14 - Neustart

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Noah

Als ich bei Maya ankomme, wird mir bewusst, dass ich die Fragen, die ich Ellie stellen wollte, nie gestellt habe. Bist du wieder zurück? Und, vielleicht noch wichtiger: Warum bist du wieder zurück? Vielleicht noch Was hast du die ganzen letzten Monate getrieben? Und Hast du mich vermisst? Okay, die letzte Frage muss ich mir vielleicht verkneifen.

"Hey, No". Maya öffnet mir die Tür und schließt mich ohne ein weiteres Wort in die Arme. Ich lasse es geschehen. Sie riecht gut. "Es ist alles gut", sie klopft mir auf die Schulter, "Danke, dass du das für uns getan hast." Für uns.

Ich entziehe mich der Umarmung und schüttele mich, um die Gedanken an Ellie zu verscheuchen. Das ist nicht fair ihr gegenüber. Ich sollte nicht an sie denken, während ich bei Maya bin.

Maya lächelt und nimmt mein Gesicht in ihre Hände. Will sie, dass ich sie küsse? Aber im nächsten Moment lässt sie ihre Hände sinken und greift stattdessen nach meiner Hand, verschränkt ihre Finger in meinen.

"Komm, lass uns was essen", Sie zieht mich sanft ins Innere des Hauses und lächelt dabei so liebevoll, dass jegliches schlechte Gewissen, das ich vielleicht habe, von mir abfällt.

Ellie

Wir haben uns nicht voneinander entfernt. DU bist weggelaufen. Niemand hat wen verloren, DU hast mich weggeworfen! Ich höre die Worte immer noch in meinen Ohren klingeln.

"Mausi!" Iri kommt schon von Weitem auf mich zugerannt und als sie mich umarmt, klatschen mir ihre langen Haare ins Gesicht wie dicke, schwarze Seile. "Wie war's?"

Ich vermeide ihren Blick. "Ähm, gut."

"Hast du ihr gesagt, was Sache ist?" – "So in etwa."

"Oh no, was hast du jetzt wieder angestellt?" Augenblicklich lässt sich mich los und greift mich an den Schultern, während ihr Blick meinen sucht und festhält. Ich zucke mit den Schultern und sie runzelt die Stirn. "El. Was hast du gesagt?" Wieder zucke ich mit den Schultern. Es ist mir peinlich, zuzugeben, wie sehr ich an meiner Ex hänge.

"Du machst echt immer das, was du willst, oder?" Zögerlich nicke ich und Irene seufzt, sodass die bunten Glasperlen, die in langen Reihen an ihren Ohren herunterfließen, klimpern.

"Okay." Die Asiatin klopft mir auf die Schulter. "Da sind wir wohl machtlos."

"Tut mir Leid." Ich hake mich bei ihr ein. Mir ist ja selbst bewusst, dass ich es mir leichter machen könnte. Das Kapitel Noah einfach abhaken, vor allem jetzt, wo ich weiß, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit eine Neue hat. Freunde, sie hat es selbst gesagt. Ich wette, sie weiß nicht mal, wie gay das von ihr ist, wie sehr sie damit das Klischee erfüllt. Wenn ich es mir leicht machen wollte, würde ich es einfach dabei belassen. Ich könnte dieses neue Jahr, das noch so taufrisch ist wie nur irgendwie möglich, nutzen, um ganz neu zu starten. Neue Ausbildung, neue Ellie.

Aber ich hab es ihr angesehen. Dass sie sich unsicher ist. Dass sie mir vielleicht – auch wenn ich noch nicht einschätzen kann, wann dieser Zeitpunkt sein wird – in Zukunft verzeihen kann. Dass vielleicht wieder alles so werden kann, wie vorher.

"Du gibst nicht auf, oder?" Neben mir wirft mir Iri einen vielsagenden Blick zu. Wir sind stillschweigend in Richtung ihrer und Nellys Wohnung gegangen, aber sie muss kein Wort mit mir wechseln, um erahnen zu können, was ich denke.

"Ich kann nicht, Iri." Endlich spreche ich es aus. Nicht, nachdem ich vorher alles versucht habe. "Außerdem sind wir jetzt Freunde, hat sie gesagt."

"Freunde?", Irene verzieht das Gesicht.

"Ja, so hab ich auch geguckt." Ich lache.

"Du hast so ein Glück, dass du das mir erzählst", sagt Irene und zieht die Augenbrauen hoch. "Wenn Bär hier wäre, würde er dir sowas von die Hölle unter deinem knackigen Hintern heiß machen."

"Du hast einen bei mir gut." Wir sind an der Wohnung angekommen und bevor Iri ihren Schlüssel aus der Tasche ziehen kann, wird die Haustür schon geöffnet und Nellys Lockenkopf erscheint im Türrahmen. "Und?", fragt sie erwartungsvoll und sieht dabei noch gieriger aus als Iri vorhin.

Ich bin schon bereit, meine Schuld zu gestehen, als Iri mir zuvorkommt.

"Alles gut", sagt sie und kneift mich in die Seite. "El wurde ganz schön zur Sau gemacht, aber sie sind jetzt fertig miteinander."

"Und das mit Angelina?", fragt Nelly und legt den Kopf schief. Sie sieht nicht sehr überzeugt aus von dem, was ihre Verlobte ihr da gerade erzählt hat.

"Ähm." Ich schlucke. "Ist egal. Noah hat jemanden kennengelernt." Was nicht mal eine Lüge ist.

"Sie hat was?" Nelly und Iri klappt zeitgleich die Kinnlade nach unten. Vielleicht hätte ich lieber meinen Mund halten sollen.

Noah

Es ist das erste Mal, dass ich in Mayas Zimmer bin, und irgendwie ist es ganz anders, als ich erwartet habe. Anstatt Hochglanzmöbeln und gerahmten Bildern von irgendwelchen Modekampagnen an der Wand ist ihr Zimmer im besten Fall zusammengewürfelt, im schlechtesten Fall gerümpelig.

Ihre einzigen Möbel - das breite Bett und der Schreibtisch - sind aus verwittertem Nussholz und sehen so aus, als wären sie mindestens 150 Jahre alt, und ihre Kleidung hängt ohne jegliche Ordnung an einer einzigen Kleiderstange, die sich über die Breite das gesamten Raumes streckt. Auf dem Boden türmen sich Stapel von Büchern und die Wände sind so vollgehängt mit Ausschnitten aus Zeitschriften, Bildbänden und einem riesigen Flachbildfernseher, dass man nur an wenigen Stellen erahnen kann, dass die Tapete dahinter blassgrün ist.

"Oh Gott, sorry, ich hatte ewig keinen Besuch." Mayas Wangen färben sich rot, als sie bemerkt, wie mein Blick durch den Raum wandert. Sie stellt unsere Teller, auf denen Curry dampft, auf dem Schreibtisch ab und fängt an, peinlich berührt die Jeans zu falten, die wohl zuvor achtlos auf ihr Bett geworfen wurde.

"Maya, du musst nicht-" Ich komme nicht darum, zu kichern. Sie ist süß. So aus dem Konzept gebracht kenne ich sie gar nicht.

"Das ist mir so peinlich." Sie legt die gefaltete Jeans auf einem Bücherstapel ab.

"Hey, weißt du noch, als du dieses riesige Plakat von mir und-", meine Stimme bricht ab, als mir bewusst wird, dass ich schon wieder im Begriff bin, von Ellie zu reden.

"Noah küsst gerne Mädchen?" Augenblicklich sieht Maya besser gelaunt aus. "Oh, das hat definitiv einen Eindruck bei mir hinterlassen."

Sie grinst und greift nach meiner Hand. "Ich muss dir was beichten."

"Was denn?" Ich drücke ihre Finger und ihre Mundwinkel ziehen sich nach oben.

"Ich küsse auch ganz gerne Mädchen." Sie tritt einen Schritt auf mich zu. "Sogar ziemlich gerne."

"Mhh." Ich zögere, als müsste ich erst über ihre Worte nachdenken. "Mhh", tut es mir Maya gleich und macht noch einen Schritt auf mich zu. Unsere Gesichter sind jetzt nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. "Mhh was?", fragt sie dann leise, ihre blauen Augen wachsam.

Ich spüre ihren warmen Atem auf meinem Gesicht. "Davon müsste ich mich, glaube ich, persönlich überzeugen", antworte ich ihr dann genauso leise. Die kleinen Härchen auf meinem Arm haben sich aufgestellt und ich suche ihr Gesicht nach der kleinsten Mikroreaktion ab.

Maya lächelt noch ein Stückchen breiter. Es ist ein sanftes, warmes Lächeln. Einladend. Plötzlich scheint die Luft vor Spannung zu surren. "Das lässt sich einrichten", sagt sie dann und im nächsten Moment treffen sich unsere Lippen. 

Ellie &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt