25 - Nostalgisch

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Noah

Das hier ist vielleicht - vermutlich, ziemlich wahrscheinlich - die dümmste Idee, die ich je hatte.

"Come on!", ruft hinter mir Maya, die im Gegensatz zu mir vollkommen nüchtern ist, aber mindestens genauso aufgedreht wie ich. "Hol sie dir! Woooohooo!" Sie grölt, als sei das hier gerade der meiste Spaß, den sie seit langem hatte. Vielleicht ist das sogar nicht mal allzu weit von der Wahrheit entfernt.

Ich drehe mich zu ihr um und verdrehe die Augen. "Hast du nicht vor ein paar Stunden noch zu mir gesagt, ich soll ihr bloß nicht vergeben?"

Sie zuckt mit den Schultern. "Ich habe nie gesagt, dass du ihr vergeben sollst. Nur, dass ihr heißen Versöhnungssex haben sollt und dann immer noch über alles reden könnt."

"Ew", ich verziehe das Gesicht. "Ich glaube, du bist am überkompensieren, Sof."

Sie lacht. "Ich bin auf der Seite der Liebe, meinst du wohl", korrigiert sie. "Und auf der Seite der Moral. Und mit Tatsch-den-Arsch-an-Maya hast du ja jetzt alles geklärt."

"Sof." Ich werfe ihr einen ermahnenden Blick zu. "Nenn sie nicht so." Ausgerechnet jetzt, wo ich die Sache mit Maya für die letzte halbe Stunde erfolgreich verdrängt habe, muss sie wieder damit anfangen. Dabei würde ich so gerne die Nachwirkungen meiner Margarita - beziehungsweise Margaritas - über mich schwappen lassen und alles, was ich in den nächsten zwei Stunden tun werde, auf den Alkoholeinfluss schieben können.

"Sorry", knirscht Sofia und sieht ernsthaft betroffen aus. "Bist du okay?"

Ich überlege kurz. "Ja", sage ich dann. Zumindest so gut wie.

"Gut. Dann los." Sie schiebt mich weiter nach vorne und hakt sich dann bei mir ein. "Was wirst du ihr sagen? Wirst du auf sie zurennen und sie stürmisch küssen?" Sie lässt ihren Blick in die Ferne schweifen. "Im Regen?"

Ich folge ihrem Blick. Der Himmel ist fast durchgängig dunkelgrau gefärbt, aber trocken und ohne eine einzige Wolke in Sicht. "Ich glaube, du hast zu viele Romcoms geguckt."- "Wir haben zu viele Romcoms geguckt." - "Good point." Wir laufen weiter nebeneinander her. "Was wirst du David sagen?", fragt sie dann mit deutlicher Belustigung in der Stimme.

"Oh Gott." Da habe ich ja gar nicht dran gedacht. Augenblicklich dreht sich mir der Magen um. "Ich hoffe einfach, dass er nicht da ist?"

Sofia lacht. "Die gute alte Vermeidungsstrategie." Sie nickt. "Ich werde ihn für dich entführen, No", sagt sie dann, "Und ihm davon erzählen, wie traurig ich darüber bin, dass wir uns so sehr auseinanderentwickelt haben."

"Ihr wart doch nie befreundet." Ich runzele die Stirn.

"Nein, du und er. Ich bin zu ihm gekommen, weil ich weiß, wie nah ihr euch steht und ich hoffe, dass er mir helfen kann, wieder zu dir zu finden." Sie setzt ein trauriges Gesicht auf.

"Du bist der Teufel, Sof." Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich diese Aktion gutheißen kann. Auf der anderen Seite... war er es, der mir an - ....wie vielen mittlerweile? - ..der mir an mindestens drei Anlässen seine Liebe gestanden hat.

"Für dich immer gerne." Sof knufft mir in die Seite und zieht dann ihr blaues Top nach unten, sodass das kleine Stück Kugelbauch, das darunter hervorblitzt, wieder verdeckt wird. "Showtime."

Wir sind vor Davids Wohnung angekommen und sie drückt den Knopf, neben dem in Davids Krakelschrift "D. Sichelman" steht. Es dauert nicht lange, da ertönt ein verwaschenes "Ja?" aus der Gegensprechanlage.

"Hey", schluchzt Sofia wie auf Knopfdruck und grinst mich dann von der Seite an. "Ähm... hey, Dav, hier ist Sofia... ich-" Sie hustet, um ihr Kichern zu übertönen und legt dann eine Schippe drauf, als sie weiterjohlt: "Ich brauche dich, weil, weil- ich bin so allein und Noah ist nicht da und du bist der einzige, der sie wirklich versteht-"

"Ich komme runter", unterbricht Davids Stimme Sofs Monolog und ich werfe ihr einen vielsagenden Blick zu. "Wirklich?", frage ich sie, "Der einzige, der sie wirklich versteht?"

Sie stößt mich an und grinst. "Ach komm, wir wissen beide, dass er genau das hören wollte. Und jetzt ab ins Gebüsch mit dir." Im nächsten Moment schubst sie mich zur Seite, nur wenige Sekunden bevor im Treppenhaus das Licht angeht und die Haustür aufgeworfen wird. Und da ist sie wieder, Sof, angehende Oscar-Schauspielerin und lässt ihre Mundwinkel wie auf Knopfdruck sacken, zieht ihre Augenbrauen in einer verzweifelten Geste nach oben und lässt ihre Arme um einen vollkommen überrumpelten David fallen, sobald dieser ihr die Tür öffnet.

"Wir müssen reden", schluchzt sie in sein Shirt und auch wenn David es nicht bemerkt, könnte ich schwören, dass sie auch jetzt wieder ein Lachen unterdrückt. "Aber nicht hier. Sondern... woanders."

"O-okay." Ich fange die Tür noch, bevor sie ins Schloss fallen kann. Die beiden sind schon um die nächste Ecke gebogen, als ich den großen Gebäudekomplex betrete, vollkommen außer Sichtweite. Und dann geht alles ganz schnell.

Ellie

"Was machst du hier?"

Für einen Moment habe ich das Gefühl, ich halluziniere. Vor meiner Tür steht Noah, mit wehendem blonden Haar, wie eine Erscheinung aus einer meiner Träume, nur dass sie in diesen deutlich weniger angetrunken wirkte.

"Wir müssen reden", platzt es aus ihr heraus und im nächsten Moment muss sie sich an der Wand abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. "Ich bin okay!", versichert sie mir etwas zu heftig.

Ich spüre, wie mein Mundwinkel zuckt, aber verkneife mir mein Grinsen. "Okay", sage ich stattdessen.

"Fuck", antwortet sie und taumelt im nächsten Moment auf mich zu. Ich strecke meine Arme nach ihr aus und halte sie fest, fange sie auf, spüre, wie sie ihren Kopf auf meiner Schulter ablegt.

"Ich hab dich so vermisst", sagt sie einen Moment später in der leistesten Mäuse-Stimme; fast schon ein Flüstern, das man nur allzu leicht überhören könnte. "Ich dich auch, No", antworte ich und drücke sie fester an mich. So stehen wir da, Arm in Arm, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich weiß nicht, wie lange wir hier stehen, bevor sie sich langsam aus meiner Umarmung schält.

Ihre hellen Haare sind aufgebauscht und umgeben ihr zartes Gesicht wie Federn. Ohne zu zögern, streiche ich sie ihr aus der Stirn und sie zuckt unter meiner Berührung zusammen. Ich will schon dazu ansetzen, mich zu entschuldigen, aber Noah schüttelt den Kopf. "Ich will...", flüstert sie, diesmal mit einem Unterton in der Stimme, den ich nicht deuten kann, und im nächsten Moment taumelt sie wieder auf mich zu, drückt ihre Lippen auf meine, drängt mich in das Innere der Wohnung.

Ich halte ihre Schultern fest, entziehe mich ihrem Kuss, aber lasse sie nicht los. "Bist du dir sicher?", frage ich vorsichtig, ohne ihren Blick aus den Augen zu lassen. Das letzte, was ich will, ist, dass sie etwas tut, dass sie morgen bereut.

"Du hast gesagt, du versuchst, mich zurückzugewinnen", sagt sie stattdessen, als würde es als Antwort ausreichen.

"Ich kann warten", sage ich und lasse es nicht zu, dass sie mich wieder küsst. "Ich kann warten, N." Ich fange ihren Blick. "Solange du willst. Bis du... bereit bist. Wenn du bereit bist."

Sie nickt. "Ich weiß." Ihre Augen waren noch nie so blau wie heute.

"Ich will nicht warten", sagt sie dann und diesmal lasse ich es zu, dass sie mich an sie heranzieht. Wir verschmelzen miteinander und alles in mir geht in Flammen auf. Da ist sie, Noah, meine N, ihre weichen Lippen auf meinen, und es ist so, als hätte nie ein einziger Tag oder Kilometer zwischen uns gelegen. Sie riecht nach Zitrone, wie immer,und ich kann mir in diesem Moment nicht vorstellen, dass es jemals anders gewesen ist, als jetzt. Es fühlt sich richtig an.

Sie und ich. Ellie und Noah. Wir. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Nov 25, 2023 ⏰

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