In Sorge

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Jola
Ich reiße mir den Zugang aus meinem rechten Arm. Jetzt ist Schluss mit „überlebensnotwendigen Medikamenten" und „wichtigen Nährstoffen"!
Die Ärzte machen nur alles kaputt!
Sie arbeiten gegen mich, wollen, dass ich überlebe. Tja, so einfach ist das eben nicht.
Da ich schon etliche Arztsendungen geguckt habe, weiß ich, dass ein Mensch so viel Leben retten möchte wie er will, es liegt nicht in seiner Hand. Egal, wie viel er versucht.
Und bei mir ist es absolut genauso. Nicht jeder ist zu retten!

Kurze Zeit starre ich auf das hellrote Blut, welches aus der Wunde an meinem rechten Arm heraustritt.
Trotz starken Schwindel und Schmerzen, nehme ich all meine Kraft zusammen und versuche aufzustehen.

Ganz leise krieche ich zur Tür. Draußen stehen meine Eltern wie abgemacht am Gang und reden mit der Frau in weißem Kittel. Sie verschaffen mir genug Zeit und Ablenkung, damit ich unbemerkt fliehen kann.
Jetzt müsste ich nur mehr nachhause finden, meine Eltern melden mich als vermisst oder sogar schon tot, und nehmen mich gleichzeitig bei sich versteckt zuhause auf. Und alles ist wieder wie vorhin.

Der Weg nachhause stellt sich aber nicht als sehr einfach heraus. Nach schon kurzer Zeit auf den Beinen, abwechselnd auf allen Vieren, wird mir unglaublich schwindlig. Alles dreht sich vor mir, fühlt sich ganz komisch an und ich bin bestimmt schon dreimal im Kreis gelaufen.
Meine Eltern werden nicht sehr stolz sein.

Nach gefühlt drei Stunden Laufen verziehe ich mich in einem dunklen verlassenen Raum. Dass ich keine Uhr habe und die Zeit nicht weiß, macht mich zusätzlich fertig. Wie viel Zeit ist inzwischen vergangen? Sind es wirklich drei Stunden? Schaffe ich es eigentlich jemals hier raus?!

Plötzlich wird die Tür geöffnet und Licht erhellt den kleinen Raum.
Ich verstecke mich unter einem der vielen Regale, die mit medizinischen Sachen bestückt sind. Ich befinde mich also in einer Abstellkammer.
Unter dem Regal ganz klein zusammengerollt, nehme ich eine näherkommende Frau wahr. Sie gehört anhand ihrer Kleidung wohl dem Klinikpersonal an und sucht hier nach etwas. Hoffentlich findet sie, das was sie braucht und nicht mich!

Ich merke wie meine Atmung immer langsamer wird und ich stets darum bemüht bin, leise zu sein, selbst wenn ich atme - so wie wenn mich mein Vater in die Ecke schickt.
„Bitte finde mich nicht, bitte finde mich nicht", schießt es mir durch den Kopf.
Die Frau steht genau vor mir und ich denke, sie sieht ein paar Etagen über mich. Hoffentlich bückt sie sich nicht hinunter!

Wenig später entfernt sie sich von dem Regal und geht zur Tür. Das Licht geht aus und ich seufze ein erleichterndes: „Puh..."
Sofort geht das Licht wieder an und die Frau tritt wieder in mein Blickfeld.
Hat sie mich jetzt gehört?!
Ich bin kurz davor in Tränen auszubrechen und beiße deshalb wieder die Zähne aufeinander.

Die Frau wendet sich dem gegenüberliegenden Regal zu, sodass ich sie beobachten kann. Sie murmelt irgendetwas unverständliches vor sich hin und kramt zwischen den Materialien.
Ich verweile noch immer unter dem Regal und merke, wie mein Rücken sich schon über die unnatürliche Krümmung beschwert.
Ein bisschen noch durchhalten...

Endlich geht die blonde gelockte Frau wieder zur Tür und macht das Licht aus. Diesmal achte ich genau auf das Schließen der Tür.
Das langsame und leise Atmen sorgt dafür, dass ich schwer Luft bekomme, trotzdem zähle ich noch: „Einundzwanzig, Zweiundzwanzig" nachdem ich das Schließen der Tür gehört habe.
Danach schnappe ich nach Luft und bewege mich heraus aus dem viel zu engem Regal.

Zumindest hat mich niemand gefunden... trotzdem bleibt die Freude nur kurz bestehen, wenn ich nur daran denken muss, wie viel Weg ich noch auf mich nehmen muss.
Also auf geht's...

Paula Martinson
Mit großen Schrecken habe ich mitgeteilt bekommen, dass das geheimnisvolle Mädchen verschwunden ist.
Das ist bereits einundhalb Stunden her. Auch ich mache mir sehr große Sorgen. Viel länger würde es Jola auf sich allein gestellt nicht schaffen. Außerdem haben wir keine Ahnung, wo sie sich befindet und was sie vorhat. Jede Sekunde zählt und das macht natürlich massiven Druck.

Ich bin auf der Suche nach dem Mädchen als ich Tabea völlig verzweifelt begegne. Sie hat wohl auch gerade nach Jola Ausschau gehalten.
„Hey, bloß nicht aufgeben!" meine ich zu meiner Freundin und schenke ihr ein aufmunterndes Lächeln.
Nur bemerke ich, dass es wenig hilft, wenn ich in das noch immer betrübte Gesicht meiner Kollegin sehe.
Ich komme näher und lege meine Hand auf ihre Schulter.
„Setzen wir uns kurz hin, ohne Pause können wir nicht gut weiterarbeiten"
Tabea nickt und fängt dann an zu reden: „Ich hätte besser auf sie aufpassen sollen! Wir haben nicht mehr viel Zeit sie zu finden"
„Es ist doch nicht deine Schuld, dass sie weg ist! Du kannst nicht andauernd auf sie aufpassen. Außerdem hast Du alles getan, was dir möglich war" mache ich meiner Freundin klar.
Ich kann ja verstehen, dass sie zu verzweifeln beginnt, aber so sollte es nicht sein. Wir dürfen nur nicht aufgeben.
„Sie muss noch hier im Haus sein. Wenn sie alleine ist, dann kann sie wirklich nicht weit gekommen sein", sage ich Tabea.
Schlussendlich atmet Tabea erleichtert auf.
„Du hast Recht. Und von hier sitzen, werden wir sie nun auch nicht finden!"
Motiviert steht sie auf und macht sich wieder auf die Suche. Genau so wie ich.

Irgendwo muss es doch Spuren von ihr geben!
Während ich durch das Krankenhaus spaziere und Leute nach dem verschwundenen Mädchen frage, versinke ich in meinen von Fragen gekennzeichneten Gedanken. Warum sollte ein schwaches Mädchen einfach abhauen? Das alles macht unsere Patientin nur noch geheimnisvoller, aber nicht unbedingt auf angenehme Weise...

Im Dienst (FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt