Noch immer etwas neben der Spur verlasse ich meine Wohnung und ... Was zur Hölle?! Dort, wo eigentlich die Treppe sein sollte, ist ein Loch. Ein riesiges, klaffendes Loch. In das ich fast reingefallen wäre, verdammt! Hat der Vermieter 'nen Knall? Das muss er doch absperren!
Ich werfe einen Blick nach unten und erstarre. Was zur Hölle ist hier eigentlich passiert? Ist etwa 'ne Bombe eingeschlagen? Das würde zumindest die Trümmer erklären, die hier überall rumliegen – und den Ruß. Aber das hätte ich doch selbst in meinem benebelten Zustand mitkriegen müssen, oder?
Etwas überfordert kratze ich mich am Kopf und überlege, was ich nun machen soll. Eine Leiter holen? Von wo denn!? Die leiht mir doch sonst immer der Hausmeister.
Ich könnte ... Ach, verdammt! Mein Gehirn ist noch im Dornröschen-Modus und zu nichts zu gebrauchen. Von cleveren Gedanken kann ich mich wohl erst mal verabschieden. Hoffentlich wirkt die Kopfschmerztablette bald. In der Zwischenzeit kann ich hier aber nicht dumm rumstehen. Also schaue ich erneut nach unten und realisiere, dass es gar nicht so weit in die Tiefe geht. Tja, wenigstens einen Vorteil muss es ja haben, Hochparterre zu wohnen.
Es ist mir echt ein Rätsel, warum ich damals ausgerechnet diese Wohnung genommen habe. Klar, sie ist zentral gelegen und nicht überteuert. Aber ehrlich, Hochparterre? Von meinem sogenannten Balkon hab ich nicht viel, weil mir die vorbeilaufenden Leute ständig auf die Finger glotzen und ich mich nonstop beobachtet fühle. Dabei kann sich doch kein Mensch entspannen! Und winzig ist das Teil außerdem. Von dem Einbruchrisiko, das es bei den unteren Wohnungen immer gibt, ganz zu schweigen ... Aber gut. Wenigstens komme ich auch ohne Treppe und Leiter nach unten. Das ist doch schon mal was!
Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen, bis ich ganz dicht am Rand stehe. Ich schüttle den Kopf, um die Horrormeldungen zu vertreiben, die gerade durch mein Hirn schießen und mich scheinbar davon abhalten wollen, mein Leben zu riskieren. Das kenne ich schon, fehlt nur noch die überaus liebenswerte innere Stimme, die mich zur Schnecke macht ...
„Bloß nicht zu lange drüber nachdenken, Tess. Tu es einfach", rede ich mir also gut zu. Ja, ich weiß. Es ist ein bisschen irre, Selbstgespräche zu führen, aber mich beruhigt es irgendwie. „Der Boden ist gar nicht so weit weg und du warst früher doch ganz gut im Turnen."
Bevor ich es mir anders überlegen kann, setze ich mich auf meine vier Buchstaben und halte mich dann vorsichtig an den scharfkantigen Resten der obersten Treppenstufe fest. Im nächsten Moment gleite ich auch schon langsam nach unten. Stück für Stück. Als meine Zehenspitzen den Boden berühren, atme ich erst mal erleichtert auf. Geschafft!
„Na siehst du", lobe ich mich selbst, „war doch gar nicht so schwer." Dass mein Herz immer noch rast, als wär ich gerade 'nen Marathon gelaufen, ignoriere ich einfach. Und weil ich es etwas eilig habe, klopfe ich mir schnell den Schmutz vom Hintern, rücke meinen Rucksack zurecht und mache mich endlich auf den Weg ins Freie.
Leider ist das nicht so leicht wie gedacht, denn die Tür scheint auch was abgekriegt zu haben – halb verkohlt hängt sie in den Angeln und wird auch noch von irgendwas da draußen blockiert. Mit aller Kraft drücke ich dagegen, doch das blöde Ding bewegt sich kein Stück. „Ach, komm schon! Was soll der Scheiß?", fauche ich genervt und raufe mir frustriert die Haare. Was ist das bitte für'n beschissener Morgen?
Noch einmal sammle ich all meine Kräfte und ramme meine Schulter gegen die verdammte Tür. Einmal. Zweimal. Dreimal. Autsch ... Doch endlich bewegt sie sich. Es sind nur ein paar Zentimeter, aber immerhin! Mit beiden Händen versuche ich, den Spalt zu vergrößern, damit ich durchpasse. Dummerweise bohrt sich dabei auch noch ein Splitter in meine Hand. „Au, verdammt!", knurre ich mit schmerzverzerrtem Gesicht. Das hat mir gerade noch gefehlt! Kann dieser Morgen eigentlich noch schlimmer werden?
Warum zur Hölle hat eigentlich keiner diesen ganzen Mist repariert? War doch klar, dass es saugefährlich ist, hier rein- und rauszukommen!
Leise fluchend versuche ich, den verdammten Splitter aus meiner Hand zu ziehen. Meine Umgebung ignoriere ich dabei völlig. Ganz automatisch gehe ich nach links, komme aber nicht weit und gerate nach ein paar Schritten schon wieder ins Stocken. Jetzt weiß ich auch, was die blöde Tür blockiert hat. Denn direkt vor meinen Füßen liegt ein Mann. Zumindest ... glaube ich, dass es ein Mann ist. Von seinem Gesicht ist nämlich nur noch die Hälfte übrig.
Als ich das realisiere, krampft sich mein Magen auch schon schmerzhaft zusammen. Sofort wird mir kotzübel und ich atme ein paarmal tief durch, um dagegen anzukämpfen. Ein ... und aus. Eiiin ... und auuus. Eiiiiin ... und auuuuus. Es funktioniert. Das Zittern lässt sich dummerweise nicht so leicht loswerden.
Als mein Blick erneut zu dem halben Gesicht wandert, komme ich besser damit klar. Aber ... igitt! Sowas Ekliges hab ich noch nie gesehen! Es schüttelt mich schon wieder, doch ich trete trotzdem wie in Trance näher an den Kerl heran und taste nach seinem Puls. Aber da ist nichts. Kein bumm-bumm bumm-bumm. Er ist tot.
Natürlich ist er tot, Tess!, schnauzt mich meine innere Stimme genervt an. Wenn ein Großteil von deinem Kopf fehlen würde, wärst du auch tot, du Hohlbirne ...
Oh shit! Ein hysterisches Lachen bricht aus mir heraus, als ich kapiere, was ich da gerade gedacht habe. Hohlbirne! Mein Blick klebt an seinem Schädel und ich lache noch lauter. Wie eine Bekloppte krümme ich mich vor Lachen und japse verzweifelt nach Luft. Doch das gefällt meinem ohnehin schon rebellierenden Magen gar nicht. Die Quittung bekomme ich sofort. Ich presse meine Hand auf den Mund und schaffe es nur mit Mühe, nicht auf meine braunen Lederstiefel zu kotzen. Dafür trifft es leider die des Toten. Verdammt! Erst wird er ermordet, verstümmelt und dann auch noch von der doofen Kuh, die ihn gefunden hat, angekotzt ... Dieser Morgen ist doch echt für'n Arsch!
Am liebsten würde ich gleich wieder umkehren und in mein warmes, weiches Bett kriechen. Aber erstens ist es momentan ja nicht so leicht, in meine Wohnung zu kommen, und zweitens kann ich mich sowieso nicht gleich wieder krankmelden, nachdem ich schon die letzten drei Wochen gefehlt habe. Die Kids verlassen sich auf mich. Ich muss heute einfach zur Arbeit.
Also wische ich meinen Mund angewidert mit dem Handrücken ab, während mein anderer Arm im Rucksack verschwindet, um nach Feuchttüchern zu kramen. Die gehören bei mir zur Grundausstattung. Wer mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, lernt schnell, wie wichtig die Dinger sind. Und zu 'nem Wasserhahn komme ich gerade sowieso nicht ...
Unschlüssig stehe ich da und weiß nicht so recht, was ich mit der Leiche anfangen soll. Die kann ich doch nicht einfach so liegen lassen, oder? Ich will aber auch nicht warten, bis die Polizei auftaucht und sie wegschafft. Oh. Verlegen kratze ich mich am Kopf. Vermutlich sollte ich die Polizei rufen, bevor ich von hier verschwinde. Darauf hätte ich auch schon früher kommen können.
Apropos ... Warum sind die eigentlich noch nicht hier? So kalt, wie der Kerl ist, blockiert er unsere Tür schon länger. Das habe ich kapiert, als ich seinen Puls fühlen wollte. Und ... na ja ... er stinkt auch gewaltig. Ja, ich weiß. Nicht besonders taktvoll von mir, das zu denken. Aber es ist nun mal die Wahrheit!
Ich könnte wetten, dass der Kerl schon seit gestern hier liegt. Das muss doch jemandem aufgefallen sein! Ich meine, auf dem Weg zur U-Bahn laufen hier jeden Tag haufenweise Leute vorbei und ... Moment mal. Ich schaue mich irritiert um. Wo sind die überhaupt? Ich war so von dem Splitter und der Leiche abgelenkt, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie still es hier ist – und wie leer. Kein Auto weit und breit. Kein Fußgänger oder Radfahrer. Nur ich. Mutterseelenallein mit einer Leiche. Und um mich herum ein Trümmerfeld.
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Was zur Hölle?!
FantastiqueNachdem Tess ganze drei Wochen mit Grippe im Bett gelegen hat, will sie endlich wieder zurück zur Arbeit. Zu dumm, dass in der Zwischenzeit die Apokalypse begonnen hat und haufenweise Dämonen auf der Erde eingefallen sind - völlig unbemerkt von Tess...