Kapitel 14

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Ich saß wieder am gedeckten Frühstückstisch. Das hatte ich die ganze Woche nicht getan, ich hielt mich von meiner Familie fern, sprach nur das Nötigste und ließ mich brav von Stephen anfunkeln. Auch heute schaute er mich nicht äußerst freundlich an, aber ich versuchte es zu ignorieren. Ich hatte zwar ein wenig Angst vor ihm, aber das hielt mich nicht davon ab, ihn genauso abweisend zu behandeln wie alle anderen.
Als ich mein Nutellabrot aufgegessen hatte, stand ich noch nicht auf, sondern blieb noch mit den anderen sitzen. Stephen müsste stolz auf meine unglaubliche Höflichkeit sein.
"Was habt ihr heute noch vor?", fragte er gerade und sah meinen Bruder und mich an. Ich antwortete nicht, weshalb Luki das Wort ergriff. Er erzählte, dass er am Abend mit seinen Freunden feiern gehen wollte und dann bei seinem Kumpel pennen wollte. Stephen nickte und fragte: "Und du, La?", wobei er mich ansah. Überrascht schaute ich auf. Er hatte mich 'La' genannt! Das tat niemand außer Robin. Kurz glaubte ich einen verunsicherten Blick auf seinem Gesicht zu sehen, aber er hatte sich schnell wieder im Griff. Ich zuckte mit den Schultern, was aber gelogen war. Heute war Samstag, was bedeutete, dass heute das Box Tunier, auf das ich mich die ganze Woche gefreut hatte.
"Wenn du möchtest, können wir mal was zusammen unternehmen", schlug meine Mutter vor. Oh mein Gott, was? Kommt nicht infrage!
"Da fällt mir auf, dass ich noch zu Mara muss. Wegen dem - ehm - Geschichte Referat. Tut mir leid." Tats mir nicht.
"In Geschichte? Ich dachte ihr habt Herr Riedel? Bei dem macht man doch nie Referate", meinte mein Bruder und zog zweifelnd seine Augenbraue hoch.
"Jaa, fall mir doch in den Rücken, du Verräter", dachte ich. Ich drehte mich genervt um und log schnippisch: "Doch wir schon! Mara und ich müssen ein Strafreferat machen, weil .. weil wir zu viel geredet haben."
"Das ist aber nicht gut, wenn man zu viel redet", beteiligte sich nun auch Stephen an unserem Gespräch. Ich sagte nichts, sondern starrte ihm nur provozierend in die Augen. Komm schon, es weiß jeder, dass es nicht gut ist! Ich stand ohne ein Wort auf und ging in mein Zimmer.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits halb 3 war. Der Wettkampf hatte schon angefangen, weshalb ich mir ein paar Sachen zusammenpackte und losfuhr.
Als ich im Boxclub ankam, war es ziemlich genau 15 Uhr. Ich schloss mein Fahrrad ab und machte mich dann auf die Suche nach Robin oder Patricia. Ich fand als erstes Robin, der in der Nähe des Boxrings stand und einem der Jungs ziemlich hart erklärte, auf was er achten musste. Sobald er fertig war, ging ich zu ihm und begrüßte ihn.
"Hey!", grinste er mich an.
"Wo ist Patricia?", fragte ich und sah mich um. In der Mitte des Raumes befand sich der Boxring, dem sich alle Menschen zugewandt hatten. An den Wänden hingen vereinzelt ein paar Boxsäcke, die anderen wurden wohl wegen dem Platzmangel abgehängt.
"Da hinten." Robin deutete auf die andere Seite des Raums, aber ich konnte sie nicht entdecken. Robin verstand das an meinen suchenden Augen und schob mich vorwärts durch die Menge. Es waren hauptsächlich Jungs im Alter von 16- 24 da, ich war ziemlich das einzige Mädchen und - wie immer - die kleinste. Als ich Patricia dann endlich sah, rief ich Robin ein Danke über die Schulter und drückte mich dann alleine weiter durch die Menschen. Obwohl alle hier gefährlich und düster wirkten, hatte ich keine Angst, sondern fühlte mich eher wohl und sicher.
"Hallo Layla", lächelte Patricia mir zu. Ich grüßte zurück und stellte mich dann neben sie.
"Gerade ist Pause. Soweit ich weiß kommt dann Henry Schiller und kämpft gegen jemanden, dann Daniel Saylor und dann Armin Landry", erklärte sie. Daniels Namen ließ mich aufhören. Er boxte also bei diesem Wettkampf? Das würde heißen, dass ich ihn heute sehen würde. Sofort breitete sich ein Kribbeln in meinem Bauch aus, aber ich hatte auch ein mulmiges Gefühl. Aber bevor weiter nachdenken konnte, wurde die Pause beendet und Henry Schilling betrat mit einem anderen Typen den Boxring. Henry hatte ich beim Training schon ein paar mal gesehen. Er hatte überall Muskeln und war wirklich gut, wahrscheinlich könnte er mich mit einem Schlag bewusstlos, wenn nicht sogar tot, schlagen. Als beide Kämpfer bereit waren, fing die erste Runde an. Henry war dem anderen eindeutig überlegen, was sich in den nächsten Runden auch nicht änderte. Logischerweise gewann er auch. Nachdem die Boxer den Ring verlassen hatten, betrat Daniel ihn. Auch er hatte viele Muskeln, die mir heute mehr auffielen wie sonst, aber sah nicht so stark aus wie Henry, was wahrscheinlich auch ziemlich schwer war. Der, gegen den Daniel antrat, war viel größer und sah stärker aus. Sofort machte ich mir Sorgen um meinen Cousin, obwohl ich ihn noch trainieren gesehen hatte und deswegen keine Ahnung hatte, wie gut er war. Als die erste Runde began, fieberte ich total mit und feuerte ihn an. Doch wie ich erwartet hatte, war Daniel nicht so gut, wie sein Gegner und in der sechsten Runde bekam er so einen harten Schlag in den Magen, dass er umkippte. Als er dann nach langer Zeit gar nicht mehr aufstand, drückte ich mich durch die Leute, die vor mir standen, zu ihm durch und half Robin, der ihn gerade aus dem Ring in Richtung Umkleide trug.
"Ich nehm mal an, er hat verloren", meinte ich trocken, nachdem wir Daniel auf eine der Bänke gelegt hatten. Es war sonst niemand im Raum.
"Ja, aber für das, dass Dani wieder mal nicht ganz clean war, hat er lange durchgehalten", seufzte Robin. Clean?
"Was meinst du damit?", fragte ich ihn. Er kniff kurz die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.
"Vergiss es bitte. Er wird es dir schon sagen." Verwirrt sah ich ihn an, aber fragte nicht weiter nach. Hoffentlich sagte Daniel es mir irgendwann von selbst, oder ich würde ihn einfach fragen.
"La, entweder hältst du jetzt Danis Füße hoch, oder holst Wasser, um es ihm über den Kopf zu schütten, er soll wieder wach werden, sonst müssen wir noch den Krankenwagen holen", wechselte Robin das Thema und ich entschied mich für die Beine. Robin ging zu den Duschen und füllte einen daneben stehenden Eimer mit kaltem Wasser. Dann kam er zurück zu uns und kippte es Daniel über den Kopf.
"Layla?" Die Tür schwang geräuschvoll auf und Patricia's Kopf erschien.
"Da bist du", stellte sie fest und schloss die Tür hinter sich.
"Patricia, du kommst genau richtig. Weißt du, wo Danis Tasche ist?", ergriff Robin das Wort. Patricia schaute ihn verwirrt an und verneinte.
"Okay. Wartet hier und macht oft sein Gesicht nass." Damit rauschte er aus der Umkleide in eine der anderen, in der Daniel wohl seine Sachen hatte.
"Ich halte die Füße und du machst das mit dem Wasser", bestimmte Patricia und nahm meinen Platz ein, wo sie mir Daniels Füße abnahm und sie auf ihrem Schoß platzierte. Ich holte den Eimer, füllte ihn mit kaltem Wasser und schüttete es Daniel über den Kopf. Als er sich dann immernoch nicht rührte, füllte ich den Eimer erneut und stellte ihn neben die Bank, bevor ich mich darauf setzte und seinen Kopf auf meinen Schoß legte. Obwohl er schlief, sah er wunderschön aus. Langsam machte ich mir aber Sorgen, er war schon seit zehn Minuten nicht mehr bei Bewusstsein. Da ging die Tür auf und Robin kam mit einer Packung voller Tabletten in der Hand herein. Was waren das für Tabletten? War das überhaupt Medizin? Oder etwa .. sowas wie Drogen? Doch bevor ich fragen konnte, spürte ich, wie sich Daniels Kopf bewegte und ich sah wieder zu ihm. Seine blauen Augen fanden meine und ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Ich glaubte auch ein winziges Lachen auf seinen Lippen zu sehen, als er mich anstarrte.
"Warum bist du hier?", fragte er nach einem kurzen Räusper.
"Wegen dem Wettkampf", antwortete ich knapp. "Wie geht's dir? Brauchst du was zu Trinken?" Daniel schüttelte den Kopf und drehte ihn zu Robin, der anfing zu schimpfen.
"Es ist schlimm genug, dass du mit diesen Teilen ins Training kommst", dabei hielt er ihm die Packung mit den Tabletten unter die Nase. "Aber dass du sie vor einem Wettkampf genommen hast, ging zu weit. Dir hätte sonst was passieren können! Wenn es blöd gelaufen wäre, lägst du jetzt im Krankenhaus. Junge, Junge, pass mal auf dich auf, Dani!" Man sah Robin an, dass er zwar sauer war, aber sich auch große Sorgen machte.
"Was sind das für Tabletten?", fragte ich nun, wobei ich niemanden direkt an ansah. Aber als keiner antwortete, blickte ich zu Daniel und sagte seinen Namen. Der setzte sich auf, fuhr sich mit der Hand durch seine Haare und griff nach der Tüte, die Robin ihm noch immer hinstreckte.
"Später, okay?" Mein Cousin stand auf, lief zur Tür und murmelte etwas, das klang wie "Ich hole meine Tasche", bevor er hinaus trat und die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Eine Weile lang sagte niemand etwas, doch mein Handy brach mit dem immernoch nervtötenden Klingeln die Stille. Ich seufzte, Stephen.
"Was los?", fragte ich knapp.
"Das heißt 'Was ist los'. Dein Satz war grammatikalisch unkorrekt." Genervt rollte ich mit den Augen.
"Ich wollte fragen, wie lange du noch bei Mara bist."
"Mara?" Im ersten Moment war ich verwirrt, doch dann erinnerte ich mich an die Ausrede von heute Mittag.
"Heute Abend. Vielleicht übernachte ich auch", erklärte ich.
"Okay, aber sag rechtzeitig Bescheid. Wir wollen nämlich heute zusammen essen gehen", hörte ich ihn am anderen Ende der Leitung antworten. Ich nickte und legte auf, als er nichts mehr hinzuzufügte. Schnell tippte ich Maras Nummer ein und fragte, ob ich übernachten konnte, doch sie verneinte. Na super! Wo sollte ich dann schlafen? Nach Hause würde ich jedenfalls nicht gehen, das gemeinsame Abendessen kannst du vergessen. Vielleicht soll ich die Nacht an Dad's Grab verbringen? Wenn es nicht zu kalt wird, konnte ich es immerhin versuchen.
Als Daniel wieder die Umkleide betrat, hatte ich Stephen bereits zurückgerufen. Ich hatte keine große Lust mehr auf den Wettkampf, weshalb ich mich knapp verabschiedete und nach draußen ging. In der Halle waren noch immer viele Leute, die laut rumgrölten, woraus ich schließen konnte, dass der Wettkampf noch in vollem Gang war.
"Ich schloss die Tür hinter mir, als ich hinaus trat, und spürte den kühlen Wind, der über meine Haut blies.
"Musst du schon nach Hause?" Überrascht drehte ich mich um. Dort lief Daniel, der ziemlich unbeholfen seine Schuhe anzog und grinste. Ich konnte mich nicht zurückhalten und musste loslachen, diesee Anblick war zu seltsam.
"Ich .. nein, ich muss noch nicht nach Hause", sagte ich, um auf seine Frage zu antworten.
"Und wo willst du dann hin?" Mittlerweile ist er bei mir angekommen und hatte seine Schuhe an den Füßen. Ich zuckte mit den Schultern. Sollte ich ihm sagen, dass ich bei meinem Vater schlafen wollte? Erstmal entschied ich mich dagegen, wobei ich wahrscheinlich sowieso keinen Satz herausbekommen hätte, weil Daniel mir direkt gegenüber stand und sein Duft mein Gehirn vernebelte.
"Sag schon", grinste er. Gott, so perfekt zu sein, sollte verboten werden.
"Zu .. ähm meinem Vater", brachte ich stotternd raus. Schön, stotter gleich noch, dass er denkt, dass du komplett behindert bist. Und wie erwartet, wurde sein Grinsen noch breiter, doch dann wurde er wieder ernst.
"Auf den Friedhof?" Ich nickte.
"Macht's dir was aus, wenn ich mitkomme?" Überrascht hob ich die Augenbrauen hoch. Innerlich fing ich an, mich riesig zu freuen. Aber äußerlich zuckte ich nur mit den Schultern. Daniel lächelte leicht und hängte sich seine Tasche über, bevor er auf sein Moped stieg und den Motor an ließ. Ich holte mein Fahrrad und stieg auch auf. Zusammen fuhren wir, ich in meinem Rekordtempo und Daniel im Schneckentempo, bis zum Friedhof. Ich sperrte mein Fahrrad ab und warf es in den nächsten Busch, damit man es nicht sofort entdeckte, schließlich wollte ich hier die Nacht verbringen.
Es war 18:00 Uhr als ich mit Daniel die Grabstätte betrat. Schweigend durchquerten wir sie, bis wir vor Dad's Grab standen.
"Hi, Dad", begrüßte ich ihn wie immer. Dann setzte ich mich im Schneidersitz auf den Boden. Daniel sah erst nur auf mich herab, machte es mir dann aber nach. Um das unangenehme Schweigen zu brechen, fragte ich ihn: "Und was hat das dir jetzt gebracht?" Ich war leicht nervös, weil ich nicht wusste, was ich in der Zeit mit ihm reden sollte.
"Dass ich nicht allein bin", sagte er, wobei es eher nach einer Frage klang. Kurz glaubte ich einen unsicheren Ausdruck auf seinem Gesicht zu sehen, doch er fing sich sofort wieder. Da fiel mit etwas ein.
"Was waren das vorhin für Tabletten?", fragte ich und griff nach dem Bild meines Vaters, das unter den Blumen lag.
"Was meinst du?" Jetzt war Daniel sicher verunsichert.
"Das weißt du genau." Ich holte seine Tasche und suchte sie mit meinen Händen ab, bevor er sie mir wegnehmen konnte.
"Hör auf!", sagte er scharf. Ich ließ die Tasche los, als er daran zog und sah ihn bittend an. Doch er schüttelte den Kopf. Waren das wirklich Drogen oder wieso machte er so ein großes Geheimnis draus? Weil ich aber sowieso keine Antwort bekommen würde, drehte ich mich wieder weg und schaute auf das Bild meines Dads. Sogar Daniel sah ihm ähnlicher als ich, obwohl sie nichteinmal blutsverwandt waren.
Ein letztes Mal startete ich den Versuch, das mit den Tabletten herauszufinden, ich war einfach zu neugierig.
"Warum sagst du mir nicht, was das für Tabletten sind?" Ich lehnte mich zurück und legte meinen Kopf auf meine Tasche. Lange sagte er nichts und ich seufzte, weil ich mir sicher war, dass er auch nicht vorhatte, etwas zu sagen, aber dann fing er doch an zu sprechen.

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Puuuuh 2361 Wörter, mein Rekord. Sorry dass es so lang geworden ist :'D und was ich noch sagen wollte: Ich war noch nie auf einem Box Wettkampf, also kommt das alles aus meiner Fantasie. wenn hier jetzt jemand schon einen gesehen hat und das komplett anders war: sorry :p

Aber er ist mein Cousin!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt