17. Türchen

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(Johns POV)

Sherlock ist krank. Komm sofort zurück.
- G.L.

Das war alles. Mehr hat Greg nicht geschrieben, aber es hat gereicht, um mich noch am nächsten Morgen abreisen zu lassen. Es war schwer, mich dazu durchzuringen, und noch viel schwerer, es meiner Mutter zu erklären. Einmal im Jahr sehen wir uns. Ein einziges, verdammtes Mal. Ich könnte sie öfter besuchen, das weiß ich, aber öfter würde auch bedeuten, dass ich es Sherlock noch öfter beibringen müsste oder, um es in seinen Worten auszudrücken: Ihn noch öfter versetzen würde.

Wenn man Sherlock nicht kennt, dann würde man wohl annehmen, er meine das nicht ernst und ihm würde das nichts ausmachen - man gönnt seinem besten Freund doch ein paar Tage bei seiner Mutter. Aber Sherlock ist nun mal Sherlock Holmes und Sherlock Holmes ist anders. Und jetzt ganz offensichtlich krank. Wie auch immer das plötzlich passieren konnte. Vor drei Tagen, als ich ihn verlassen habe, hat er nämlich nur beleidigt in seinem Sessel gehockt und mich ignoriert. Krank schien er mir nicht.

„Frag nicht, was mit ihm los ist", begrüßt Greg mich, als er mir die Tür öffnet und ich ihm mit meinem Koffer ins Wohnzimmer folge.
„Das hatte ich auch nicht vor." Seufzend stütze ich mich auf der Lehne meines Sessels ab. Unser Wohnzimmer sieht schrecklich aus. Schrecklich chaotisch und schrecklich mitgenommen. Sherlock hat augenscheinlich ziemlich viel experimentiert. „Wenn du mich fragst, ist er gar nicht krank. Das Einzige, woran er leidet, ist wahrscheinlich Langweile und die Fähigkeit, so etwas wie Empathie zu empfinden. Ich meine, ich war bei meiner Mutter, Greg, und ich bin das wie oft im Jahr? Genau einmal. Sherlock verbringt also mehr als dreihundertfünfzig Tage im Jahr mit mir - meine Mutter, wenn es hochkommt, sieben."
„Dann ist aber ein verdammt guter Schauspieler."

Greg betrachtet mit gerümpfter Nase ein dampfendes Reagenzglas, welches auf unserem Kühlschrank liegt. Es ist seltsam grau-schwarz verfärbt und zischt.

„Wie meinst du das?"
„Er hat mich direkt rausgeworfen, als ich nach ihm sehen wollte. Genauso wie Mrs Hudson und seinen Bruder. Aber wir sind alle der Meinung, dass er gar nicht gut aussieht. Ich glaube, er hat sich bei seinem Eisbad neulich wirklich eine üble Grippe eingefangen."
Eisbad?!", wiederhole ich ungläubig.
„Es war ein Experiment."
Ich stoße ein leises Schnauben aus. Natürlich war es das.
„Darüber, wie lange der menschliche Körper extreme Kälte aushält?"

Es war ironisch gemeint, aber als Gregs Antwort ausbleibt und er stattdessen nur stumm die Lippen aufeinanderpresst, schlage ich mir stöhnend die Hände vors Gesicht.

„Das ist doch nicht sein Ernst?!", murmle ich und fahre mir genervt durch die kurzen Haare. „Das weiß man doch schon längst!"
„Es ging ihm vermutlich vielmehr darum, wie lange sein Körper es aushält", sagt Greg schulterzuckend und nimmt seine Tasche, tritt zu mir und klopft mir freundschaftlich auf die Schulter.
„Wie dem auch sei, ich muss dringend los. Die Kollegen warten schon und die Verbrecher tun das nicht." Er lächelt mir aufmunternd zu. „Kommst du klar?"

Ich zwinge mich seufzend zu einem Nicken und begleite Greg noch bis zur Wohnzimmertür, die irgendwie zu einer Art zweiten Haustür für uns geworden ist. Zumindest behandelt sie jeder so.

Kaum, dass Greg gegangen ist, mache ich mich auf dem Weg zu Sherlocks Zimmer, um mir selbst ein Bild über seinen Zustand zu machen. Seine Zimmertür ist geschlossen und als ich auch nach dem dritten Anklopfen keine Antwort erhalte, öffne ich sie vorsichtig.
Sherlock liegt im Bett, die Bettdecke verdeckt fast alles von ihm. Nur ein Büschel dunkler Locken schaut noch heraus. Im Zimmer ist es dunkel, die Vorhänge sind zugezogen, und offenbar hat ewig keiner mehr gelüftet. Die Luft ist abgestanden und verbraucht. Seufzend stemme ich beide Hände in die Seiten.

Johnlock Adventskalender || LemonleliWo Geschichten leben. Entdecke jetzt