8., 9. und 10. Türchen

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(Fortsetzung vom OS aus dem 7. Türchen - auch hier werden die dort genannten Themen wieder kurz erwähnt!)


(Johns POV)

Die Nacht war furchtbar. Ich habe an seinem Bett gesessen - im Krankenhaus und im Anzug. Mary wollte, dass ich nach Hause komme. Ich wollte das nicht. Weil zuhause nicht immer ein Ort und Sherlock mir jahrelang eines gewesen ist. Ich bin ihm das schuldig. Vor allem, wenn es stimmt, was er geschrieben hat.
Ich bin verliebt in Sie, John Watson. So verliebt, dass ich es nicht mehr aushalte.

Ich betrachte sein Gesicht, die blasse Haut und die markanten Wangenknochen. Seine Lippen sind trocken und rissig, unter seinen Augen liegen dunkle Schatten. Zusammen mit den tiefschwarzen Locken sieht es aus, als wäre er ein Schwarz-Weiß-Foto. Er sieht müde aus, abgekämpft, so, als hätte er zu viel gesehen und zu viel gegeben. Als könnte er nicht mehr.
Mein Blick wandert zu seinen nackten Armen und den blau-violett verfärbten Stellen zwischen den vielen kleinen Narben.

Ich bin clean, John! Sie können mir vertrauen! Ich habe ihm vertraut. Oder nicht genug aufgepasst. Ich glaube, er hat recht. Recht damit, dass ich ihn vergessen habe, dass ich ihn immer seltener besucht und nicht mehr gefragt habe, wie es ihm geht. Hat er sich das meinetwegen angetan?

Meine Fingerspitzen berühren zaghaft die Narben auf seinem Unterarm. Die Haut an diesen Stellen fühlt sich merkwürdig glatt und hart an. Das Gefühl ist abstoßend und faszinierend zugleich und erinnert mich an die vielen Wunden, die ich schon berührt habe. Aber das waren alles Fremde, niemand, der mir nahegestanden, mir etwas bedeutet hat. Sherlock bedeutet mir alles. Auch, wenn ich ihm das in letzter Zeit nicht genug gezeigt habe.

Ich schließe die Augen, weil ich es nicht mehr ertragen kann, ihn anzusehen, sein blasses Gesicht und seine blau verfärbte Haut. Ich sehe die Spritzen und die leeren Phiolen vor mir und seine leblose Hand in meiner. Plötzlich fühlt sich mein Leben seltsam weit weg an. Als hätte ich es verlassen. Mein Kopf ist leer und der Schmerz in meiner Brust fühlt sich an wie ein Messer, das sich langsam in mein Herz bohrt. Heiße Tränen laufen über meine Wangen, aber ich wische sie nicht weg, umklammere nur mit beiden Händen Sherlocks kalte Hand und wünsche mir, er würde endlich die Augen aufschlagen. Aber das tut er nicht.

-

Er ist wach.

Das ist alles, woran ich denken kann. Greg hat mich angerufen und seine Stimme hat sich überschlagen. Dann bin ich gerannt. So schnell, wie ich noch nie gerannt bin. Mein Puls rast, ich bekomme kaum Luft und der Gedanke daran, dass er wach ist, dass er lebt, dass es ihm gut geht, raubt mir den Atem. Mein Herz hämmert gegen meine Rippen, aber ich spüre es nicht.

Ich renne die Stufen hinauf, nehme zwei auf einmal, haste den Flur entlang. Er scheint kein Ende nehmen zu wollen. Dann stehe ich endlich vor seiner Tür. Ein letztes Mal atme ich tief durch, dann öffne ich sie. Und da liegt er. Mit einem erschöpften Ausdruck auf dem Gesicht und trüben, beinahe glasigen Augen. Sein Blick findet meinen und die Welt steht still.

„Sherlock", flüstere ich, so leise, dass ich mich selbst nicht verstehe. „Sherlock ..." Meine Stimme verliert sich und ich mich in seinen Augen. Sie halten mich gefangen, kühl und stechend, und mein Herz macht einen gewaltigen Satz.
„John", wispert Sherlock und streckt eine Hand nach mir aus. Seine Stimme ist brüchig und heiser. Ich stürze zu ihm und an sein Bett, ergreife seine kalte Hand, sehe ihn an, atemlos und überwältigt, dann ziehe ich ihn an mich, halte ihn fest. Ich vergrabe mein Gesicht in seinem weichen, duftenden Haar und presse ihn an mich, wünsche mir, ihn nie wieder loslassen zu müssen.

„John, Sie ersticken mich", beschwert sich Sherlock schwach und ich zucke erschrocken vor ihm zurück.
„Tut mir leid", murmle ich betreten und fahre mir nervös durch die kurzen Haare. Sherlock folgt der Bewegung mit den Augen. Der Ausdruck darin ist seltsam fasziniert. „Ich habe mir nur solche Sorgen um Sie gemacht."

In Sherlocks Augen verändert sich etwas. Es ist beinahe, als würden sie anfangen zu leuchten. Das Blau wird plötzlich wieder klar und hell, beinahe zärtlich warm. Wie ein Lächeln in einem Blick. Ich drücke zaghaft seine Hand, will ihn wieder umarmen und tue es nicht, weil ich Angst habe, mich wieder nicht beherrschen und ihm weh tun zu können.

„Wieso mussten Sie mir das antun?", frage ich und meine Stimme ist auf einmal seltsam belegt. Schlagartig werden Sherlocks Gesichtszüge wieder hart. Er zieht seine Hand zurück und die Decke über seine Arme, als wollte er verhindern, dass ich sie ansehe. Dass ich das schon längst und oft getan habe, lasse ich unerwähnt. Beinahe ist es, als wäre es ihm unangenehm.
Sie liegen nicht im Krankenhaus", erwidert Sherlock distanziert. „Angetan habe ich das mir."
„Und Sie glauben, das würde mir nicht weh tun?"
„Vorher hat es Sie ja auch nicht interessiert."
„Sie haben mich immer interessiert."
„Gezeigt haben Sie es aber nie."

Wir starren einander an. Die Luft zwischen uns ist aufgeladen und knistert, wie bei einem Gewitter, kurz bevor es blitzt. Sherlocks Blick ist eindringlich und tief. Ich schlucke und sehe weg.

„Ich weiß", flüstere ich erstickt. „Und das tut mir leid. Sie haben keine Ahnung, wie sehr."

Ich spüre seinen nachdenklichen Blick auf mir und wie er versucht, mich zu verstehen, abzuschätzen, wie ernst es mir wirklich ist. Ich traue mich nicht, ihn zu erwidern, spiele bloß nervös mit dem Zipfel seiner Bettdecke.

„Wie geht es Ihnen?", frage ich dann leise. Beinahe erwarte ich, er würde nicht antworten - zumindest nicht ehrlich. Doch tatsächlich tut er genau das.
„Ziemlich bescheiden", sagt er und ein schiefes Lächeln zuckt über sein Gesicht. „Und jetzt hören Sie auf, so zu schauen, als wäre ich tot. Das bin ich nicht."
„Sie hätten es aber sein können!", erwidere ich heftiger als beabsichtigt. Meine Stimme und meine Hände zittern. Sherlock mustert mich eingehend. Es sieht beinahe mitleidig aus, so, als wäre ich derjenige im Krankenhausbett und er der, der auf dem Stuhl daneben sitzt.
„Sie wissen doch, was man sagt: Legenden sterben nie."

Er versucht sich an einem Grinsen und beginnt noch im selben Moment zu husten. Besorgt lege ich ihm eine Hand auf die Stirn. Sie ist erschreckend warm und feucht.

„Sie haben ja Fieber", bemerke ich schockiert. „Wieso sagen Sie denn nichts?!"
„Die Ärzte meinten, ich soll froh sein, dass Sie mich rechtzeitig gefunden haben und ich überhaupt noch husten kann", antwortet Sherlock mir leise. Seine Stimme klingt plötzlich ganz rau und müde. „Also beschwere ich mich lieber nicht."

Kopfschüttelnd ziehe ich meine Hand zurück.

„Wieso sind Sie mir überhaupt nachgefahren?" Sherlock blinzelt, kann kaum noch die Augen offenhalten und scheint sich dennoch dazu zu zwingen. „Ist Mary Ihnen beim Tanzen zu oft auf die Füße getreten?"
„Nein", sage ich leise, gehe nicht auf seine sarkastische Bemerkung ein. „Ich bin gefahren, weil Sie nicht mehr dagewesen sind."
„Das ist Ihnen aufgefallen?"
„Natürlich ist es das." Ich greife unter der Bettdecke vorsichtig nach seiner Hand. „Ich habe Sie noch weggehen sehen. Ich konnte nicht bleiben."

Sherlock schließt seufzend die Augen, seine Hand schmiegt sich an meine. Sanft fahre ich mit dem Daumen über seinen Handrücken.

„Sie haben also nicht ...", flüstert Sherlock leise und über sein Gesicht huscht ein beinahe hoffnungsvoller Ausdruck.
„Nein, ich habe sie nicht geheiratet. Und das habe ich auch nicht mehr vor."
„Wieso nicht?" Sherlocks Stimme ist kaum mehr als ein Hauch.
„Weil ich Ihren Brief gelesen habe."
„Meinen Brief ...?"
„Ja, Sherlock", murmle ich leise.

Sherlocks Atem wird ruhiger und tiefer. Vorsichtig streichle ich seine Hand und seine Wange. Sherlock seufzt leise auf und bewegt sich der Berührung entgegen. Ich mustere ihn und denke, wie schön er ist. Auch jetzt, blass und mit abgekämpften Zügen. Dann beuge ich mich vor und zu seinem Ohr.

„Ich liebe Sie auch", flüstere ich und Sherlocks Hand verkrampft sich kurz in meiner.
„Seit wann ...?"
„Immer, Sherlock. Immer."


-


Hey hey :)

Ja, ich lebe auch noch. Und es tut mir wirklich schrecklich leid, dass ich micht nicht gemeldet habe. Aber die letzten Tage hatte ich viel zu tun, war oft unterwegs und spät im Bett.
Ich hoffe, das hat jetzt wieder ein Ende.

Für OS-Wünsche bin ich nachwievor gerne offen ^^.

Habt einen schönen Abend.
Wir lesen uns,

Eure Leli


Johnlock Adventskalender || LemonleliWo Geschichten leben. Entdecke jetzt