Kapitel 15

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"Als dein Vater starb, da war mein Vater richtig fertig, die beiden waren ja quasi die besten Freunde. Er kam mit einfachen Sachen nicht mehr klar und hatte so ... Wutanfälle. Teilweise hat er meine Mutter geschlagen, aber da war er nicht er selbst. Bekomm jetzt bitte keinen schlechten Eindruck! Er ist nicht mehr so. Jedenfalls war er damals immer laut und hat Teller zertrümmert oder Sachen aus dem Fenster geworfen und das hat mich fertig gemacht. Ich habe kaum geschlafen, war manchmal halb am hyperventilieren und dann hat mir ein älterer Junge in der Schule diese Tabletten angeboten. Sie machen einen ruhiger, ich konnte nachts wieder schlafen und zu der Zeit habe ich sie nur selten genommen. Aber du weißt ja, wie Drogen sind, man wird abhängig. Ich brauche sie nicht mehr, mein Vater ist wieder der liebevolle Ehemann und schmeißt nichts mehr durch die Gegend und alles ist wieder normal. Aber ich habe trotzdem den Drang die Tabletten zu nehmen." Wow. Er nahm also tatsächlich Drogen. Das haute mich um.
"So, jetzt weißt du's. Sag es bitte keinem", endete er seinen Bericht. Schweigend nickte ich. Ich war wirklich überrumpelt. Zwar hatte ich es geahnt, aber nicht gehofft.
"Langsam wird es kalt", fand Daniel. "Sollen wir nach Hause fahren?"
"Kannst du machen", meinte ich.
"Und du?"
"Ich bleibe hier." Ich sah zu ihm auf und er schaute mich mit einem Blick an den ich nicht deuten konnte.
"Dir ist doch auch kalt", stellte er fest und damit hatte er verdammt nochmal Recht. Ich zitterte sogar schon leicht, obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte.
"Ich werde nicht nach hause gehen", sagte ich deutlich.
"Warum?"
"Wegen Stephen."
"Wer ist Stephen?"
"Der Freund meiner Mutter." Wie machte Daniel das nur, dass ich ihm einfach alles unfreiwillig erzählte?
"Magst du mit zu mir kommen?"
"Was?" Damit hatte ich gar nicht gerechnet. "Ich weiß nicht."
"Komm!", forderte er mich auf und zog mich auf meine Füße. Sollte ich ehrlich bei ihm übernachten? Er ließ meine Hand nicht los, als wir über den Friedhof liefen, was mir einen angenehmen Schauer über meine Haut laufen ließ.
Draußen wollte ich gerade mein Fahrrad aus dem Busch holen, als Daniel mich zurück hielt.
"Bis zu mir ist es weit. Wir fahren mit meinem Moped." So nah bei ihm und dann auch noch auf einem Moped, das war wohl wie in einem Traum. Sofort wurde ich nervös.
"Ok", sagte ich und stieg hinter Daniel auf. Vorsichtig legte ich meine Arm um seinen Bauch, als er los fuhr. Erst fuhr er langsam aber als wir auf eine Landstraße kamen, gab er Gas. Der Wind peitschte mir ins Gesicht, weshalb ich mein Gesicht an seinen Rücken presste. Ich atmete tief ein und hatte Daniels Duft in der Nase, er roch so gut. Langsam entspannte ich mich und genoss die restliche Fahrt.
Als wir vor Daniels Haus ankamen, stiegen wir ab und er schob das Fahrzeug in die Garage.
"Sind deine Eltern da?", fragte ich vorsichtig. Wenn sie meiner Mutter erzählen würden, dass ich da war, würde Stephen sicher sauer werden. Doch zum Glück schüttelte Daniel den Kopf und schloss die Haustür auf. Das Haus wurde an einen großen Hügel gebaut, sodass man von der Straße aus über eine Brücke zur Tür gelangte. Unter der Brücke war Rasen, der um das ganze Haus verlief. Auf der Etage hinter der Haustür befand sich die Wohnung von Daniels Großeltern, väterlicher Seite. Von dort gingen zwei Treppen nach unten, die linke führte zu einer Diele, von der alle Zimmer der Familie weg liefen, die rechte führte zum einen zum Esszimmer, zum anderen zu Daniels Wohnbereich. Ich nahm also die rechte Treppe und trat nach rechts in Daniels kleines Wohnzimmer, wo ich unschlüssig stehen blieb.
"Setzt dich doch", bot Daniel mir an und zeigte auf sein Sofa, das mitten im Raum stand. Ich stellte meine Tasche daneben und setzte mich hin. Er lief von seinem Wohnzimmer in sein Schlafzimmer und in sein Bad und es dauerte eine Weile, bis er sich endlich neben mir niederließ.
"Hunger?", fragte er knapp und ich nickte. Ich stand auf und verließ hinter ihm sein Zimmer. Wir bogen nach rechts ins Esszimmer ab, wo wir dann nach links gingen und in die Küche gelangten. Daniel öffnete die Kühlschranktür und holte zwei Aufbackpizzen heraus, die er anschließend in den Ofen schob. Dann holte er zwei Gläser, befüllte sie mit Cola und reichte mir eins. Dankend nahm ich es an und trank einen Schluck.
"Warum willst du nicht nach Hause?", fragte Daniel, um das unangenehme Schweigen zu beenden.
"Hab ich doch schon gesagt; wegen Stephen", gab ich zurück und lehnte mich an die Wand hinter mir.
"Ist er so schlimm?"
"Ja!", rief ich aus und nickte.
"Aber macht sich deine Mutter nicht Sorgen, wenn du nicht kommst?"
"Offiziell bin ich bei Mara. Also komm nicht auf die Idee, jemandem zu sagen, dass ich bei dir bin!" Warnend hob ich den Zeigefinger und er tat so, als würde er seinen Mund zusperren und den Schlüssel in meine Hand fallen lassen. Ich fing an zu lachen und auch er grinste. Plötzlich fing es an, seltsam zu riechen.
"Was zur Hölle..." Doch weiter kam ich nicht, weil Daniel panisch zum Ofen rannte. Ich fing laut an, zu lachen, er hatte die Pizzen anbrennen lassen. Hastig holte er die leicht schwarz gewordenen Pizzen heraus und balancierte sie so lange, bis er zwei Teller arrangiert hatte. Und ich stand wiedermal unsozial daneben und hielt mir den Bauch vor lachen. SO witzig war es eigentlich gar nicht gewesen, aber ich hatte schon länger nichts richtiges mehr zum Lachen gehabt.
"Hast du dich jetzt wieder einbekommen?", fragte Daniel gespielt genervt und ich nickte grinsend.
"Voilà." Er gab mir den Teller mit der dunkleren Pizza. So ein Gentleman. Hust.
Mit der Pizza in der rechten und der Cola in der linken Hand liefen wir zurück in Daniels Wohnzimmer und setzten uns auf sein Sofa. Er griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Gerade kam ein Dokumentation über Nilpferde. Doch Daniel schaltete nicht weiter. Fragend sah ich ihn an.
"Was? Nilpferde sind süß", meinte er, als er meinen Blick bemerkte. Langsam schüttelte ich den Kopf. Klar, süß. Fette, graue Viecher sind süß. Aber ich wusste, warum er nicht weiter schalten wollte, es hatte mit einem Ausflug in den Zoo zu tun. Wir waren noch viel jünger gewesen, als es passierte. Wir waren mit meinem Bruder (er und Daniel hatten sich damals noch gut verstanden) und unseren Eltern im Zoo bei den Nilpferden und wie jeder weiß, leben Nilpferde auch im Wasser. Ich stand nah am Wasser als ein großes, fettes Nilpferd ins Wasser gerannt kam und ich von oben bis unten nass gespritzt worden bin. Seitdem mochte ich weder Nilpferde noch Zoos.
Also beugte ich mich über Daniel und tastete nach der Fernbedienung. Aber er nahm sie in die Hand und hielt sie so weit weg, dass ich sie nicht erreichen konnte. Ich kletterte auf seinen Schoß und zog mich an seinem Arm zur Fernbedienung. Als ich sie dann endlich in der Hand hielt, schnalzte ich ein 'Danke' und wollte mich wieder normal hinsetzten, aber Daniel hielt mich fest.
"Daniel?", fragte ich und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Meine Arme lagen auf seinen Schultern, seine großen Hände umfassten meine Taille und ich war ihm so nah, dass ich seinen Atem an meiner Haut spürte.
"Nenn mich mal Dani. Klingt besser", flüsterte er und jagte mir mit seiner rauen Stimme einen Schauer über den Rücken. Dann ließ er mich los und ich setzte mich wieder normal hin. Ich atmete tief durch und verarbeitete das erstmal. Ich war nie einem Jungen so nah gewesen, außer meinem Bruder, und vorallem keinem, den ich wirklich mochte.
"Deine Pizza wird kalt", brachte mich Daniel - Entschuldigung, Dani - wieder aus meiner Starre.
"Verbrannt ist sie ja schon", gab ich vorwurfsvoll zurück. Ich nahm den Teller vom Tisch und fing an zu essen, nachdem ich umgeschalten hatte und im Fernsehen nun eine Krimiserie lief. Als ich mit dem Essen fertig war, stellte ich den Teller zurück auf den Tisch und zappte durch die Kanäle, weil ich mich insgeheim ein bisschen vor dem Krimi fürchtete. Aber weil ich nichts fand, was mich interessierte, fragte ich Daniel: "Hast du irgendwelche guten Filme da?"
"Wenn du sowas wie James Bond oder Fast & Furious gut findest, schon", grinste er. "Oh, und ich habe einen Liebesfilm von meiner Mutter bekommen, falls ich mal eine Freundin hab."
"Perfekt. Das schauen wir an", grinste ich und klatschte in die Hände. Seufzend stand Daniel auf und holte einen Film aus einen Schrank neben den Fernseher.
"'Briefe an Julia'. Der ist richtig schön, du wirst in auch mögen", lachte ich. Aber er grunzte nur. Dann setzte er sich wieder neben mich und wir schauten den Film.

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Wir kennt 'Briefe an Julia' und liebt ihn genauso wie ich? *-* wenn ihr den Film nicht gesehen habt müsst ihr euch den auf jeden fall anschauen!!

Aber er ist mein Cousin!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt