"Ich bin bei Mara", schrie ich, bevor ich die Haustür ins Schloss fallen ließ. Es stimmte nicht, ich ging nicht zu Mara, sondern zum Boxen. Aber meine Mutter wusste nicht, dass ich boxte, weil sie sonst durchdrehen würde, weshalb ich ihr immer erzählte, dass ich zu Mara ging.
Ich stieg auf mein Fahrrad, hievte meine Tasche auf den Gepäckträger und fuhr los.
Als ich am Boxclub ankam, ging ich sofort in die Umkleide und zog meine Sachen aus, worunter ich schon die Sportklamotten an hatte. Dann nahm ich meine Boxhandschuhe und ging in die Halle. Es war kaum jemand da. Patricia kam Montags immer später und sonst waren nur Profis da, die jeden Tag trainierten, oder Jugendliche, die ich nicht kannte. Robin stand neben einem dieser Profis und gab ihm einige Tipps, wie er sich verbessern konnte.
Ich suchte mir einen Boxsack, der ein wenig von den anderen entfernt war. Zuerst vorsichtig, später fester boxte ich gegen ihn und lies all meine Wut raus. Es tat wirklich gut, als die Last etwas abfiel.
Ich schätzte, dass etwa zwanzig Minuten vergangen waren, als ich eine Pause machen musste. Ich war schweißnass und vollkommen fertig, was daran lag, dass meine Kondition gleich null war. Ich setzte mich auf den Boden und lehnte mich an die kalte Wand.
"Na, La? Alles klar? Du warst schon lange nicht mehr da." Robin kam auf mich zu und setzte sich neben mich.
"Hey!", begrüßte ich ihn. "Mehr oder weniger, und ich weiß, aber ich hab's nicht früher geschafft."
"Kein Problem. Patricia kommt heute nicht, weil sie krank ist, aber das letzte Mal als ihr im Boxring geboxt habt, wart ihr wirklich gut. Das solltet ihr öfter machen, vielleicht kann ich euch dann mal auf einen Wettkampf lassen."
"Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Schließlich hat Patricia mich bewusstlos geschlagen."
"Stimmt schon, aber davor seid ihr euch gegenseitig gut ausgewichen." Nicht meine Meinung, aber ich nickte. Wir redeten noch ein bisschen unwichtigeres Zeug, bevor Robin wieder ging, um die anderen zu trainieren. Ich stand auch wieder auf und lief zum Boxsack. Ein paar Minuten lang stand ich nur davor, starrte ihn an und redete mir ein, dass das Stephen wäre. Aggresiv ging ich dann auf ihn los und schlug kräftig meine Fäuste in seinen Bauch und sein Gesicht. Ich schrie Beleidigungen und meine linke Faust landete sauber dort, wo ich mir seine Nase vorstellte. Volltreffer! Triumphierend ging ich einen Schritt zurück, um neu Anlauf zu nehmen und noch einmal zu zuschlagen. Wieder voll ins Gesicht, seine Nase müsste mittlerweile gebrochen sein. Ich fühlte mich sofort besser. Ein paar mal boxte ich noch in ihn hinein, bevor ich mich in der Umkleide wieder umzog und nach draußen ging.
Ich fuhr nicht auf direktem Weg nach Hause, sondern machte einen kleinen Umweg über den Friedhof. Dad's Grab war weit hinten, weshalb ich über den halben Friedhof laufen musste. Es war schon ziemlich dunkel, aber ich war diesen Weg schon so oft gelaufen, dass ich nicht mehr hinsehen musste. Früher hatte ich große Angst vor Friedhöfen, vor allem abends, weil alles so gruselig aussah, aber mittlerweile fühlte ich mich immer wohler.
Ich ließ mich vor dem Grab auf dem Boden nieder und machte es mir ein wenig gemütlich.
"Dad", begrüßte ich ihn. Dann sagte ich erstmal gar nichts, sondern zündete die Kerze an, die ich mitgebracht hatte und nahm das mittlerweile abgegriffene Bild von meinem Vater in die Hand, das ich immer unter den Blumen aufbewahrte.
"Ich war schon lange nicht mehr hier", stellte ich fest. "Ich vermiss dich." Ich strich mit meinem Daumen über das Bild. Es war nur sein Gesicht zu sehen. Seine blauen Augen leuchteten und sein Haar war ordentlich zur Seite gekämmt. Luki sah ihm extrem ähnlich. Beide hatten blaue Augen, ein kantiges Gesicht, dunkle Haut und waren kräftig. Der einzige Unterschied waren die Haare, mein Vater hatte schwarze Haare, während Luki die braunen von Mum geerbt hatte. Allgemein sahen sich die ganzen Familien meiner Eltern ähnlich, dunkle Haare, dunkle Haut, kräftige Statur. Nur ich fiel mit meiner hellen Haut und meinen blonden Haaren komplett aus der Rolle.
"Mum hat einen neuen Freund", flüsterte ich. "Er soll nächste Woche einziehen, aber ich mag ihn nicht. Okay, das ist untertrieben, ich hasse ihn. Er meint, ich hätte keinen Anstand oder was weiß ich." Ich seufzte. "Er führt sich auf, als wäre er mein Vater und dürfte alles bestimmen. Dabei wird das niemand dürfen, niemand außer dir. Und er hat mir vorhin schon meinen Arm halb zerquetscht." Vorhin hatte ich deshalb geweint, mittlerweile fand ich mein Verhalten ein wenig übertrieben. Ich würde wegen ihm nie wieder weinen, er war keine einzige Träne wert. Leise legte ich mein Sporttasche neben mich und legte meinen Kopf darauf.
"Daniel weiß jetzt von den Träumen, er hat mich richtig lieb getröstet." Als ich daran denken musste, stahl sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen, das aber beim nächsten Gedanken wieder verschwand. "Er hat eine Freundin", flüsterte ich. "Mara meint, dass es gut ist und ich ihn dann besser vergessen kann, wo sie sicher Recht hat, aber ich will ihn nicht vergessen, ich kann ihn nicht vergessen." Mir war mal wieder nach Weinen zumute, aber es kamen keine Tränen.
"Wie auch immer, ich werde das schon schaffen." Ich würde es wirklich irgendwann schaffen, auch wenn es hart werden und ewig dauer würde. "Man sagt doch, dass Jugendliebe sowieso nicht lange hält, warum komm ich dann nicht über ihn hinweg?" Das verstand ich einfach wirklich nicht. Aber ich wollte nicht weiter darüber nachdenken, weder über Jugendliebe, noch über Daniel und erst recht nicht über Stephen. Langsam schloss ich meine Augen, drückte das Bild an meine Brust und schlief schon bald ein.Ein schreckliches Geräusch riss mich aus meinem Schlaf. Ich hatte immernoch nicht meinen Klingelton geändert, was ich gerade sehr bereute. Schnell ging ich ans Telefon ran, um diese nervtötende Melodie zu beenden. Am anderen Ende meldete sich Luki.
"Hast du mal auf die Uhr geschaut?", rief er leicht genervt.
"Nein?" Ich ließ es mehr nach einer Frage klingen, als nach einer Antwort.
"Es ist halb elf. Wo zur Hölle bist du?"
"Oh shit! Ich bin unterwegs!"
"Beeil dich lieber, Stephen ist nicht gut gelaunt!"
"Er ist immernoch da?"
"Ja. Jetzt beeil dich!" Ich legte auf und hängte mir meine Tasche um. Dann legte ich das Bild meines Vaters zurück unter die Blumen, küsste meine Hand und drückte sie auf den Grabstein. Dann lief ich schnell raus zu meinem Fahrrad, schwang mich darauf und fuhr nach Hause. Als ich zur Tür reinkam, lief ich sofort die Treppen hoch, ohne meine Schuhe auszuziehen, um kein Aufsehen zu erregen, doch es war schon zu spät: Stephen kam durch die Wohnzimmertür auf mich zu und packte mich am Arm.
"Wo warst du?" Seine Stimme klang böse und sein Blick war kalt. Ich hatte nicht vor, zu antworten, also starrte ich ihn einfach nur an. Aber plötzlich riss er seinen Arm hoch und holte aus. Ich versuchte mich innerlich schon auf die folgende Ohrfeige oder sonst was vorzubereiten, doch nichts passierte.
"Du willst es mir also nicht sagen? Etwas Verbotenes? Warst du bei deinem Freund und Mami darf es nicht wissen?", fragte er und seine Stimme klang, als würde er mit einer Fünfjährigen reden. Aber ich antwortete auch diesmal nicht, was ihn dazu veranlasste, seine ausgeholte Hand zu benutzen. Schon nach wenigen Sekunden brannte meine linke Wange, allerdings hatte er lang nicht so fest zu geschlagen wie ich gedacht hatte. Ich drehte meinen Kopf, der leicht nach rechts gedrückt wurde, wieder zu ihm und starrte ihn erneut an. Als er weder was sagte, noch irgendwas tat, riss ich meinen Arm aus seinem lockerer gewordenen Griff und huschte an ihm vorbei die Treppe hoch. Zum Glück war ich so klein und flink, was mir einen Vorteil verschaffte, doch Stephen kam mir nicht hinterher. Ich hoffte, er würde mich einfach in Ruhe lassen.
Oben in meinem Zimmer sperrte ich die Tür ab und zog meine Schuhe und Jacke aus, die ich noch immer an hatte. Danach legte ich mich auf mein Bett und entsperrte mein Handy. Es zeigte ein paar neue Nachrichten auf Whatsapp an. Unter anderem eine von Mara und eine von Robin. Zuerst las ich die von Mara.
Layla? Du wolltest mir heute nicht in der Schule erzählen was los ist. Willst dus mir hier erzählen? Oder soll ich anrufen? Oder einfach gar nicht?
Ich antwortete kurz, dass ich sie später anrufen würde und las dann die Nachricht von Robin.
Hey La! Am Samstag ist ein Heimwettkampf, das heißt der Wettkampf findet in unserem Boxclub statt. Patricia wollte mal vorbeikommen um zu schauen, wie es da zugeht, hättest du Lust, auch zu kommen?
Die Idee fand ich cool, ich war noch nie auf einem Box Wettkampf. Also sagte ich zu und fragte nach der Uhrzeit, damit ich nichts verpasste. Ich freute mich ehrlich gesagt schon ein wenig darauf.------------------
Für Lu :) werd das Kapitel dir widmen sobald ich an den Laptop komm :'D ♥

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Aber er ist mein Cousin!
Romance'Daniel war gut aussehend, das Gegenteil von mir, und zwei Jahre älter. Er war beliebt, wieder das Gegenteil von mir. Und das wichtigste und schlimmste war, er war mein Cousin. Ich wusste also von Anfang an, dass ich nie eine Chance hatte...'