- Prolog -

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Manchmal frage ich mich wirklich, ob Sia als Baby zu oft vom Wickeltisch gefallen ist oder ob ihr Gehirn seit ihrer Geburt nicht mehr weiterwachsen konnte.

Wie sonst lassen sich die vielen lockeren Schrauben in ihrem Oberstübchen erklären? Bestimmt nicht durch den Schlag mit einer Barbiepuppe auf den Hinterkopf, oder? Falls doch, sollte ich dringend mein dreijähriges Ich dafür verfluchen, dass es dieses verrückte Monster aus meiner besten Freundin gemacht hat. Ich meine, ein Buntstift hätte es damals sicherlich auch getan, nicht wahr?

Na ja, wie meine Granny immer zu sagen gepflegt hat: „Shit happens, but life goes on!"

Im Einklang mit meinen Gedanken stoße ich ein frustriertes Seufzen aus und schaue Sia dabei unzufrieden an. Wie eigentlich immer, wenn sie ihren Mund öffnet, sprudelt bloß eine blöde Idee nach der anderen aus ihr heraus.

So war es auch vor fünf Minuten, als sie - ich zitiere - einen „super-hammer-mega-genialen Einfall" hatte.

„Ein Blind Date? Ernsthaft?", frage ich meine Freundin genervt. „Da können wir uns auch direkt Tinder runterladen und uns die Finger wund swipen ..."

„Ach Sherry, wo würde denn da der Spaß bleiben?" Sia verdreht ihre Augen und nimmt danach einen großen Schluck aus ihrem Weinglas, ganz nach dem Motto Wein auf Bier: Das lob ich mir. „Auf Tinder sind eh nur Kerle, die nichts Festes suchen. Ein Blind Date ist bestimmt superlustig und auch mal etwas anderes. Das wird großartig! Vertrau mir! Außerdem schuldest du mir noch einen Gefallen, weil du mich letztens versetzt hast."

Moment mal. Hat Sia gerade Blind Date und lustig in demselben Satz verwendet? Tut mir leid, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie das ein Erfolg werden soll. Bei meinem Glück bekomme ich sowieso nur irgendeinen Mathefanatiker ab, der den ganzen Tag mit Formeln um sich wirft und mich zu Tode langweilt.

„Danke, aber nein danke", lehne ich Sias Vorschlag ab.

Natürlich wäre es schön, endlich mal einen Mann kennenzulernen, der mein Herz höherschlagen lässt, doch die Liebe kann man nicht erzwingen. Auch wenn Sia das wahrscheinlich anders sieht, bin ich mit meinen 21 Jahren Single-Erfahrung noch kein hoffnungsloser Fall.

Kritisch wird es erst, wenn ich meinem Kater Mister Miez ein paar Geschwisterchen kaufen sollte.

„Man Sherry, nun hab dich doch nicht so! Da ist doch nichts dabei, ausnahmsweise mal einen Abend Spaß zu haben!" Sia stellt ihr Weinglas auf dem Wohnzimmertisch ab und legt danach ihren Arm um mich. Das macht sie immer, wenn sie ihre Überredungskünste auspackt. „Nur mal so rein hypothetisch: Wie viel Alkohol müsstest du intus haben, damit wir auf ein Blind Date gehen?"

Dieses Mal bin ich diejenige, die ihre Augen verdreht.

Warum ist Sia so verdammt hartnäckig? Normalerweise sucht sie sich ihre Bettpartner in der Disco oder auf Instagram aus. Dass sie Blind Dates so toll findet, wusste ich bisher gar nicht.

„Du willst mich abfüllen? Vergiss es, Savannah!"

Meine beste Freundin schnappt empört nach Luft und boxt mir gegen den Oberarm, denn sie hasst es, wenn ich sie mit ihrem richtigen Namen anspreche.

Na ja, eigentlich heißt sie laut ihrer Geburtsurkunde sogar Savannah Isabella Abigail.

Ganz ehrlich? Bei diesem schrecklichen Namen würde ich mich auch lieber wie eine berühmte Sängerin nennen - egal, ob ich ihre Musik mag oder nicht.

„Gott, du bist so langweilig, Sherry! Kannst du nicht einmal über deinen Schatten springen? Ich möchte nicht, dass du als alte Katzen-Jungfrau-Lady stirbst! Geh raus und hab Spaß! Ewig kann ich dich nicht zu deinem Glück zwingen ..." Kaum sind ihre Worte verklungen, schnappt sich Sia zum wiederholten Male ihr Weinglas und leert es in nur einem einzigen Zug.

Ihr Kopf wird es ihr morgen früh definitiv nicht danken, so viel steht fest.

„Moment mal. Ich habe noch einen super-hammer-mega-genialen Einfall. Was hältst du davon, wenn wir eine Münze werfen?"

„Hä?"

„Kopf bedeutet, dass wir auf ein Blind Date gehen und Zahl bedeutet, dass wir weiterhin wie alte Omis am Samstagabend vor uns hinvegetieren."

Sia schaut mich herausfordernd aus ihren dunkelbraunen Augen an. Sie weiß genau, dass ich es liebe, zu spielen, und diese Tatsache macht sie sich gerade zum Vorteil.

Scheinbar hat die Barbiepuppe also doch nicht alle ihrer Gehirnzellen abgetötet ...

Obwohl ich mich nicht auf Sias dämliche Idee einlassen sollte, handelt mein Mund schneller als mein Verstand. „Na schön", stimme ich ihrem Vorhaben zu.

Keine Sekunde später kreischt Sia aufgeregt. Vor lauter Tatendrang springt sie vom Sofa, stolpert beinahe über das Körbchen ihrer Hündin und rennt dann zu der kleinen Kommode im Flur, auf der ihr Portemonnaie liegt.

Noch könnte ich einen Rückzieher machen, oder? Denn mal ganz ehrlich: Niemand lernt seine große Liebe auf einem Blind Date kennen.

Während sich ein ungutes Gefühl in meiner Magengrube zusammenbraut und ich meine Entscheidung schon jetzt bitterlich bereue, stolziert Sia mit einer Geldmünze in der Hand zurück zum Sofa. Sie verwebt ihre Augen mit meinem panischen Blick, bevor sie die Münze in die Luft wirft und drei aufgeregte Herzschläge später wieder auffängt.

Das Adrenalin pulsiert in meinen Venen und mir wird übel.

Warum nochmal habe ich mich darauf eingelassen, eine Münze über mein Schicksal entscheiden zu lassen? Ach ja, richtig: Weil ich Spiele, die nur von einer höheren Macht beeinflusst werden können, liebe.

„Nun zeig schon!", dränge ich Sia ungeduldig.

„Willst du es wirklich sehen, Sherry? Bist du dir zu tausend Prozent sicher?"

„Ja, verdammt! Spann mich nicht so auf die Folter!"

Sias Blick ist ernst, todernst. Erst als sie ihre Finger von der Münze löst und somit den Blick auf die glänzende Oberfläche freigibt, stiehlt sich ein triumphierendes Grinsen auf ihre Lippen.

Kopf ...

Scheiße! Das bedeutet meinen Untergang!

Sitz, Platz, Bleib für immer!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt