22. Türchen

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(Johns POV)

Es ist still, so still, dass ich meinen eigenen Herzschlag hören kann. Ich schaffe es kaum, Sherlocks Blick standzuhalten, erwarte, dass er geht, dass er mich rausschmeißt, dass er sagt, ich solle mir eine neue Wohnung suchen. Aber nichts davon passiert. Sherlock sieht mich einfach nur an. Sein Gesicht verrät nicht, was er denkt, nur, dass er es tut. Mein Mund ist trocken und mein Atem flach.

„Wie meinen Sie das?", fragt Sherlock dann langsam und die panische Angst davor, von ihm abgelehnt zu werden, steigert sich ins Unermessliche.
„Wie ... wie ich das meine?", wiederhole ich irritiert. „Ich ... äh ... naja, so, wie ich es eben sagte."
„Sie lieben mich?"
Ich nicke zögerlich, weiß nicht, worauf Sherlock hinauswill, was er daran nicht versteht. Sherlock runzelt nachdenklich die Stirn.
„Als ... einen Freund?"
Ich starre ihn an und er sieht fragend zurück.
„Nein, nicht als einen Freund", sage ich unsicher. Versteht Sherlock wirklich nicht, was ich von ihm will, oder macht er sich bloß über mich lustig?
„Wie dann?"
„Das wissen Sie nicht?"

Sherlock legt den Kopf schief und mustert mich eindringlich, scheint verstehen zu wollen, wie ernst es mir ist. Ich schaue zurück, ungläubig und verwirrt, weil ich nicht glauben kann, dass Sherlock, ausgerechnet Sherlock, der, der immer alles weiß, nicht schlau aus dem wird, was ich sage. Mein Blick bleibt an seinen Lippen hängen, wird von ihnen angezogen wie Motten vom Licht. Sie sind voll und sinnlich geschwungen, beinahe ein wenig herzförmig. Sie sehen weich aus. Ich würde sie gerne küssen, würde gerne wissen, ob sie sich auch so anfühlen, wie sie sich anfühlen, auf meinen Lippen und meiner Haut. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Soll ich es wagen? Soll ich ...

„Sie wirken nervös", sagt Sherlock plötzlich und ich fahre zusammen. „Ihre Hände zittern und Sie atmen schnell. Schwitzen Sie?"
Ich starre ihn mit offenem Mund an, unfähig, etwas zu erwidern, obwohl ich das so unbedingt will.
„Sie schwitzen", stellt Sherlock trocken fest und übergeht mein Starren einfach. „Ihre Wangen sind gerötet. Sind Sie verlegen? Aufgeregt? Nervös?"
Ich bin in Sie verliebt, Sie Idiot.
„Ihre Pupillen sind vergrößert."

Sherlock beugt sich in meine Richtung und kurz schießt der absurde Gedanke durch meinen Kopf, er würde mich küssen wollen. Nervös befeuchte ich meine Lippen, während ich versuche, nicht zu offensichtlich auf seine zu starren. Es gelingt mir nicht. Mein Blick springt zwischen seinen Augen und seinem Mund hin und her, als wäre es ein Ping-Pong-Match. Seine Lippen gewinnen es. Ich wünschte, er würde es tun. Mich einfach küssen.

Als ich das denke, bringt Sherlock plötzlich wieder etwas Abstand zwischen uns, aber das angespannte Knistern zwischen uns bleibt. Wie ein dünner Faden, an dem man immer weiterzieht, solange, bis es nicht mehr geht und er reißt. Ich zittere. Innerlich und äußerlich. Sherlock schaut mich an und sein Blick fließt wie Strom durch mich hindurch, berührt jede Zelle meines Körpers und lässt mich vergessen, wie man atmet. Ich schlucke und es ist laut in der Stille, die drückend und schwer über uns liegt. Ein Surren liegt in der Luft, sie fühlt sich an, als würde sie gleich reißen. Meine Haut kribbelt und brennt, mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb, schnell und laut, so laut, dass ich glaube, dass Sherlock es hört. Sagen tut er nichts. Er sieht mich nur an aus dunklen Augen, die in dem dämmrigen Licht beinahe schwarz sind, und mit einem Blick, der alles und gleichzeitig nichts sagt.

„John?", fragt Sherlock leise. Seine Stimme klingt rau und kratzig, wie nach dem Aufwachen. „Geht es Ihnen gut?"

Ich atme schnell und flach. Der Gedanke, dass ich es jetzt einfach tun könnte, genau jetzt, weil ich es sowieso schon gesagt und viel zu viel von mir preisgegeben habe, bringt mich um den Verstand. Meine Sinne fühlen sich seltsam betäubt an, als hätte sein berauschender Duft sie Schachmatt gesetzt.

Johnlock Adventskalender || LemonleliWo Geschichten leben. Entdecke jetzt