14 - Wie Hündchen und Frauchen

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Zu behaupten, dass ich nicht nervös sei, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts, denn ich habe das Gefühl, innerlich tausend Tode zu sterben.

Es ist sechs Uhr am Mittwochabend und das bedeutet, dass in genau diesem Moment das Hundetraining beginnt.

Vermutlich ist es feige von mir, aber statt im Vorfeld auf Lowan zu warten, um ihn für ein Gespräch abzufangen, verlassen Pico und ich erst dann unser Versteck, als der Lockenkopf und die anderen Kursteilnehmer bereits auf dem Weg in Richtung Wiese sind.

Scheiße, warum bin ich auf einmal so ein Angsthase?

Mein Herz hämmert ungewöhnlich schnell gegen meinen Brustkorb, als ich Lowan in der Entfernung ausmache. Er trägt eine zerrissene Jeans, ein dunkelblaues T-Shirt und ein weißes Bandana. Nach meiner blöden Reaktion am Wochenende darf seine Sonnenbrille natürlich nicht fehlen.

Da mir Lowan nicht mehr auf meine Nachricht geantwortet und auch keine Anrufe entgegengenommen hat, kann ich überhaupt nicht einschätzen, wie er aktuell zu mir steht.

Hoffentlich habe ich die Chance auf einen Neuanfang noch nicht verspielt!

Mit Pico an der Leine betrete ich schließlich die Hundewiese. Die anderen Teilnehmer haben sich in der Zwischenzeit in einem Kreis versammelt und schauen mich nun abwartend und erwartungsvoll an, ganz nach dem Motto Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Oh man, wie unangenehm ...

Innerlich rechne ich damit, dass Pico jeden Augenblick stehenbleibt oder andere Faxen macht, aber zu meiner großen Überraschung folgt sie mir brav in den Mittelkreis.

Ähm, alles okay bei der Hündin? Ist sie vielleicht defekt?

„Ihr seid spät dran, Shirley", sagt Lowan emotionslos, nachdem ich Pico mit einem Kauknochen belohnt habe. „Bitte kommt das nächste Mal pünktlich oder bleibt direkt zuhause!"

Ein riesiger Kloß bildet sich in meinem Hals. Gleichzeitig muss ich gegen die brennenden Tränen ankämpfen, die sich bei Lowans Worten in meinen Augen verirrt haben.

Dass er verletzt ist, ist nicht zu übersehen.

Hätte ich eventuell doch mutig sein und vor dem Training mit ihm sprechen sollen? Na ja, jetzt kann ich die Vergangenheit sowieso nicht mehr ändern.

Statt Lowan eine Antwort zu geben, lasse ich bloß schuldbewusst die Schultern hängen. Es tut mir unfassbar weh, ihn so deprimiert zu sehen und gleichzeitig zu wissen, dass ich der Grund dafür bin.

Während die anderen Teilnehmer von ihren Trainingsfortschritten berichten, beobachte ich Pico dabei, wie sie ihren Kauknochen zerfetzt. Irgendwann scheint sie meinen Blick zu bemerken, denn sie hebt den Kopf, schaut mich für ein paar Sekunden an und zwinkert mir dann zu.

Verwirrt reibe ich mir über die Augen.

Wer zum Teufel ist dieser Hund? Ob Sia ihrem kleinen Liebling wohl eine Gehirnwäsche verpasst hat?

„Shirley!" schneidet sich Lowans Stimme nach einigen Minuten wie eine Messerklinge durch meinen Gedankennebel. „Wie hat das Training bei Pico und dir geklappt?"

Ich wage es nicht, aufzusehen. Zu groß ist meine Angst, mich in Lowans Enttäuschung und Trauer zu verlieren.

„Alles gut!", lüge ich. „Wir machen immer mehr Fortschritte."

„Schön." Lowan klingt kalt und abweisend, ganz anders als ich ihn kennengelernt habe. Er wendet seinen Kopf wieder von mir ab und spricht dann zu der ganzen Gruppe: „Heute wollen wir das Rückrufsignal nochmal mit der Ablenkung von Spielzeug trainieren. Bei wem das schon gut klappt, kann das Spielzeug durch Leckerchen ersetzen."

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