Kapitel 47

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Christal's POV


Es war dunkel. Dunkel und kalt. Ich erinnerte mich an nicht mehr viel. Nur wie ich von Amanda weggezerrt wurde, als sie bewusstlos zusammen sackte und wie ich schließlich in einem Auto landete. Die Männer, die mich entführten, stiegen ein und wir rauschten vom Schulgelände. Mir wurden die Hände mit ziemlich starkem Tape gefesselt und als der Typ neben mir Anstalten machte, mir einen Streifen Klebeband auf den Mund zu drücken, zuckte ich wimmernd zurück. Ängstlich starrte ich ihn an, doch er packte mich eisern und drückte mir mit mehr Kraft als nötig das Stück Tape auf das Gesicht. Wieder wimmerte ich.

Auf halber Strecke kam uns Kate entgegen, die nur schnell zur Seite sprang, als der Fahrer auf sie zu steuerte. Ich weiß noch, wie ich mich gegen das Fenster warf, um ihr zu helfen, um den Fahrer zum ausweichen zu bewegen, um überhaupt irgendwas zu tun, doch dann landete sie im Straßengraben und wir rasten an ihr vorbei.

Ich versuchte durch meinen geknebelten Mund irgendetwas zu sagen, doch ich konnte nicht mal Andeutungen von Worten nuscheln.

"Gib ihr endlich das Chloroform.", kam es dann vom Beifahrersitz und der Typ neben mir begann sich über die Rückenlehne zum Kofferraum zu beugen. Er kam mit einer Flasche und einem Stofftuch wieder und ich wusste, was mir jetzt blühte. Und deshalb verschwendtete ich meine letzten Sekunden nicht damit, mich an die Tür zu drücken, zu flehen oder ihm die Flasche aus der Hand zu schlagen. Das waren immerhin keine gewöhnlichen Passanten, die selbst ich mit einem gezielten Tritt zu Boden brachte, sondern vollends ausgebildete Agenten. Aber ich war auch eine Agentin. Schnell begann ich mich im Raum umzusehen. Ich merkte mir die Sitzordnung, das Muster der Sitze, selbst die Leberflecke im Nacken des Fahrers registrierte ich. Ich scannte alles ab, bis mich der Mann neben mir zu sich zog und mir unerbittlich das getränkte Stofftuch auf Nase und Mund drückte. Ich sah ihm in die Augen und ich bemühte mich um einen würdevollen, gefassten Eindruck, der mir auch einigermaßen gelang. Mein letzter Gedanke galt meinen Freunden. Hoffentlich waren sie stolz auf mich.


Dann wachte ich in einem Raum wieder auf. Es war dunkel und kalt. Das war das erste, was ich bemerkte, als ich meine Augen aufschlug und meine Sinne überprüfte. Es herrschte dusiges Dämmerlicht und die einzige Lichtquelle war ein kleines Fenster oben rechts an der Wand mir gegenüber. Ich musste in einem Keller sein.

Daher, dass Licht durch die kleine rechteckige Scheibe fiel, schloss ich, dass es Tag war. Sie kamen mit der Dämmerung, überlegte ich, und wir gingen bei Nacht. Also muss der nächste Tag angebrochen sein.

Ich schaute an mir herab und sah, dass ich noch immer meine Schuluniform trug. Und hier in diesem Keller, merkte ich wie wenig bekleidet ich mit meinem Rock und meiner Bluse doch war. Wenn ich doch wenigstens meinen Pullover angehabt hätte.

Ich bewegte mich ein wenig und realisierte, dass ich auf einer Matratze saß, immer noch gefesselt. Meine Handgelenke schmerzten und ich versuchte sie nicht weiter zu bewegen, aus Angst sie könnten aufscheuern.

Stattdessen hievte ich mich auf die Knie und versuchte aufzustehen. Mein Gleichgewicht balancierend stand ich von der Matratze auf und stolperte die ersten Schritte. Meine Beine waren eingeschlafen und während meine Blutgefäße sich prickelnd erweiterten, als das Blut von meinem Oberkörper zurück in meinen Unterleib floss, beschloss ich nicht aufzugeben. Ich war eine Agentin. Ich hatte den Jungs, die mich sonst schikanierten Abführmittel eingeflößt, ich habe den Computer programmiert und das Abhörsystem entwickelt, ich hatte es denjenigen, die mir meine Brillen zerbrachen und sich dann über meine Tränen lustig machten, gezeigt. Ich mag zwar ein kleines, zerbrechliches Mädchen sein, aber ich war auch eine Agentin. Ich würde mir Kontaktlinsen zulegen, damit es keine Brillen mehr gab, die zerstört weden konnten.

Mit zusammengebissenen Zähnen lief ich in den Raum hinein und wagte es nun doch, meine Fesseln zu bewegen. Sie waren fest, aber schlampig geknotet. Schnell sah ich mich um, fand aber nichts, was mir das Klebeband durchtrennen könnte. Also begann ich meine Handgelenke hin und her zu bewegen und mit schmerzverzerrtem Gesicht, als die Fesseln mir in die Haut schnitten, schaffte ich es, mich daraus zu befreien. Ich kickte das Tape weg und sah mir meine Hände an. Sie waren rot und blau und tief eingeschnitten. Aber egal, das war jetzt nicht mein größtes Problem.

Als erstes lief ich zur Tür und wollte die Klinke drücken, als ich ins Leere griff. Völlig überrascht beugte ich mich zur Tür und sah, dass sie keinen Knauf hatte. Sie konnte also nur von außen geöffnet werden. Mist.

Wild entschlossen sah ich mich im Raum um und tatsächlich! In der hintersten Ecke stand ein Stuhl. Ich lief auf ihn zu unt betrachtete ihn. Er war aus rustikalem Holz und sehr staubig. Ich probierte ihn zu bewegen und schleifte ihn rüber zum Fenster. Den Staub ignorierend steckte ich mir die Bluse in den Rock, zog diesen noch ein Stück runter, um etwas mehr von meinen Beinen zu bedecken und sie so vielleicht etwas zu wärmen und stieg mit meinen Schuhen auf den Stuhl. So rutikal wie er auch aussah, so wackelig war er auch.

Auf dem Stuhl balancierend streckte ich mich zum Fenster, doch es war noch zu weit oben. Ich streckte mich weiter und weiter, reckte mich um den Fensterriegel zu erreichen, aber ich war nicht groß genug.

Plötzlich hörte ich, wie ein Schlüssel in das Türschloss geschoben und herumgedreht wurde. Erschrocken fuhr ich herum, wobei der Stuhl gefährlich wackelte. Die Tür ging auf und helles Licht flutete in den Raum und belendete mich. Der Stuhl wackelte noch mehr und ich konnte mein Gleichgewicht nicht länger halten. Mit einem lauten Knarzen krachte der Stuhl unter mir zusammen. Ich schrie auf und ging mit ihm zu Boden. Und dort lag ich dann, begraben unter Stuhlbestandteilen und jeder Menge Staub, während ich meine Hand hob, um meine Augen gegen das noch immer belendende Licht abzuschirmen. Doch es brachte nicht und so blieb der Mann in der Tür nichts weiter als eine Shilouette.

Stöhnend vor Schmerz bewegte ich mich und machte Anstalten aufzustehen, als er mysteriöse Typ weiter in den Raum trat und vor mir in die Hocke ging.

"Du warst schon immer tollpatschig, Chris.", sagte er und ich riss die Augen auf, beim Klang meines Spitznamen. Woher wusste er...?

Der Typ vor mir drehte sich etwas, sodass ein bisschen Licht auf sein Gesicht fiel und ich zuckte mit einem erschrockenen Aufkeuchen zurück. Das war kein Mann vor mir, sondern ein Junge, etwas älter als ich. 14 Monate und 24 Tage um genau zu sein. Er beugte sich etwas zu mir und grinste sein typisches Lächeln. Doch in der Dämmrigkeit des Kellers sah es wie ein teuflisches Wolfsgrinsen aus.

"Willkommen im Zirkel, Chris.", sagte er und ich schluckte. Dahin ist er also gegangen.

"Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen? Du hast noch nicht einmal Hallo gesagt.", beklagte er sich und sein Grinsen verzerrte sich zu einem bösen Blick. Ich wich zurück und schluckte wieder.

"Hallo ... Andy."

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