Kapitel 12

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Nur schwer, konnte ich die die Traube ohne daran zu ersticken, herunter schlucken. Augenblicklich war mir plötzlich jeglicher Appetit vergangen und ich legte das Küchentuch zur Seite, auf der noch der Apfel und einige Trauben lagen.
Jetzt wurde es ernst!
Scheinbar hatte der Anführer doch eine größere Ungeduld als er in Wirklichkeit zugeben wollte. Schließlich hatte er mir ja eigentlich genug Zeit mit dem Essen geben wollen. Aber offensichtlich hatte er seine Meinung geändert.
Alby würde mich jetzt aushorchen wollen und ich musste ehrlich, aber nicht zu ehrlich, aber vor allem überzeugend sein!
Ich zitterte. Wenn ich jetzt kein Vertrauen zu ihm aufbauen würde, dann vielleicht niemals! Auf Ewig, würde er mir immer ein klein wenig misstrauen. Der erste Eindruck ist eben wirklich wichtig, bei solchen Dingen. Wen er mir misstrauen würde, würden es die Anderen mit Sicherheit auch!

"An was erinnerst du dich alles?" fragte Alby mit einer hoch gezogenen Augenbraue ernst.
Ich schluckte. Meine Kehle fühlte sich plötzlich sehr trocken an und ich wünschte, Chuck hätte mir noch ein Glas Wasser hochgebracht, an dem ich jetzt nippen könnte. Ich atmete einmal ein und fing dann zu erzählen.

"An mein Leben." hielt ich mich kurz.

"Was heißt das, dein Leben?" hakte Alby nach. Scheinbar schienen kurzangebunde Antworten dem Anführer überhaupt nicht zu gefallen. Es schien ihn meist zu reißen mir alles aus der Nase ziehen zu müssen und das bedeutete für ihn nur eines: ich verschwieg ihm etwas. Also holte ich für sie nächste Antwort weiter aus.

"Naja, wo ich herkomme und wer meine Familie ist. Ganz zu schweigen, davon wer ich bin."

"Und wer bist du, Michelle?" unterbrach er mich.

"Ich bin auf eurer Seite." versicherte ich ihm mir ernsten Ton.

"Wie können wir uns da so sicher sein?" bohrte er weiter. Seine Miene eiskalt und steinhart, dass es mir eine Gänsehaut bereitete.

"Ich scheine wie ihr einen, wenn auch in euren Augen kleinen, Erinnerungsverlust zu erleiden. Ich bin wie ihr." gab ich zurück. Alby lachte ironisch über diese Aussage von mir.

"Nein, du bist sicherlich nicht wie wir, dass steht fest!" Oh, wenn er wüsste, wie recht er damit hatte...
"Zum einen bist du ein Mädchen. Zum anderen kannst du dich erinnern." fing er an aufzuzählen, doch ich unterbrach ihn direkt.

"Die Frage ist an wie viel."

Der Anführer schien über diese Aussage verwundert zu sein und musterte mich eindringlich. "Scheinbar an genug... Mehr als wir zumindest!" seine Stimme klang warnend. Drohend. Ich spielte hier ein gefährliches Spiel mit einem angriffslustigen Raubtier. Er testete mich. Das war mir auf der Stelle klar. Er versuchte herauszufinden, ob man mir vertrauen kann. Natürlich drehte sich hier alles immer nur um Tests. Tests, Tests, Tests. Darüber ging die gesamte Buchreihe schließlich! Ein Test nach dem anderen und man war sich nie zu 100% sicher, ob man sich nicht bereits erneut im nächsten wiederfand.

"Ich kann mich vielleicht an mein Sternzeichen und meinen vollen Namen erinnern, an die Gesichter und Namen von meiner Familie und meinen Freunden... Ich habe aber keinerlei Schimmer, wie ich hier gelandet bin! Meine Erinnerungen enden dort, wo ich an einem stürmischen Tag, mutterseelenallein auf meinem Bett gelegen und ein Buch gelesen habe. Das nächste an das ich mich erinnern kann, war hier auf dieser Wiese aufzuwachen!" gab ich in einem trotzigen Ton von mir, weil es mir doch schon schneller auf die Nerven ging, kein Vertrauen entgegen zubekommen, als gedacht.

"Wieso sollten sie dich aber genau daran erinnern lassen?..." Alby schien die Frage mehr an sich als zu mir gestellt haben. Dennoch ging ich auf diese ein.

"Wer?" fragte ich verwirrt.

"Die Schöpfer." gab Alby zur Antwort, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. Nun wusste ich ja eigentlich was er damit meinte, trotzdem spielte ich weiterhin die dumme.

"Die Schöpfer?" fragte ich irritiert.

"Du kennst sie nicht wahr?" fragte er eindringlich.

"Was?" rief ich erschrocken hervor. Nervöser Schweiß brach in meinen Handflächen aus, die ich versuchte an der Bettdecke unbemerkt abzuwischen.
"Nein!" stieß ich empört heraus. Jedenfalls nicht persönlich...

"Du arbeitest mit ihnen zusammen, hab ich recht?!" bohrte er weiter und kam mir mit seinem Gesicht plötzlich ziemlich nahe.

"Nein!" stieß ich gereizt hervor.

"Besser du rückst jetzt mit der Wahrheit heraus, bevor ich deine Lügen aufdecke!" drohte der Anführer der Lichter in einem gefährlich ruhigen Ton.

"Ich schwöre es!" ich hob beschwichtigend meine Hände an. "Ich bin genauso unfreiwillig hier herein gestolpert, wie ihr!" Alby musterte mich eindringlich, als suche er nach einem Anzeichen dafür, dass ich ihn anlog. Dann ließ er von mir ab und nahm seinen ursprünglichen Platz auf seinem Stuhl ein. Eine Weile, die mir wie eine Ewigkeit erschien, blickten wir uns nur stumm entgegen. Dann stand Alby von seinem Stuhl auf und stellte ihn zurück in die Mitte des Raumes, wo er zuvor gestanden hatte.

"Es gibt Drei Regeln hier auf der Lichtung. Drei. Nicht mehr und nicht weniger. Zumindest, sind das die wichtigsten von allen. Sie sind wichtig für das Zusammenleben hier. Ohne gegenseitiges Vertrauen funktioniert hier gar nichts. Präg sie dir lieber gut ein und befolge sie. Bei einem Regelbruch dieser Drei bedeutsamen Regeln, willst du lieber nicht in deiner Haut stecken, dass verspreche ich dir!"

Gegenseitiges Vertrauen? Hatte ich schlussendlich den Anführer der Lichter überzeugen und sein Vertrauen für mich gewinnen können?

Er ging jetzt streng und angsteinflössend im Raum auf und ab, während er die mir bekannten Drei Regeln aufzählte.
"1. Niemand außer den Läufern darf das Labyrinth betreten. Das gilt für deinen eigenen Schutz, daher bleib lieber im inneren der Mauern.
2. Man muss seinen Beitrag leisten, also seine Aufgabe finden und mitarbeiten. Ich werde mit dir Morgen, dass heißt, solange du dich dazu in der Lage fühlst, eine Tour über die Lichtung machen. Danach wirst du in jeden Berufszweig hier auf der Lichtung einmal reinschnuppern und für dich entscheiden, welche Aufgabe du hier auf der Lichtung übernehmen möchtest. Es gibt die Berufe Sani, Schlitzer, Baumeister, Eintüter, Wurzelseppen, Hackenhauer, Koch, Schwabber, Bricknick, Kartenzeichner und zu guter letzt Läufer. Letzteres wirst du aber eher weniger kennenlernen. Dafür muss man nämlich auserwählt werden. Nicht jeder kann einfach so zum Läufer ernannt werden. Das Labyrinth ist ein gefährlicher Ort. Mann muss nicht nur einen guten Orientierungssinn besitzen, sondern auch schnell und zügig agieren können. Nur die Schnellsten, Besten und Stärksten dürfen sich dieser Aufgabe stellen! Mehr dazu erfährst du aber morgen bei der Führung...
3. Man darf keinen der anderen Lichter Schaden zufügen. Geschieht dies dennoch, ..." er brach kurz ab und schien plötzlich sehr traurigen Gedanken nach zu hängen und zu entscheiden, ob er mich an jenen Teilhaben lassen wollte oder nicht.

"Naja, du wirst es früh genug selbst erfahren..." teaserte er an. Ich wusste sofort was gemeint war:

Ben's Verbannung!

Sie würde heute Abend, wenn die Tore zum Labyrinth sich schließen würden, stattfinden. Und ich konnte rein gar nichts tun, um dies zu unterbinden...

Bloody inspiredWo Geschichten leben. Entdecke jetzt