3. Kapitel

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Völlig entgeistert starre ich auf die Steinwand vor mir und kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wie ich zu dieser tollen Aussicht gekommen bin. Hat er uns umgedreht? Gerade hab ich doch noch auf die Straße geschaut, oder?

Na, wenn du nicht mal das weißt, ist echt Hopfen und Malz verloren, meint meine innere Stimme resigniert. Dummerweise hat sie damit auch noch recht. Ich bin heute echt nicht in Bestform.

Also konzentriere ich mich bewusst auf meine Umgebung und realisiere erst jetzt, dass ich mich gar nicht gegen den Kerl gewehrt habe. Bin ich denn lebensmüde? Was, wenn der Mörder zum Tatort zurückgekehrt ist und mich nun als nächstes Opfer in seiner Gewalt hat?! Das kann doch alles nicht wahr sein! Ich hab damals extra 'nen Selbstverteidigungskurs gemacht. Wieso zur Hölle lasse ich mich einfach von dem umarmen?!

Umarmen? Ha, dass ich nicht lache!, verpasst mir die nervige Stimme noch eine verbale kalte Dusche. Der Kerl hält dir den Mund zu und presst dich direkt neben 'ner Leiche an die Wand. Und du denkst ernsthaft, der will Zärtlichkeiten austauschen? Wach auf, Tess! Der wird dich killen!

Ein Quieken entfährt mir und der Kerl umklammert mich noch fester. Shit. Und ich dumme Kuh mach mir auch noch Gedanken über seinen tollen Blumenduft. Ich hätte um mich schlagen, ihn treten und beißen sollen! Bei dem Kurs konnte ich das doch auch. Warum jetzt nicht?!

Leider kenne ich die Antwort nur zu gut: Ich liebe den Geruch von Rosen einfach ... Der macht mich jedes Mal ganz schwach. Leider auch jetzt. Dagegen kann ich einfach nichts tun. Überhaupt nichts, nada, niente. Denn obwohl ich es nicht will, schließe ich schon wieder genießerisch die Augen und atme tief ein, um in seinem Duft zu schwelgen. Mmh. Rote Rosen ...

Das darf doch echt nicht wahr sein! Setz die rosarote Brille ab und wehr dich endlich, Dornröschen!

Ähm, ja. Erde an Tess.

Ich räuspere mich, woraufhin der Kerl seinen Griff noch mehr verstärkt. „Ruhe!", knurrt er und verpasst mir damit eine Gänsehaut. Diese Dominanz ... dieser Geruch ... Wenn er kein Killer wär, würde ich ihn glatt sexy finden. Ich seufze instinktiv, als mein Hirn das perfekte Bild zu diesen Eindrücken erzeugt.

„Sei endlich still! Er ist noch da", raunt die männlich-raue Stimme direkt in mein Ohr und klingt dabei alles andre als begeistert. Tja. Ich bin auch nicht gerade glücklich. Musste er mich denn unbedingt aus meiner Traumblase holen? Und was soll das überhaupt bedeuten? Wer ist noch da? Warum muss ich unbedingt still sein? Ernsthaft, ich kapiere nur Bahnhof.

Du erinnerst dich nicht zufällig an den schnüffelnden Muskelprotz von eben, oder?, kommt es betont beiläufig aus meinem Oberstübchen.

Doch! Natürlich! Der ist noch da? Shit! Was will der überhaupt von mir? Und wo kam der Kerl hinter mir so plötzlich her? Wenn ich's mir recht überlege, hat er mich genau im richtigen Moment nach hinten gerissen, um mich vor dem Hunde-Mann zu retten. Denn der ... oh, verdammt! Seine Augen! Die waren rot! Also nicht rot unterlaufen oder so. Sie haben rot geleuchtet! Von innen heraus! Sowas hab ich noch nie gesehen ...

Wenn der Rosen-Kerl nicht aufgetaucht wäre, hätte sich dieser Jagdhund in Menschengestalt garantiert auf mich gestürzt. Jede Wette! Und mich bei lebendigem Leib zerfleischt. Dann könnte ich mit meiner Leiche im Partnerlook zum Fasching gehen – beide mit dekorativem Loch im Schädel. Der gut riechende Kerl ist also eindeutig mein Retter. Wie mutig von ihm! Ich hätte mich Rotauge garantiert nicht in den Weg gestellt. Wieder seufze ich, dieses Mal vor Rührung. Immerhin hat er für mich sein Leben riskiert.

Dummerweise gefällt ihm diese Dankbarkeitsbekundung auch nicht. „Sag mal, willst du unbedingt draufgehen?", fragt mein Retter scharf und ich schüttle schnell den Kopf. Das will ich ganz sicher nicht. Und schon gar nicht so! „Gut. Kein Mucks mehr, verstanden?" Dieses Mal nicke ich. Ich hab's ja kapiert.

Was zur Hölle?!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt