8 - Überraschung

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Noah

Als ich hinter Dad unser Haus betrete, fällt mir sofort auf, dass etwas anders ist. Ich brauche einen Moment um feststellen, was, aber ich weiß, dass sich etwas verändert hat. Auf der einen Seite riecht es anders – nicht wie sonst nach dem Holz der alten Dielen, sondern irgendwie... intentionaler. Immer noch neutral, nicht parfümiert, aber so, als hätte sich jemand Mühe gegeben, dass es eben so neutral riecht, sauber und frisch. Aber es ist nicht nur das. Als ich ins Wohnzimmer trete, sind die Kissen auf der Couch ein bisschen zu zufällig akkurat platziert, die Stühle am Esstisch ein bisschen zu penibel an ihren Platz gerückt. In der Ecke steht ein winziger, zotteliger Weihnachtsbaum, der mit einem Gespür von Deko geschmückt worden ist, das Dad bisher noch nie zuvor gezeigt hat.

"Dad", sage ich nachdrücklich. "Was ist hier los?"

"Was meinst du, Noey?", antwortet er lachend. Aber ich weiß, dass ich Recht habe. Irgendetwas ist hier im Busch. Irgendwer.

"Wer ist sie?", frage ich jetzt deutlich offensiver. Und obwohl ich es schon geahnt habe, obwohl ich die Anwesenheit einer mysteriösen Frau im Leben meines Vaters schon bei Betreten des Hauses gespürt habe, bin ich trotzdem überrascht, als er, wie ein Geständnis auf meine Frage, leicht errötet.

"Noey", fängt er an und lässt seine Augen überall im Raum herumschweifen, "Ich wollte dir... ich wollte dir später davon erzählen. Aber mit Weihnachten, mit dem Todestag deiner Mutter, hielt ich es vorher nicht für angebracht."

"Ist schon okay, Dad", beruhige ich ihn und während ich die Worte ausspreche, weiß ich, dass es stimmt. "Ich bin dir nicht böse."

Ehrlich gesagt bin ich eher ungläubig. Und sehr, sehr neugierig. Wie lange läuft das wohl schon? Wo haben sie sich kennengelernt? Ich weiß gar nicht, was ich ihn zuerst fragen soll.

"Wer ist sie?", frage ich schließlich das vielleicht Offensichtlichste. Zu meiner Verwunderung zögert er.

"Du wirst noch alles erfahren, Noah", weicht er mir aus. "Lass uns erstmal feiern. Magst du... vielleicht Sofia einladen? Ihr zwei habt euch doch bestimmt ewig nicht gesehen. Habt viel zu quatschen, ihr zwei."

"Ähm ja, klar." Ich fühle mich etwas überrumpelt. "Ich meine, wahrscheinlich feiert sie Weihnachten mit ihrer Mutter und Ollie, aber... vielleicht hat sie heute Nachmittag noch Zeit." Eigentlich ist das nicht mal eine schlechte Idee. Ich muss an unseren letzten Videocall denken und daran, wie seltsam sie sich verhalten hat. Komm doch kurz beim Vogelnest vorbei. Ihre Worte klingeln noch in meinen Ohren.

"Ich bin mir sicher, für dich hat sie Zeit", sagt Dad erstaunlich beharrlich. "Ich will's hoffen." Ich lache mit einem mulmigen Gefühl in meiner Magengrube.

Bevor ich es mir anders überlegen kann, schnappe ich mein klappriges Fahrrad aus der Garage und mache mich auf den Weg zum Café ihrer Mutter. Das Vogelnest, in dem ich vor meinem Studium beinahe jeden Tag nach der Schule gejobbt und die Nachmittage mit Sof verbracht habe. Dort liegt es, mit seinen langen, dunkelgrünen Fenstern und schmiegt sich beinahe nahtlos an die umliegenden Bäume an, die zu dieser Jahreszeit längst ihre Blätter verloren haben. Ich steige ab und schiebe mein Rad an die Seite des Gebäudes, wo ich es unbemerkt abstellen kann, ohne befürchten zu müssen, dass es geklaut wird.

Als ich die Tür zum Vogelnest öffne, ist das erste, was ich höre, Sofias ausgelassenes Lachen. Sie steht mir mit dem Rücken zugewandt am Tresen und unterhält sich mit Ollie, der ihr eine Tasse Kaffee einschenkt. Sie hat mich noch nicht gehört, also schleiche ich mich an und lege mir einen Finger auf die Lippen, damit Ollie mich nicht verrät. Als er mich sieht, schnellen seine Augenbrauen das kleinste bisschen in die Höhe, aber bevor Sofia reagieren kann, habe ich ihr schon meine Hände von hinten auf die Augenlider gelegt.

Ellie &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt