine Kollegin: „Du Birgit, vorhin ist ein Mädchen, Jola, bei mir zusammengebrochen. Kannst du sie vielleicht im Blick behalten, wenn sie jetzt zu deiner Station kommt?"
Birgit reagiert berührt und meint: „Natürlich, ähm kannst du mir nur kurz sagen wie sie aussieht?"
„Yes, blasse Haut, langes schwarzes zugebundenes Haar mit Pony, übergroßer grauer Kapuzenpullover und dunkle Jeans."
Plötzlich drängen sich auch Alex und Marion dazwischen. Sie wollen wissen, ob wir über das Mädchen reden und wie es jenem mittlerweile geht.
„Jola ist wieder auf den Beinen, aber ganz sicher bin ich mir bei ihr nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, sie möchte etwas verheimlichen. Sie lässt mich auch kaum an sich heran..."

Birgit Maas
Nach der längeren Pause verlassen die anderen das Klassenzimmer und die Schüler kommen zu mir herein und nehmen Platz.
Sofort sticht mir das kleingewachsene blasse Mädchen ins Auge. Das muss also Jola sein.

„Birgit Maas mein Name, ich werde euch kurz ein paar Grundlagen erklären und dann dürft ihr euch gegenseitig verbinden", begrüße ich die Jugendlichen.
Da ich schon mal hier in der Schule war, weiß ich, dass dann immer mumifizierte Schüler am Ende herauskommen. Aber Hauptsache, sie lernen richtig Wunden zu verbinden und Spaß darf dabei ruhig auch aufkommen!

Ich beginne zu erklären, wie wichtig Eigenschutz vor Fremdschutz ist und erläutere den Grund von den Gummihandschuhen. Gemeinsam klären wir noch ein wenig die Eigenschaften von Blut... und dann geht es langsam los.
Währenddessen habe ich Jola natürlich immer im Blick, aber da scheint es keine weiteren Auffälligkeiten zu geben.

Jola
Auch diese Birgit verhält sich mir gegenüber ein wenig seltsam.
Aber ich kann nur mehr daran denken, dass ich es bald geschafft habe. Meine Verletzungen schmerzen so stark und mein Körper fühlt sich so an als wäre er kurz davor, aufzugeben.
Ich muss es nur noch ein bisschen länger schaffen! Bloß nicht noch mal auf mich aufmerksam machen!
Als wäre es mir nicht schon Schmerz genug, verstecke ich meine Hände unter dem Schultisch und kratze weiterhin dort wo ich aufgehört habe.

Birgit Maas
„So, hier habt ihr das Verbandsmaterial und jetzt könnt ihr direkt loslegen, eurem Sitznachbarn einen Druckverband zu machen!"
Sofort eilen alle nach vorne und holen sich, was sie benötigen. Jeder außer Jola hat einen Partner gefunden.
Also setze ich mich ihr gegenüber.
„Du darfst gerne die Übung an mir machen"
Das Mädchen sieht mich lange mit ihren grauen Augen an und stimmt schlussendlich zu.
„Super gemacht, könnte nicht besser sein!"
Ganz professionell legt sie mir den Druckverband an, außer dass kein Wort ihre Lippen verlässt.
Aber das ist ja auch ziemlich viel für das Mädchen gewesen am heutigen Tag.
Robin meinte vorhin schon, das Mädchen hat Potential in der Ersten Hilfe, und das kann ich nur bezeugen.

Nur auf eine Sache werde ich bei genauerem Betrachten aufmerksam. Ihre Hände sind ziemlich zerkratzt, und deutliche Abdrücke von Fingernägeln sind zu sehen.
Als mein Blick länger auf ihrer Hand verharrt, reißt mich das Mädchen aus meinen Gedanken: „Neurodermitis"
Ja, das würde ihre kleinen Verletzungen erklären. So schlimm sind sie zwar nicht, aber trotzdem muss man doch irgendetwas tun können!
„Verwendest du Salben?"
Das Mädchen nickt stumm.

Dann sind wirklich alle außer Jola mit weißem Verband geschmückt. Ich gehe durch und sehe mir alle genau an, hin und wieder erkläre ich etwas dazu, falls der Verband zum Beispiel nur sehr locker sitzt.
Genau als wir fertig sind, beginnt es leicht zu regnen.
„Helft mir bitte noch aufzuräumen und achtet auf die richtige Mülltrennung. Dann sind wir hier fertig!"
Die Schüler gehorchen und nach kurzer Zeit können wir das Klassenzimmer sauber hinterlassen.

Auch die anderen Gruppen sind so ziemlich fertig und wir treffen uns im Aufenthaltsraum, wo die Schulleiterin noch ein paar abschließende Worte spricht.

Dann räumen wir die letzten Reste, die Station von der Reanimation, und den Notfallkoffer zusammen.
Die Schüler im Gegensatz sind entlassen und verlassen relativ schnell das Gebäude.

Nach und nach verabschieden wir uns auch von den Lehrerinnen und dem Feuerwehr und Polizeiteam. Doch da wir zusammenhelfen, sind die übrigen Dinge auch gleich aufgeräumt.

Jola
Endlich ist der Schultag für heute zu Ende!
Als ich das Gebäude verlasse, prasseln einzelne kleine Tropfen Wasser auf mich herab und befeuchten mit der Zeit meine Kleidung.
Die anderen werden mit dem Auto vor dem Gymnasium abgeholt, oder fahren selbst nachhause, oder teilen sich einfach auf alle Seiten auf und gehen wo auch immer hin.
Ich hingegen bleibe vor der Schule und halte Ausschau nach dem roten Auto meiner Eltern. Eigentlich müsste die Farbe doch auffällig sein, aber bis jetzt habe ich es noch nicht gesichtet.

Ich fische mein Handy aus meiner Tasche und wähle zuerst die Nummer meiner Mutter. Sie geht nicht ran. Obwohl ich mir von meinem Vater noch weniger erwarte, dass er abhebt, probiere ich ihn auch gleich anzurufen. Natürlich erfüllt sich meine Erwartung und er geht ebenfalls nicht ans Handy.
Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig als ein wenig zu warten. Ist ja wieder typisch...
Selbstständig nachhause zu gehen wäre aber auch keine gute Idee, wenn ich so nachdenke. Zu Fuß wäre ich erst nach Einbruch der Dunkelheit irgendwann zu späterer Uhrzeit zuhause. Man darf nicht außer Acht lassen, ich lebe am Land, und zur Kleinstadt wo sich unter anderem die Schule befindet, ist es schon ein ganzes Stück Weg.

Die Lehrer gehen an mir vorbei und verabschieden sich von mir.
„Musst du denn warten bis du abgeholt wirst?" fragt meine Lehrerin.
„Ja, sie kommen gleich", lege ich eine Notlüge vor. Es darf einfach nicht den Anschein haben, dass sie schon wieder vergessen oder etwas viel wichtiges zu tun haben!
„Dann warte doch drinnen, Jola, hier wirst du nur ganz nass!" sagt die Lehrerin zusätzlich und läuft danach gleich zu ihrem Auto.
Ist gar nicht so ein schlechter Tipp. Aber ich bin jetzt sowieso nass. Und ab und zu muss ich mich wieder nach draußen begeben, um zu sehen, ob meine Eltern doch kommen. Vielleicht gehen sie ja nur nicht ran, weil sie schon unterwegs sind. Auch wenn ich weiß wie naiv diese Ansicht ist, nachdem ich meine Eltern schon so lange kenne, man muss immer positiv denken!

Die Feuerwehr- und Polizei-Menschen verlassen die Schule ohne mich zu bemerken. Ich beobachte sie wie sie mit ihren Autos wegfahren.
Plötzlich erhellt ein Blitz den bewölkten Himmel und kurz darauf folgt ein lautes Donnern. Auch das noch, ein Gewitter!
Jetzt geht das unangenehme Wetterphänomen erst richtig los, und der Regen verstärkt sich.
Nachhause zu gehen kann ich bei diesem Sturm sowieso vergessen.

Ich merke wie die Lichter der Schule abgeschaltet werden und sich das ganze Gebäude verdunkelt. Dann nähern sich Stimmen von hinten und als ich zurück sehe, nehme ich leuchtende sich bewegende Streifen wahr.
Die Sanitäter und die Direktorin!
Schnell! Ich dränge mich in die Ecke neben der Tür. Vielleicht bemerken sie mich nicht und sperren mich ganz unabsichtlich in der Schule ein. Dann muss ich nicht nachhause und kann das ganze Wochenende hier bleiben! Ich hätte ein ganzes Gebäude für mich alleine... wäre das nicht schön? So rattert es in meinem Kopf und ich denke mir diverse Szenen aus, völlig alleine bei Nacht in der Schule.

Im Dienst (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt