20 - Notlügen

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Ellie

"Was sollte das, El?"

Als ich am nächsten Morgen aus Davids Zimmer in die Küche trotte (er hat mir tatsächlich sein Bett überlassen und freiwillig die Couch genommen), sitzt mein Bruder schon vor einer großen Schale Müsli.

"Was ist das?", frage ich und beuge mich über die Schüssel, um die verschiedenfarbigen Bröckchen identifizieren zu können, die zwischen halb matschigen Haferflocken darin schwimmen.

"Chiasamen, Leinsamen, Gojis und Äpfel", kommentiert er, als hätte er nur auf die Frage gewartet und setzt dann wieder seinen finsteren Blick auf. Ich verziehe mein Gesicht. "Ist gesund", murrt er, "Solltest du vielleicht auch mal probieren."

"Nein, danke." Ich ziehe seinen Apothekerschrank auf und suche nach etwas Essbarem, finde aber nur ein halbleeres Glas Erdnussbutter.

"Also?"

David wartet, bis ich mir einen Löffel aus der Besteckschublade geholt und mich ihm gegenüber an den Bartisch gesetzt habe, bevor er mich konfrontiert. Ungeduldig tippt er mit seinen Fingernägeln auf den Tisch, bis ich schließlich das frage, von dem ich denke, dass er es hören will: "Hattet ihr einen schönen Abend gestern?"

"Grrrrrrhhhh." Seine Antwort ist mehr ein Knurren als ein Satz.

"Es ist nicht meine Schuld, dass du eingeschlafen bist!" Ich kratze mit meinem Löffel das Glas aus und lecke die Erdnussbutter genüsslich ab. Es sind quasi nur noch die kleinen Erdnussstückchen übrig, die ich am liebsten habe.

"Wieso bist du überhaupt dazu gekommen?", fragt er jetzt, nachdem er den nächsten Bissen Haferflocken-Pampe heruntergeschluckt hat. "Ich kam auch gut ohne dich klar. Ich wollte eine Konversation aufbauen, aber das hat sich dann ja wohl erübrigt."

"Du kannst ja wohl schlecht wieder direkt zum 'Ich bin so furchtbar verliebt in dich, Noah' übergehen, oder?" Ich schiebe mir einen weiteren Löffel Erdnuss-Stückchen in den Mund. "Du weißt doch, wie gut das die letzten Male funktioniert hat."

"Kann sein." Davids Gesicht sieht augenblicklich ein bisschen weniger finster aus. "Aber trotzdem. Was habe ich davon, wenn wir Zeit miteinander verbringen, aber nichts daraus wird?"

"Du bist so ein...", ich verkneife mir ein Lachen. "Du bist so ein Hetero-Typ, Dav. Du musst mal das machen, was wir Lesben schon seit Jahrhunderten praktizieren." - "Sex mit Frauen?" - "Mit der Ex befreundet sein. Und ich meine wirkliche Freundschaft, in der man auch Sachen unternimmt und miteinander redet und sich nicht nur gegenseitig erträgt." Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

"Kann sein." Er zuckt mit den Achseln. "Aber dann müssten wir auch tatsächlich was machen, bei dem man sich unterhalten kann."

Also ich habe mich gestern mit Noah unterhalten, will ich sagen, aber kann mich gerade noch zurückhalten. "Irgendwelche Ideen?", frage ich stattdessen und spiele den Ball zurück in sein Feld.

Er schluckt den Rest seines Frühstück herunter und sieht für eine halbe Minute tatsächlich fokussiert aus. Dann zieht er sein Handy aus seiner Sweatpant und tippt schweigend darauf herum. Ich will schon einen Kommentar ablassen, als er mit dem Anflug eines Lächelns zu mir aufschaut.

"Zufällig weiß ich, dass Noah gerade bei Maya abhängt."

"Aha." Was soll mir das jetzt sagen?

"Ich dachte, vielleicht ist es Zeit für ein Revival von Angelheart." Seine Mundwinkel werden wie von einer unsichtbaren Schnur nach oben gezogen.

"Ich mag's, wie du denkst", sage ich. Vielleicht könnte Angelheart noch eine Lead-Sängerin gebrauchen?

Er will etwas entgegnen, aber das Piepsen meines Handys unterbricht uns. "Sorry", knirsche ich.

Ellie &Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt