Nach ein paar Tagen fühlte ich mich wieder bereit in die Schule zu gehen.
Als ich im Klassenraum ankam hatte sich nichts verändert. Jeder war in seinen Cliquen. Die Mädchen die einen genau analysierten, wenn man hereinkam, und die Jungs, die über ein Gamingspiele diskutierten. Natürlich gab es da noch andere, wie die, die lieber still auf ihrem Platz saßen, lasen, für die Schule lernten oder schliefen. Eben genauso wie Niki.
Schmunzelnd schaute ich ihn seufzend an. Bei seinem Platz angekommen, tippte ich ihn ein paar Male an, bis er sich erschrocken aufsetzte und verwirrt umherschaute. "Gewöhn dir das ja nicht wieder an.", meinte ich. Überrascht schaute er zu mir hoch. Dann veränderte sich sein Blickausdruck blitzartig in ein Erfreutes. "Ally, du bist wieder da!" Ich nickte. "Ich verspreche dir, das ist nur heute passiert, die anderen Tage habe ich nicht so geschlafen. Ich war gestern noch mit Jake beim Bowlen und da musste ich eben zu Hause bist spät abends noch Computerspiele spielen. Normalerweise mache ich das ja früher aber..." Er stoppte, als er merkte, was er da sagte. "Du musst gar nichts davon Niki, das weißt du!", lachte ich. "Ich will es dir aber auch nicht verbieten, nur gestern hättest du vielleicht auch mal ein bisschen kürzer machen können." "Ja, stimmt schon. Das nächste Mal, versprochen!", behauptete er.
~
Zu Hause saß ich nach dem Mittagessen gerade an meinen Hausaufgaben, als es an der Tür klingelte. Hia war gerade einkaufen gefahren, weshalb ich nach unten flitzte und die aufmachte.
"Hey, Jungwon!", sagte ich voller Begeisterung, als er vor mir stand. In seiner Hand hielt er etwas Verpacktes. "Hi!", sagte er zurück und grinste mich mit seinen Grübchen an. "Komm doch rein!"
Wir gingen in mein Zimmer, als er seine Schuhe ausgezogen hatte. Dort stellte er sein Schulrucksack ab, den ich bisher noch nicht bemerkt hatte. "Oh, du kommst gerade erst von deiner Uni? Hast du vielleicht Hunger?", fragte ich ihn direkt. "Nicht wirklich! Ich kann auch später was essen. Ich wollte einfach nur wissen, wie es dir geht.", meinte er. Wir setzten uns auf mein Bett. "Also, ich habe es gut überstanden."
"Ich weiß, ist jetzt blöd wenn ich das ausgerechnet jetzt frage...aber warum wollte er unbedingt von dir etwas? Also, er hatte ja schon öfters versucht...Du musst das auch nicht beantworten, wenn du dich nicht bereit fühlst, ehrlich." "Ist in Ordnung! Ich habe es hinter mir gebracht...Denn das mit Luke war nichts im Gegensatz dazu, was ich früher erlebt hatte." Ich hielt kurz inne. Ich erinnerte mich an schmerzvolle Bilder, doch irgendetwas in mir wollte, dass Jungwon davon Bescheid wusste, davon wer ich wirklich bin.
Ich stand auf, kramte in einer Schublade nach meinem Make-Up Entferner und einem Tuch. Dann machte ich mich an die Arbeit. "W-was...?" Doch bevor er weiter fragen konnte, sah er durch den Spiegel, wie sich eine dicke Narbe über meinem Auge bemerkbar machte. Nicht nur die...Überall waren kleine Narben, als wenn dort tiefe Kratzer gewesen waren.
Ich setzte mich wieder zu ihm und schaute auf meine Hände. Ungewohnt war es für mich so vor ihm zu sein. Er schaute mich noch immer fragend an. Ich wusste allerdings nicht, ob das was Gutes oder Schlechtes bedeutete.
"Das was du siehst...das wurde mir angetan. Es ist nicht nur auf meinem Gesicht. Es ist überall, auf meinem Rücken, auf meinen Schultern, meinen Oberschenkeln..." Ich atmete kurz durch.
"Als ich klein war...ungefähr so fünf bis sechs Jahre, da ist ein Mann bei uns einmal in der Nacht eingebrochen. Während mein Vater runter gegangen ist, war meine Mutter bei mir geblieben. Sie hatte mich in einem Kleiderschrank versteckt, doch trotzdem hatte ich alles mitbekommen. Sie hatte die Polizei gerufen, doch als sie aufgelegt hatte, war ein plötzlicher Knall zu hören. Da ist sie schnell runter und kurz darauf war ein zweiter Knall zu hören. Danach ging alles viel zu schnell. Plötzlich holte mich jemand aus dem Kleiderschrank heraus. Ich wachte aber erst auf, als ich in irgendeinem fremden Raum war. Es war stockdunkel. Nur das Licht aus einem kleinen Schlitz war zu sehen..."
Meine Augen waren wässrig geworden und eine Träne nach der anderen floss die Wange hinunter. "Ally...du musst auch nicht wenn du nicht..." "Doch! Ich will das du davon weißt." Jungwon nickte bestätigend und lies mich weitererzählen.
"Dieser Mann, der mich entführt hatte...er hatte mich sieben Jahre dort geschafft festzuhalten. Er hatte mich gequält und das sexuelle war dabei sogar das harmloseste. Er hatte mich geschlagen und wenn sein Tag mal schlecht ablief oder ich nicht tat, was er wollte, dann hatte er seine Peitsche genommen und auf mein schon viel zu Wunden Körper geschlagen. Eines Tages wurde ich wütend. Ich war gerade in der Pubertät und meine Hormone waren außer Kontrolle. Ich habe mich mit meinen Händen und Füßen gegen ihn gewehrt, auf ihn eingeschlagen. Doch ich war ein viel zu schwaches Mädchen, so kleine Portionen er mir immer gab. Er hatte mir an dem Tag diese fette Narbe auf meinem Auge verpasst und noch vieles mehr. Danach hatte er mich viel zu lange ohne Essen und Trinken zurückgelassen. In einem dunklen Raum, der dazu auch noch kalt war. Meine Wunde hatte sich auch noch entzündet und mein Auge schwoll immer mehr an. Ich war kurz vorm sterben, erst da hatte er mich wieder versorgt. Doch dies war der Tag, den ich nie vergessen würde. Ab dem Tag, hatte ich immer weniger und weniger Farben sehen können. Es lag aber nicht nur an meiner Verletzung. Es lag viel mehr an meiner Psyche. So sehr mich dieser unmenschliche Typ gequält hatte. Sogar meine Eltern hatte er getötet, um mich zu bekommen." Ich fing stark an zu weinen. Jungwon nahm mich sanft in seine Arme und strich über meinen Kopf.
"Irgendwann hatte die Polizei den Fall endlich aufgedeckt und meinen Entführer natürlich festgenommen. Wahrscheinlich lebenslang. Ich wurde in ein Mädchenheim geschickt. Doch da ging es mir nie besser. Ich konnte nur mit Gewalt aus dem Zimmer gebracht werden und die anderen machten sich auch keinen Mühe mich zu akzeptieren. Es war für mich, wie als wenn ich noch immer in diesem dunklen Raum festsaß. Sie verspotteten mich über mein Aussehen und wie ich mich verhielt. Doch ich konnte nichts dafür." Die Umarmung von ihm tat so gut, auch ihm die Wahrheit über mich zu sagen. Ich konnte mich bei ihm einfach ausweinen, ohne mich dabei unwohl oder wie eine Heulsuse zu fühlen.
Für eine Weile blieben wir da so sitzen, bis ich mich beruhigt hatte und mich wieder von ihn löste. "Hia war eines Tages ins Mädchenheim gekommen, wollte jemanden aufnehmen. Und unter all den anderen, die sich ebenfalls kein schönes Leben haben, wollte sie mich aufnehmen. Ich hatte sie zwar nicht gesehen, doch mir wurde von ihr erzählt von den Mitarbeitern, bevor ich hierher verreist war. Sie war wie eine Lebensretterin für mich. Zwar nicht in dem Moment, doch sie war die erste Person seit vielen, vielen Jahren, die mich bemerkte und mir helfen wollte." Ich wischte mir meine Tränen ab und dachte nochmal an die Worte, die ich zum Schluss genannt hatte. Ja, sie war wirklich meine Lebensretterin gewesen. Wenn sie nicht wäre, säße ich jetzt wahrscheinlich noch immer in diesem Heim und hätte gar nicht gelernt, wie das richtige Leben so ablief. Zudem hätte ich auch nie Jungwon kennengelernt.
Ich erinnerte mich wieder an seine Frage und daran, weshalb ich das alles ihm überhaupt erzählen wollte. "Dieser Mann...mein Entführer, er...Er war der Onkel von Luke. Hatte ihn groß gezogen, so wie Luke es mir erzählt hatte. Deshalb wollte er Rache, denn er beschuldigte mich dafür, dass er keinen mehr hat.", sagte ich und atmete noch mal tief durch.
Jungwon nickte nur, sagte aber nichts. Ich war ihm aber auch dankbar dafür, denn ich hatte es ihm nicht erzählt um Mitleid zu bekommen, sondern weil ich wollte, dass er mein wahres Ich kennenlernte. Ich hatte ihn sehr gern und ich konnte ihm vertrauen, deshalb wollte ich ihm auch eine Chance geben mir näher zu kommen, genauso, wie er es tat.
DU LIEST GERADE
Scars // Enhypen Jungwon FF
FanfictionAlly, 16 Jahre, trägt mit sich eine schwere Vergangenheit, die ihr ganzes Leben zerstört hat. Sogar Farben kann sie schon nicht mehr sehen und überall auf ihrem Körper sind Narben verteilt. Als sie zu einer Pflegemutter geschickt wird, geht sie auc...