13 - Die Lösung lautet Alkohol

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Es ist halb zwei in der Nacht, als Sia in ihrem Winnie Pooh Schlafanzug vor meiner Wohnungstür steht. Leider ist sie aber nicht allein gekommen, sondern hat die ach so tolle und liebenswürdige Pico im Schlepptau.

Na super ...

Sobald die Hündin realisiert hat, dass es sich um meine Wohnung handelt, bellt sie dreimal laut. Dann läuft sie mit trippelnden Schritten an mir vorbei und steuert das Wohnzimmer an.

Ob ich Angst um meine Kissen haben sollte?

Statt mich auf Pico zu konzentrieren, richte ich meine Aufmerksamkeit lieber auf Sia. Ihr mitleidiger Blick reicht aus, um mir die Tränen in die Augen zu treiben und mich in ihre Arme fallen zu lassen. Ich bette meinen Kopf in ihrer Halsbeuge und schluchze leise.

„Hey ...", murmelt Sia mitleidig, während sie mir über den Rücken streicht. „Alles ist gut, Sherry. Beruhige dich."

Nein, nichts ist gut! Ich bin eine Idiotin und habe Lowan mit meiner Reaktion verletzt. Keine Ahnung, ob er mir das jemals verzeihen wird.

Ein paar Minuten bleiben wir noch im Flur stehen, bis wir uns voneinander lösen und Pico ins Wohnzimmer folgen. Wie eine Königin hat es sich die Hündin auf dem Sofa bequem gemacht und thront auf zwei übereinandergestapelten Kissen.

Na ja, wenigstens zerfetzt sie sie nicht wieder ...

„Komm her, Süße!" Sia breitet ihre Arme aus, sodass ich mich an ihre Brust kuscheln kann. Meine beste Freundin legt eine Decke über unsere Körper und streichelt dann beruhigend durch mein Haar.

Es tut gut, in ihrer Nähe zu sein und die Vertrautheit zwischen uns zu spüren.

Die Zeit vergeht und irgendwann versiegen die Tränen wie von selbst. Obwohl ich hundemüde bin, schaffe ich es nicht, die Augen zu schließen und zu schlafen. Permanent muss ich an Lowans enttäuschten Blick denken, der sich wie ein Feuer auf meiner Seele eingebrannt hat.

„Möchtest du mir sagen, was passiert ist, Sherry?" Sias Stimme ist so leise, dass sie sich nach wenigen Sekunden in der Luft verliert. „Muss ich zu Lowan fahren und ihm die Eier abschneiden? Du weißt, ich hätte kein Problem damit ... Für dich tue ich alles!"

Bei ihren Worten kämpft sich ein erschöpftes Schmunzeln auf meine Lippen.

Sia ist ein Mensch mit vielen Ecken und Kanten. Auch wenn sie manchmal sehr anstrengend und temperamentvoll sein kann, steht sie zu hundert Prozent hinter mir und würde alles dafür tun, damit ich glücklich bin.

Eine wahre beste Freundin!

„N-Nein", schniefe ich nach kurzem Zögern. „Wenn dann musst du mir die Eierstöcke abschneiden."

„Hm ...", macht Sia. „Das könnte schwierig werden. Erzähl mir doch erstmal, was zwischen Lowan und dir vorgefallen ist, ja?"

Ich löse mich vorsichtig aus ihren Armen und setze mich stattdessen aufrecht hin. Obwohl ich weiß, dass mich Sia niemals verurteilen würde, wage ich es nicht, ihr in die dunkelbraunen Augen zu schauen.

Picos zuckenden Pfoten zuzuschauen, ist sowieso viel interessanter ...

Ich hole noch einmal tief Luft, ehe ich über meinen Schatten springe und Sia von Lowans Augenkrankheit und meiner dämlichen Reaktion erzähle.

Meine beste Freundin hört mir aufmerksam zu und unterbricht mich kein einziges Mal. Erst als ich meine Erzählung beendet habe, drückt sie aufmunternd meine Hand und behauptet: „Das wird schon wieder, Sherry! Erklär ihm einfach, warum du wirklich sprachlos warst, dann wird er es verstehen."

Ich wünschte, ich wäre genauso optimistisch wie Sia, aber leider bin ich das nicht. Gedanklich habe ich in den letzten Stunden schon mehrfach einen Haken hinter das Kapitel mit Lowan gesetzt.

Schade eigentlich, aber das habe ich mir selbst zuzuschreiben.

„Am besten bittest du ihn um ein Gespräch."

Das ist eine gute Idee. Auch wenn es natürlich einfacher wäre, sich hinter einem langen WhatsApp Text zu verstecken, ist eine persönliche Entschuldigung viel mehr wert. Außerdem hat Lowan es nicht verdient, mit einer Nachricht abgespeist zu werden.

Damit der Hundetrainer merkt, wie wichtig es mir ist, mit ihm zu reden, fische ich sofort mein Handy aus meiner Hosentasche. Mit zittrigen Fingern und tränenverschleierter Sicht schreibe ich ihm eine kurze Nachricht.

Können wir bitte nochmal sprechen, Lowan? Es tut mir leid, wie ich reagiert habe. Bitte gib mir die Chance, dir zu erklären, was sich in meinem Kopf abgespielt hat.

Zu meiner großen Überraschung färben sich die beiden Häkchen nur drei Sekunden später blau. Angespannt starre ich auf das Display und warte auf eine Antwort, doch sie kommt nicht. Das „online" verschwindet wieder und mit ihm die Hoffnung, dass alles gutwerden wird.

Neue Tränen sammeln sich in meinen Augen und kullern über meine Wangen. Es tut mir im Herzen weh, Lowan so sehr verletzt zu haben. Das war definitiv nicht meine Absicht!

Als würde Mister Miez spüren, dass es mir gerade schlechtgeht, kommt er langsam ins Wohnzimmer getapst. Erst zögert er, immerhin hat eine freche Hündin einen Teil des Sofas in Beschlag genommen, doch dann springt er zu mir auf die Couch und kuschelt sich in meine Arme.

Wie von selbst vergrabe ich meine Finger in seinem flauschigen Fell und spüre, wie sich mein rasender Herzschlag zumindest ein bisschen reguliert.

„Ach, Mausi ...", seufzt Sia neben mir. „Lass Lowan erstmal eine Nacht darüber schlafen, okay? Und falls er morgen einem Gespräch nicht freiwillig zustimmen sollte, dann siehst du ihn ja spätestens Mittwoch in der Hundeschule wieder."

Oh Gott, das Hundetraining habe ich komplett vergessen. Um ehrlich zu sein ist es aber auch total sinnfrei, dort weiterhin zu erscheinen.

„Meinst du nicht, dass ich ihm so langsam die Wahrheit bezüglich Pico sagen sollte?", frage ich Sia zweifelnd. „Lowan war schließlich auch ehrlich zu mir." Im selben Atemzug wische ich mir die Tränen von den Wangen und hoffe, dass keine Neuen hinterherkommen werden.

„Doch, das solltest du auf jeden Fall tun", bestärkt mich Sia in meinen Gedanken. „Aber zuerst musst du dich bei ihm entschuldigen und ihm sagen, dass du seine Augen wunderschön findest."

„Okay." Ich nicke.

In der Theorie hört es sich unfassbar einfach an, Lowan um Verzeihung zu bitten, aber ich befürchte, dass es in der Praxis deutlich schwieriger wird.

Hoffentlich traut er sich überhaupt noch in meine Nähe ...

„So ..." Sia drückt noch einmal aufmunternd meine Hand, ehe sie ihren Kopf auf meiner Schulter ablegt. „Jetzt sollten wir aber wirklich mal versuchen, zu schlafen."

„Ich kann nicht!", sage ich sofort.

„Weil Pico hier ist? Ich schwöre dir, dass sie deine Kissen nicht nochmal zerfetzen wird! Wenn sie müde ist, ist sie richtig brav."

Ein halbherziges Grinsen schleicht sich auf meine Lippen, denn ausnahmsweise dreht sich mal nicht alles um Pico.

„Ich kann einfach nicht aufhören, an Lowans enttäuschten Blick zu denken", murmele ich gequält.

„Ah, verstehe." Sia krabbelt unter der Decke hervor, tapst barfuß in den Flur, öffnet die Tür zu meiner kleinen Vorratskammer und kommt wenig später mit einer Flasche Weißwein in der Hand zurück.

Als wäre es ganz normal, mitten in der Nacht eine Flasche Wein zu köpfen, öffnet sie den Verschluss.

„Was wird das, wenn ich fragen darf?"

Sia lacht. „Alkohol ist immer die Lösung – merk dir das!", behauptet sie. „Trink ein bisschen was. Dann kannst du wie ein Baby schlafen. Versprochen!"

Auch wenn das nach keinem wasserdichten und katerfreien Plan klingt, nehme ich Sia die Weinflasche ab und führe sie zu meinen Lippen.

„Prost!"

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