Kapitel 26

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„Ally?", konnte ich Hia von unten hören. „Kannst du kurz beim Bäcker was für mich abholen?" Ein kurzer Blick nach draußen sagte mir, dass es schon ziemlich dunkel war, doch ich konnte auch den weißen Schnee erkennen, was mich dazu brachte zuzustimmen. „Ja, warte. Ich komme sofort." Ich legte mein Buch zur Seite und machte mich auf den Weg nach unten.

Der Schnee quietschte unter meinen Stiefeln. Ein paar Schneeflocken fielen noch zu Boden oder landeten auf meinen fetten Schal. Hia bestand darauf, dass ich mich in dieser Zeit warm anzog, was ich aber auch freiwillig tat, so eisig der Wind war.
Die Bäckerei war nicht weit. Sie war direkt am Anfang des kleinen Stadtteiles. Nach ein paar Minuten war ich angekommen und ging in die kleine, warme Backstube. Um diese Zeit war so gut wie keiner da. Nur ein älterer Mann saß an einer Ecke an einem Tisch und las die Zeitung, während er sein Brötchen genoss.
„Hallo, was darf es sein?", fragte mich die Verkäuferin mit einem herzlichen Lächeln. „Ich soll was für Jeong Hia abholen.", sagte ich. Sie nickte verstehend und verschwand kurz im Lagerraum. Ich merkte wie kalt meine Hände während dem Weg hierher geworden sind und rieb sie ein paar Male gegeneinander. Auch wenn ich sie die ganze Zeit über in den Taschen hielt, wurden sie ja doch nur noch kälter.
Es dauerte auch nicht lange, da kam die Verkäuferin wieder zurück, in der Hand hielt sie einen kleinen weißen Karton. Wohlmöglich hatte Hia einen Kuchen bestellt. Sie meinte auch irgendetwas davon, dass sie morgen sich mit ihren Freundinnen treffen würde.
„So bittesehr.", sagte sie und stellte das Päckchen auf die Theke. Ich gab ihr das Geld und nahm das Bestellte zur Hand, da ertönte die Klingel der Tür, die in die Bäckerei führte und sagte, wenn ein mehr Kund kam oder verließ. „Guten Abend!", begrüßte die Verkäuferin. „Abend."
Ich erstarrte als ich das Murmeln erkannte. Das konnte jetzt doch nicht wirklich sein...
Schnell drehte ich mich um und ging aus der Bäckerei heraus, mit der Hoffnung er hatte mich nicht erkannt. Ich war alleine, in der Dunkelheit, was mich noch mehr dazu brachte mich zu beeilen. Was machte er auch genau dann wenn ich da war da? Warum musste er genau dann auftauchen? Hätte das nicht vielleicht ein paar Minuten nachher gewesen sein können?
Hinter mir hörte ich die Klingel der Tür. Mit klopfendem Herz versuchte ich größere Schritte zu machen, doch es brachte mir auch nicht viel.
Ich war zu unvorsichtig und rutschte aus. Der Kuchen war heile, doch das war jetzt auch nicht das Wichtigste. Allerdings bewegte ich mich viel zu langsam. Denn bevor ich mich aufrappeln konnte, griff jemand nach meinem Arm und zog mich nach oben.
„Na, wenn haben wir denn da?", sagte er und drehte mich zu seinem Blickwinkel. „Lass mich los!" „Mach ich dir etwa Angst? Oder weshalb läufst du ständig weg, wenn ich auftauche?" „Luke, sofort!" Ich versuchte mich loszureißen, doch sein Griff war zu fest und in einer Hand hielt ich den Kuchen. Doch auch wenn ich diesen auf den Boden fallen lies, wurde es nicht besser.
„Ich denk gar nicht dran! Jetzt treffe ich dich endlich mal ohne deinen kleinen Freund und kann endlich mit dir ein schönes Gespräch führen." Er grinste dreckig. Angst machte sich in mir breit. Ich war hilflos. Niemand war um diese Zeit mehr groß in der Stadt.
„Wenn du mich nicht los lässt, Schrei ich!" Wieder grinste Luke. Mit einem Ruck schubste er mich auf die andere Seite der Bäckerei und drückte mich gegen die Wand. Mit einer Hand griff er um meinen Kiefer, sodass mein Mund sich nach vorne schnürte. Ich griff nach diesem Handgelenk und wollte ihn wieder wegdrücken, aber er war wie festgefroren.
„Schon so lange habe ich auf diesen Moment gewartet. Darauf, dass du endlich alleine bist." Er ließ mein Kiefer los. „W-was willst du von mir?", fragte ich ihn. Ich versuchte stark zu wirken, als wenn er mir nichts anhaben konnte, doch mir war eigentlich nur nach heulen.
„Ich kann verstehen, wieso mein Onkel dies alles getan hatte, so schön du doch bist.", sagte er und grinste. „Was?" Ich riss meine Augen weit auf.
„Du hast schon richtig gehört. Genau der Typ an dem du gerade denkst, das ist mein Onkel. Ich kenne dich schon seit einer gefühlten Ewigkeit, Ally." Er lachte auf. Ich fasste es nicht. Geschockt ließ ich seine Arme los und schaute verblast auf den weißen Schnee. Vor mir konnte ich sehen, wie ein breit gebauter Mann langsam auf mich zukam. In seiner Hand hielt er ein Tablett mit einer Flasche Wasser und einem Teller mit Essen. In einem dunklen Raum war ich gefangen, welches nur durch ein kleines Fenster an der obersten Ecke durchleuchtet wurde. Es war kalt, sehr kalt. Mein ganzer Körper zitterte. Der Mann fing an den Hosenknopf zu öffnen. Ich wusste, ich durfte nur etwas essen, wenn ich tat was er befahl.
Plötzlich drückte Luke mich mit voller Wucht gegen die Steinerne Wand. Ich zischte laut auf, als meine Schulter hart aufkam.
„Wusstest du, dass er der einzige war, den ich noch hatte als Familie? Jeden Tag hat er sich gut um mich gekümmert, hat mir beigebracht, wie man wirklich mit Menschen umgehen soll. Aber dann...Dann kam die Polizei und hat ihn festgenommen. Und weißt du was? Ich wusste, dass er dich da unten eingesperrt hatte und das hast du auch verdient."
Ich konnte nicht nachvollziehen, was er meinte und was er von mir wollte, denn was hatte ich denn getan? Es war doch sein Onkel, der seine, wie auch meine, ganze Welt verdreht hatte. Aber anders war er wohl nicht erzogen worden. Wahrscheinlich wurde ihm beigebracht, dass alle Menschen ein Niemand waren und man sie auch so behandelt durfte.
„Zwar hab ich meinen Onkel nicht mehr..." Er hielt kurz inne. „Aber du bist noch immer da. Du hast es rausgeschafft. Doch dein Leben wird sich nicht ändern. Ich werde dir das Leben noch schwerer machen, als mein Onkel es hätte jemals tun können."
Er griff wieder nach meiner Schulter und drückte mich auf den eisernen Boden. Verängstigt und zitternd schaute ich ihn an. „Bitte...mach das nicht!", wimmerte ich. Luke beugte sich drohend über mich. „Du kannst nichts dagegen tun!", sagte er mit einem gehässigen Grinsen.

Scars // Enhypen Jungwon FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt