3. Kapitel

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Grummelnd suchte ich wieder nach ihr. Mit geschlossenen Augen und im Halbschlaf tastete ich die Bettseite ab. Aber sie war leer. Sie war kalt. Ruckartig sprang ich auf und starrte panisch die leere Bettseite an. Nein, sie war weg. Meine Mate, Emily war weg. Sie konnte nicht einfach so verschwunden sein! Ich hätte es wissen müssen. Gestern Nacht wollte sie schon verschwinden. Sie wollte mir wirklich weiß machen, dass sie um zwei Uhr nachts noch einen Termin hätte. Zum Glück konnte ich sie überreden das sie etwas aß. Ihre Figur war wirklich dürr. Das musste ich schleunigst ändern. Aber erst einmal musste ich sie finden! Emily konnte nicht verschwunden sein, das würde ich nie zulassen. Ich musste sie suchen. Mit einem Satz schnappte ich mir mein Handy. Dann rief ich Nick an. Nach dem sechsten Mal Klingeln nahm er endlich an. Da war ich schon zur Zimmertür hinaus. "Alter Junge, weißt du wie spät wir haben?" murmelte er verschlafen, aber dennoch anklagend. "Sie ist weg, Emily ist weg. Trommel alle zusammen, wir müssen sie suchen!" ordnete ich an und malträtierte den Aufzugsknopf, als sich nichts tat, rannte ich zum Treppenhaus. "Wer ist...Wir sind in fünf Minuten bei dir" meinte er nun munter und keuchte kurz. "Gut" knurrte ich und legte auf. So schnell wie noch nie, war ich im Erdgeschoss angekommen. Tausend Gedanken schwirrten in meinem Kopf. War sie schon wieder auf der Straße? Was machte sie dort? Wurde sie von irgendeinem Bastard angefasst, wie in der Gasse? Bei diesem Gedanken zog sich mein Herz zusammen. Wie sie einsam irgendwo kauert, verletzt war oder vielleicht sogar vergewaltigt. Sofort spürte ich wieder meinen inneren Wolf, drängte darauf hinaus zu dürfen. Er wollte unsere Mate in unseren Armen spüren, in Sicherheit wissen. Wollte den Feind töten, den unsichtbaren Feind. Denn schließlich wusste ich nicht was mit meiner Mate nun wirklich war.

Ich wusste das meine Rudemitglieder jeden Augenblick zu mir stoßen konnten, aber ich hatte keine Zeit. Von meinen Angestellten wurde ich angesehen, als wäre ich ein Irrer, und vielleicht war ich das im Augenblick auch. Ein Irrer der zu allem bereit war. Denn ich konnte nicht gerade erst meine Mate gefunden haben und nun war sie wie vom Erdboden verschluckt. Ich hatte jahrelang nach ihr gesucht. Aber der schwache Geruch der von ihr in der Luft lag, gab mir die Bestätigung, sie war verschwunden. Weg. Einfach gegangen. Deprimiert lehnte ich mich gegen die Hauswand des Hotels. Ich schloss die Augen. Mein Wolf tobte vor Ungewissheit, aber ich durfte jetzt nicht die Kontrolle verlieren. Nicht in einer Stadt wie New York. Allein hier in der Straße waren tausende Menschen, die mich schon eilig musterten. "Da bist du, warum stehst du da und suchst nicht nach ihr, verdammt?" holte mich Dylan jäh aus meinen Gedanken. Etwas benebelt guckte ich zu ihm, neben ihm standen Lynn und Nick die mich besorgt musterten. Sie trugen alle ihre Winterjacken und dicke Stiefel. Selbst in dieser Eile hatten sie daran gedacht, den Schein zu wahren. Ich hingegen stand mit meiner kurzen Schlafhose und einem T-Shirt hier draußen im Schnee. Aber ich konnte nicht über so etwas belangloses wie Winterjacken nachdenken. Gepeinigt schüttelte ich den Kopf. "Ihr riecht es doch selbst, sie ist verschwunden und das schon lange"

"Dann suchen wir sie eben anders, wenn wir wieder in Pittsburgh sind" versuchte mich Lynn zu ermutigen. Warum musste sie verschwinden? Dachte sie etwa ich wollte sie loswerden? Hatte ich nicht klar gemacht, dass sie bei mir bleiben sollte? Und warum war ich nicht aufgewacht? Gestern Nacht hatte ich es doch auch sofort bemerkt, als sie verschwunden war. Für einen kurzen Augenblick dachte ich wirklich, sie hätte sich davon gemacht. Aber dann lugte sie aus dem Badezimmer heraus und ihre schüchterne Art hatte mich verzaubert. Wie sie sichtlich nervös war und auf ihre Socken gestarrt hatte. Aber da war mir auch wieder ihre Kleidung aufgefallen und ihre dürre Gestalt. Ich wusste, dass sie einmal Kurven hatte und garantiert auch andere Klamotten. Wenn ich sie wieder gefunden hatte, musste ich erfahren, warum sie so im Winter herum lief. Dass sie noch nicht krank geworden war, grenzte an ein Wunder.

Ich wollte gerade verkünden, dass wir unsere Sachen packten, um nach Pittsburgh aufzubrechen, um sie intensiver suchen zu können, aber dann roch ich es. Ich roch sie erneut. Emily. Ruckartig drehte ich meinen Kopf in die Richtung, aus dem der Geruch stammte. Und tatsächlich. Mit ihrer löchrigen Daunenjacke, ihrer Mütze und ihren abgetragenen Handschuhen schlenderte sie in unsere Richtung, sie musterte ihre Umgebung. In der einen Hand hielt sie eine Plastiktüte, mit einem Logo von einer Bäckereikette. Sofort verstummte mein tobender Wolf. Emily ging es gut, sie war wohl auf. Keine Vergewaltigung, keine Bastarde. "Emily!" rief ich wütender als beabsichtigt. Erschrocken starrte sie mich an und blieb stehen. Ein Anzugstyp lief in sie hinein und beschwerte sich lautstark. Ich knurrte den Mann an und sofort war sein Blick ängstlich auf mich gerichtet. Er konnte sich das nicht erklären, aber es war sein Instinkt, der ihn vor mir warnte. Überlegen grinste ich den blonden Anzugsträger an, dabei zog ich Emily zu mir. "Wo warst du?" kam es erneut vorwurfsvoll von mir. Überrumpelt antwortete sie. "F-frühstück kaufen" dabei hielt sie die Plastiktüte hoch. Einerseits gefiel es mir, dass sie mit mir frühstücken wollte, anderseits passte es mir nicht, dass sie dafür gezahlt hatte und dafür rausgegangen war. Wir hätten uns das auch auf unser Zimmer bringen lassen können. Und ich hätte neben meiner Mate aufwachen können, so wie ich es mir all die Jahre immer gewunschen hatte. Ich nickte einfach nur, wollte jetzt nicht mit ihr auf offener Straße diskutieren. Außerdem standen meine Rudelmitglieder hinter uns und hörten uns mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade genauestens zu. Seufzend wendete ich mich mit Emily zum Eingang und gab den drei Lauschern ein Zeichen, dass alles gut war. Lynn und Dylan grinsten und blickten zu Emily. Nick hingegen musterte mich, um zu überprüfen ob ich wirklich die Wahrheit sprach. Als ich mit meiner Mate im Aufzug war, blickte sie unsicher zu mir auf. "Warum bist du im Schlafanzug draußen?" fragte sie verwirrt. Ich biss mir auf die Lippe. "Ich hatte mir Sorgen um dich gemacht und bin etwas übereilt aufgebrochen" das war wohl etwas untertrieben. "Tut mir wirklich leid, ich hätte eine Nachricht hinterlassen sollen, aber dann habe ich es vergessen" murmelte sie reuevoll und sah dabei unendlich niedlich aus. Ihre grünen Augen drückten pure Reue aus. Und ich war mir sicher, dass sie sich dieses Verhalten und diese Gefühlsregung, für einen vollkommenen fremden Mann, nicht erklären konnte.

In einer dunklen Nacht wurdest du meinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt