Das ist ja super gelaufen, würde ich sagen...
Frustriert schaute Nika ihrem Freund hinterher, der gerade im Flur in ein Paar Sneaker schlüpfte. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, ihm die Wahrheit direkt um die Ohren zu hauen, statt zunächst mit seichtem Geplänkel rund um Cassie in die Unterhaltung einzusteigen. Aber sie hatte nicht einfach mit der Tür ins Haus fallen, sondern sich mit ihm in Ruhe zusammensetzen wollen. Woher hatte sie ahnen sollen, dass Joker in der nächsten Sekunde anrufen und Marten sich kommentarlos auf den Weg zum Kiez machen würde?
Kopfschüttelnd zog sie den Test hervor und warf ihn achtlos auf den Küchentisch, als Marten im Hausflur verschwunden war. Er hatte sich nicht einmal von ihr verabschiedet. Wie konnte Cassie sich so sicher sein, dass er bereit dazu war, Vater zu werden, während sie stets dazu neigte, jede noch so winzige Kleinigkeit als schlechtes Zeichen zu deuten?
Sie wusste, dass es nicht fair war, ihm nicht einmal eine Chance zu geben, aber an Tagen wie diesem, an denen er das Nachtleben über alles andere stellte, fiel es ihr verdammt schwer, gerecht zu bleiben. Kurzerhand tippte sie sich in ihre letzten Nachrichten mit Cassie, um sie über den aktuellen Stand aufzuklären.
„Er musste plötzlich weg. Konnte noch nicht mit ihm sprechen", schrieb sie möglichst neutral, nur für den Fall, dass John wieder mal an Cassies Handy hing, um was-auch-immer daran zu erledigen. Wie lang Marten wohl wegbleiben würde? Ob ihre Verabredung mit Cassie und John möglicherweise doch ausfallen musste?
Je länger Nika ihren Gedanken nachhing, desto mehr zweifelte sie daran, ob sie Marten überhaupt schon von ihrer Schwangerschaft erzählen oder lieber noch warten sollte, bis sie mit ihrer Frauenärztin gesprochen und sich die Bestätigung eingeholt hatte. Möglicherweise verzögerte das Schicksal ihr Gespräch ja aus einem guten Grund und sie war überhaupt nicht schwanger. Wenn sie sich beide umsonst freuen würden, wäre ihre Enttäuschung danach vielleicht umso größer. Doch wie sollte sie sich sonst ihre ausbleibende Periode und die ständige Müdigkeit erklären?
Eine eingehende Sprachnachricht riss sie aus ihren Gedanken. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie sah, dass sie von Marten war. Es waren bloß acht Sekunden, doch die reichten, um ihr zu zeigen, dass ihm nicht egal war, wie sie sich manchmal fühlte. Neugierig spielte sie sie ab.
„Hey, Baby. Tut mir leid. Musste schnell los. Sag mir, wann wir bei Cassie sein sollen. Ich beeil mich. Versprochen."
Angesichts seiner Entschuldigung entschied sich Nika dazu, sich nicht länger über ihn zu ärgern. Stattdessen schickte sie ihm eine kurze Antwort mit der Uhrzeit, räumte ein wenig auf und kümmerte sich um die Wäsche. Anschließend machte sie sich schonmal fertig, tauschte ihren Hoodie gegen einen gemütlichen, beigefarbenen Pullover mit überschnittenen Schultern, schminkte sich dezent und drehte ihre Haare mit einem Stab zu leichten Locken auf.
Sie hatte gerade einen Spritzer Parfum aufgesprüht, als sie das Kratzen des Schlüssels im Türschloss hörte. Nur Sekundenbruchteile später sprang die Wohnungstür auf und die Hunde flitzten in den Flur. Sie hörte, wie er die beiden im Flur begrüßte und seine Jacke auszog. Dann stand er plötzlich mit hängenden Schultern im Türrahmen des Badezimmers.
„Hey...", sagte er leise. Er wirkte müde und erschöpft, so, als hätte ihm sein spontaner Ausflug mental einiges abverlangt. Kurz dachte sie darüber nach, ihn zu fragen, was passiert war, biss sich jedoch auf die Zunge und erinnerte sich einmal mehr an ihren eigenen Vorsatz, es ihm zu überlassen, wann er mit ihr sprach. Also schenkte sie ihm ein zuversichtliches Lächeln, machte ein paar Schritte auf ihn zu und drückte ihm einen Kuss auf.
„Du bist ja fast pünktlich", kommentierte sie beeindruckt. Er schmunzelte.
„Ich hab dir doch gesagt, wir fahren hin. Alles andere regele ich später", antwortete er bedeutsam und zog dabei die Augenbrauen hoch. Er hatte also noch nicht alles erledigt. Sie hoffte inständig, dass er gedanklich überhaupt abschalten konnte. Statt aber nachzubohren oder ihn mit Fragen zu löchern, nahm sie wohlwollend zur Kenntnis, dass er sich augenscheinlich bemühte, ihr trotz allem entgegenzukommen. Noch vor einem Jahr wäre so etwas für ihn undenkbar gewesen. Erst jetzt bemerkte sie, dass er sie zufrieden betrachtete.
„Wow, du siehst toll aus", lächelte er, bevor er sie nochmal küsste. Sie erwiderte es.
„Danke."
„Und du riechst gut", fügte er hinzu, während er seine Nase an ihrer Halsbeuge vergrub, um ihr dort einen weiteren Kuss aufzudrücken. Seine Barthaare kitzelten ihre Haut. Sie kicherte. Er ließ sich davon nicht beirren, schlang seine Arme um sie und zog sie dichter an sich, während er seine Lippen über ihren Hals wandern ließ. Nika genoss das sanfte Kribbeln und ließ ihre Fingerspitzen durch sein Haar gleiten. „Fuck, Baby, lass uns hierbleiben", nuschelte er, sog abermals ihren Duft ein und ließ dabei seine Finger in ihren Nacken streichen. Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals, als er seine Lippen wieder auf ihre drückte. Als er ihr nun wieder in die Augen sah und sie glaubte, sich in seinem tiefen Blick zu verlieren, hielt sie den Atem an. Wieder stieg das Bedürfnis in ihr hoch, ihm von dem positiven Schwangerschaftstest zu erzählen. Doch sie war sich sicher, dass dies nicht der richtige Augenblick war. Sie waren mit Cassie und John verabredet und hatten keine Zeit, in Ruhe über alles zu sprechen. Das war keine Unterhaltung, die sie zwischen Tür und Angel führen wollte.
Könnt ihr verstehen, dass sie lieber warten will, bis sie nach Hause kommen? Oder findet ihr, sie sollte es ihm einfach sagen, jetzt sofort?
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All I want for Christmas 2 | Adventskalender 2022
NouvellesEigentlich ist alles wie immer; weder Nika, noch Marten haben sonderlich große Lust, Weihnachten mit Nikas spießiger Familie zu feiern. Da kommt es Marten ganz gelegen, dass er sich gerade wieder mal in neue Schwierigkeiten hineinmanövriert hat. Blö...