Der Tempel

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Die stampfenden Schritte ihrer Häscher verfolgten sie, als sie leichtfüßig durch den Dschungel des fremden Planeten rannte. In ihrer Heimat gejagt, eingefangen und wie ein wildes Tier in einen Käfig gesperrt, hatte man sie zu den Feinden ihres Volkes verschifft. Ein Schicksal, das sie mit vielen jungen Frauen teilte.

An hohen, mit Schlingpflanzen bewachsenen Bäumen vorbei, folgte sie einem alten, fast völlig überwucherten Trampelpfad tiefer in die Wildnis hinein. Irgendwo im dichten Grün plätscherte ein Bach glucksend vor sich hin. Erfrischendes Wasser, so nah und gleichzeitig so fern. Ihre Zunge klebte vom Laufen am Gaumen. Ihre Muskeln brannten von der ungewohnten Belastung. Immer wieder bremste sie ab oder wich einem Hindernis aus. Wenn sie jetzt stürzte, war alles umsonst.

Nach einer weiteren Biegung blieb sie abrupt stehen, ein stiller Schrei der Überraschung auf ihren Lippen. Ein dem Verfall überlassener Tempel ragte vor ihr auf. Vom Dschungel fast überwuchert wirkte der Ort beinahe malerisch. Wurzeln unterschiedlicher Pflanzen hatten Steine herausgebrochen und bohrten neue Risse, die sich über die uralten Wände wie die Fäden von Spinnennetzen zogen, ins Mauerwerk.

Aufgebrachte Schreie hinter ihr scheuchten sie vorwärts. Ein stechender Schmerz an ihrem linken Arm brachte sie ins Stolpern. Ein leises Wimmern drang aus ihrer Kehle. Verbissen kämpfte sie sich zurück auf die Füße, eine Hand auf die blutende Wunde am Oberarm gepresst. Ein Streifschuss, abgefeuert aus einer Bolzenpistole. Gut gezielt auf kurzer Entfernung eine absolut tödliche Waffe. Dennoch ungefährlicher als eine Plasmapistole. Die bevorzugtere Waffe im Kampf beider Völker.

Fluchend hetzte sie weiter, rannte auf den Tempelkomplex zu. Mit ein wenig Glück folgten ihr die Jäger nicht hinein. Ein schlichter Wunsch, mehr nicht. Das Herz sank ihr in die Hose. Sie wusste, dass sie den Männern nichts entgegenzusetzen hatte. Ohne Kampfgerät, ob Messer, Handfeuerwaffe oder Pfeil und Bogen, stand sie ihnen wehrlos gegenüber. Das weit aufgesperrte Maul des Tempeleingangs war ihre einzige Chance. Sie warf einen Blick zurück. Die Jäger hatten einige Meter entfernt haltgemacht und sanken auf die Knie, um die Gottheit, die an diesem Ort verehrt worden war, um Vergebung für die Störung zu bitten. Abergläubisches Volk. Sie war in einem anderen Glauben aufgewachsen. Einem, der übernatürliche Wesen als Heilsbringer ausschloss.

Während die Männer beteten, huschte sie über herabgefallene Mauersteine ins Halbdunkel des Gebäudes. Die einstigen Fenster unter einer dicken Pflanzenschicht versteckt, fiel Licht nur von oben herein, wo sich Dachziegel gelöst und in die Tiefe gerauscht waren. Die Lichtstrahlen schienen auf eine seltsam geformte Statue. Verehrten ihre Feinde unförmige Kreaturen oder waren sie bildhauerisch nicht begabt? Sie schnaubte leise. Die Fähigkeiten beschränkten sich eher auf das Unterwerfen und Ausrotten anderer Völker dieser Galaxie, wie sie auf ihrem Planeten miterlebt hatte. Zu lange herrschte schon Krieg, verursacht von den Monstern dieser Welt, von denen einige draußen auf sie lauerten. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter.

Die Jäger knieten weiterhin an der Stelle, wo sie angehalten hatten. Einer erhob sich, zielte mit einer Plasmapistole auf sie. Reichte die Entfernung aus, damit er daneben schoss? Drohte er nur oder würde er feuern? Skeptisch schaute sie zu der unförmigen Statue. Wenn diese den Männern heilig war, würden sie es kaum riskieren, diese zu beschädigen. Sie rückte näher an die Skulptur heran und runzelte die Stirn. Etwas an der Form kam ihr bekannt vor. Nur woher? Sie musterte das Gebilde genauer. Mehr als mannshoch, von Linien überzogen, die sie an Schaltkreise erinnerten. Hatten die Gripari hier einer Gottheit gehuldigt, die sie für die Erkenntnisse in Technik und Wissenschaft anbeteten? Zuzutrauen war es ihnen.

Ein Knirschen über ihrem Kopf ließ sie aufschauen. Staub und feiner Putz rieselten auf sie herunter. Um ein älteres Loch im Dach zogen sich Risse wie Wellen in einem See, in den man einen Stein hineinwarf. Erst filigran wie Spinnenweben breiteten sie sich rasend schnell aus. Die Dachbalken erzitterten unter der zunehmenden Spannung. Ein lauter Knall, Holz zerbrach. Dann rauschte der Schutt in die Tiefe.

Mit einem beherzten Sprung brachte sie sich hinter der Statue in Sicherheit. Ihre blutverschmierte Hand streifte dabei eine Platte, die an der Skulptur angebracht war. Entlang der Linien leuchtete eine Vielzahl roter Lämpchen auf, blinkte in einem gleichmäßigen Rhythmus. Ein heller Piepton begleitete den visuellen Puls des Lichts. Das Standbild brach an der Seite auf. Wasserdampf stieg von der ebenmäßigen Bruchstelle auf wie ein tödlicher Eisnebel.

Quendresa unterdrückte einen Schrei und wich tiefer in den Tempel zurück. Die Erkenntnis lastete schwer auf ihren Schultern, die unter der Last zusammenzubrechen drohten. Mit ihrem riskanten Verhalten hatte sie eine unauslöschbare Schuld auf sich geladen.

Das war keine Statue, kein Abbild eines Gottes, sondern eine etwa einhundert Jahre alte Kryokammer ihres eigenen Volkes, die vor ihr stand. Eine Gefängniszelle, die durch Blutmagie verschlossen gewesen war. Versiegelt von ihren Vorfahren, um ein schreckliches Monster für alle Zeiten gefangen zu halten. Ausgerechnet sie, die letzte Hohe Großhexe ihrer Art, hatte es freigelassen.

Das Brüllen des Biestes hallte in den alten Hallen wider, als es vorwärts aus seiner engen Zelle stürzte und auf allen vieren landete. Aufgeregte Rufe der Männer beantworteten seinen Schrei. Eilige Schritte, die sich näherten.

Quendresa duckte sich in den tiefschwarzen Schatten einer Säule im hintersten Gebäudeteil und sah sich zitternd um. Wie entkam sie unbeobachtet ihren Häschern – und fast noch wichtiger – wie warnte sie ihr Volk vor der Wiederkehr des dunklen Vrajitor? Vor dem Monster, das vor hundert Jahren erbarmungslos die Großhexer der Oameni gejagt und umgebracht hatte. Bis eine Meisterin der magischen Künste ihn gestoppt und seinem Treiben ein Ende gesetzt hatte. Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Ihr Andenken wurde in Ehren gehalten, doch ihre Strapazen waren umsonst gewesen. Zerstört in einem Moment der Unachtsamkeit.

Ein Windhauch streifte Quendresas Wunde, die aufgehört hatte zu bluten. Sie warf einen nachdenklichen Blick auf ihren roten klebrigen Oberarm. Um ihn zu verarzten, benötigte sie einen geschützten Ort. Doch das war die geringere Herausforderung. Wichtiger war es, diesen Planeten zu verlassen. Es gab einen Weg, der Gefangenschaft und Folter zu entgehen. Nur musste sie erst ihren Häschern entkommen. Den Männern, die sich um die unkontrolliert am Boden zitternde Gestalt kümmerten. Vorläufig war ihre Aufmerksamkeit einzig auf das Monster am Fuße der Kryokammer gerichtet.

Quendresa tastete sich im Schatten an der Wand entlang. Sie roch den Dschungel, ein Windhauch spielte mit ihren Haaren. Ihre Fingerspitzen fanden das weiche Grün einer Pflanze, die in einem Mauerriss wucherte und diesen völlig bedeckte. Eine Moosart, die nur auf diesem Planeten wuchs und mit Leichtigkeit die Höhe einer Handlänge erreichte. Mit ein wenig Glück gelang es ihr womöglich, sich hindurch zu quetschen und zu fliehen. Denn etwas anderes blieb ihr nicht mehr übrig. Im Gegensatz zu ihrer Vorfahrin war sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen und würde nun um ihr Leben rennen müssen. Dafür würde der Vrajitor schon sorgen, sowie er von ihrer Existenz erfuhr.

In den Fängen der GripariWo Geschichten leben. Entdecke jetzt