Donnerstag

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Jola
Ich bin froh nicht mehr in die Schule gehen zu müssen! Da hat mich sowieso niemand gemocht und außerdem kann ich alleine viel besser lernen, so wie die Zeit viel besser nutzen und einteilen, weil ich mich mit dem befassen kann, was ich wichtig finde und nicht Lehrern in den Nebengegenständen irgendeinen Blödsinn zuhören muss.

Dass ich den einen Tag sozusagen im Bett gefesselt war, war blöd. Aber zumindest lassen mir die Ärzte jetzt wieder mehr Freiraum.
Langsam wird es mir sogar zu langweilig und ich suche nach einer tollen Beschäftigung...

Heimlich still und leise verlasse ich mein Zimmer und schlüpfe in einen Ärztekittel. Im Spiegel sehe ich genauso wie eine echte Ärztin aus! Also traue ich mich auf die Gänge des Krankenhauses und stehle mir eine Krankenakte.

Es ist auf der Kinderstation.
Schnurstracks mache ich mich auf den Weg! Als ich das Zimmer betrete, sehen mich mehrere Kinderaugen an.
Ich sehe mich um, ein Mädchen und zwei Jungs liegen alle brav in ihren Betten.
„Wer von euch ist Marlene?"
Das Mädchen hebt schüchtern die Hand und hustet leicht.
Es sieht noch jung aus, um die acht Jahre würde ich schätzen. Aber ganz blass sieht sie aus!
Mit glasigen Augen betrachtet sie mich.
„Wie geht's dir denn?"
„Nicht gut" meint die kleine heiser.
„Hm und tut dir irgendwas weh?"
Traurig nickt sie.
Das ist berührend das so mitanzusehen, sie muss starke Schmerzen haben, das sieht man ihr ganz deutlich an.
„Und möchtest du mir sagen, wo?"
Das Mädchen zeigt mir darauf zögerlich ihren Hals und fasst auf eine entzündete Stelle. Da sie die Körperstelle vorhin fest eingewickelt hat mit einem Schal, bin ich misstrauisch.
Bei normalen Halsschmerzen und einer Grippe, müsste die Stelle nicht so angeschwollen sein. Außerdem ist das doch genau die Stelle der Lymphknoten, wenn ich mich nicht irre!

„Hast du öfters Halsschmerzen?"
Ängstlich nickt das Mädchen: „Aber Mama soll sich keine Sorgen machen und Papa auch nicht"
„Okay na dann musst du schnell gesund werden! Das kriegen wir schon hin, versprochen"
Jetzt lächelt sie schwach, was mir sehr viel Freude bereitet.

Vielleicht erfahre ich mehr, wenn ich kurz ihre Akte lese. Tatsächlich, das Mädchen ist erst 7 sie ist stationär aufgenommen, weil sie bereits sehr oft wegen starken Fieber in die Klinik kam.
Ich werde missmutig gelaunt, wenn ich so nachdenke.. es muss etwas größeres hinter dem ganzen Stecken.

Ich sehe Buntstifte an einem Tisch liegen und frage die Kinder, ob ich sie ausleihen darf.
Mit diesen schreibe ich auf die Akte, während ich Marlene erkläre: „wir ordnen gleich eine Blutuntersuchung an, Okay? Dann schauen wir später nach, ob mit deinem Blut alles in Ordnung ist"
Schüchtern stimmt mir das Mädchen zu.
Dann verbringe ich noch ein zwei Stunden bei den Kindern und wir spielen Spiele zusammen und reden und ich lese ihnen Geschichten vor und alles in allem haben wir viel miteinander gelacht und die Kinder haben sich sogar für den schönen Nachmittag bei mir bedankt. Aber dann verlasse ich das Zimmer wirklich weil alle drei schon fast einschlafen.

Meine Motivation ist aber immer noch voll da und deshalb nehme ich mir eine zweite Akte.
Diese führt mich zu einem Mann mittleren Alters. Keine großen Beschwerden, ist nur mehr zur Überwachung hier und Routineuntersuchungen sind durchzuführen.
Diesmal lese ich die Akte bevor ich zum Patienten gehe! Und das bekomme ich glaube ich gut in den Griff! Hört sich zumindest nicht schwer an...

Mit einem Lächeln betrete ich das Zimmer und werde auf einen Mann aufmerksam: es ist DER Mann.
„Hallo Jola schön dass du mich besuchen kommst", sagt er bevor ich irgendwie reagieren kann.
„Wieso trägst du eigentlich einen Arztkittel?" fragt er augenscheinlich belustigt.

„Äh" stammele ich: „wie geht es Ihnen?"
„Mit geht es schon viel besser, danke der Nachfrage! Und wie geht es meiner kleinen Lebensretterin?"

„Nein, nein ich bin nicht Jola, ich bin die Ärztin, sie müssen mich verwechselt haben"
Der Mann sieht mich ungläubig an.
„Ich messe am besten gleich Fieber, Sie sind ja ganz verwirrt" versuche ich eine Ausrede zu finden.

„Nette Aktion Jola, aber glaube mir, ich erkenne dich sofort", schmunzelt er.
„Na gut, Sie haben mich erkannt..."
„Ach bitte, bleiben wir doch bei „Du""

Genau genommen stresst mich die Situation etwas.. wieso ist der Mann so nett zu mir? Ich meine, nur weil ich mal kurz sein Leben gerettet habe? Er behandelt mich so als sei ich etwas ganz besonderes...

„Etwas nicht in Ordnung?"
„Doch doch.. darf ich Sie, äh Du äh dich trotzdem untersuchen?"
Der Mann bejaht lachend: „Du scheinst ja sehr an Medizin interessiert zu sein"
„Jap.." Antworte ich nebenbei, ich beginne Puls und Fieber zu messen.
Als ich alle Parameter kontrolliert und eingetragen habe, merkt der Mann, dass ich alles fertig habe: „Und? Alles in Ordnung Frau Doktor?"
„Ja", meine ich lächelnd.
Zumindest nimmt er es mit Humor.
„Werden Sie entschuldige Du nicht bald entlassen?"
„Ja das ist richtig, nächste Woche bin ich wieder ein freier Mensch"
Nach einer kurzen Pause fragt er: „Hast du Angst vor mir?"
„Nein, wieso?!"
„Du gehst immer auf Abstand und auch bei den Untersuchen habe ich gemerkt, dass dir Körperkontakt unangenehm ist"
„Das bildest du dir nur ein!" verteidige ich mich.
„Hm der Unfall im Tunnel hat dich mehr traumatisiert als du wahrhaben möchtest"
„Ich bin von mehr Sachen traumatisiert, du Pseudo-Psychologe", meine ich scherzhaft.
„Du hast gerade meinen Beruf erraten, Respekt"
Waaas er ist Psychologe?!
„Oh jetzt wo du das so sagst kann ich mich dich schon auf einem richtigen Therapeutenstuhl vorstellen", lache ich.
Er lacht ebenfalls und führt den Scherz weiter: „Ach, die Psychotherapie ist so sehr mit Klischees behaftet..."

Wir reden noch eine Weile und wir erfahren viele Dinge übereinander. Zum Beispiel hatte er vorhin vor, Medizin zu studieren und hatte gerade seine Ausbildung als Rettungssanitäter fertig, als seine Frau bei einem Autounfall starb und er danach doch eine Ausbildung als Psychotherapeut gemacht hat.

Und eigentlich ist er doch ganz nett und mir sogar sympathisch.
Am späten Nachmittag komme ich gut gelaunt in mein Zimmer zurück.

Im Dienst (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt